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Fremd sein im harten, reichen Deutschkind

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Man nennt sie zwar „Gast”arbeiter, doch wie Gäste werden sie meist nicht behandelt. Die Mschihas, Mohammeds,Yüksels, To-nios - und wie sie alle heißen, die uns als Zeitungsverkäufer, Bauarbeiter, Pizzaköche alltäglich begegnen. Sie kommen in die reichen westeuropäischen Landersum zu arbeiten, und verlieren hier den Beichtum ihrer eigenen Kultur.

Der syrische Student am Goethe-Institut Bafik Schami hat ihre Geschichten aufgeschrieben und sein Buch „den pakistanischen Zeitungsverkäufern in Frankfurt” gewidmet. Viele Verlage haben das Manuskript abgelehnt, ehe es 1980 erstmals veröffentlicht wurde. Nun hat der Neue Malik Verlag eine illustrierte gebundene Ausgabe herausgebracht, die den Geschichten ein liebevolles Ambiente verleiht und für den Autor eine besondere Würdigung darstellt.

Es sind phantastische Geschichten über die bittere Bealität von Fremden in Deutschland. Lebensgewohnheiten und gesell-schaftlichen Rituale dieser Menschen unterscheiden sich von denen des Gastlandes. Sie können recht bald verändert und an- ^”— gepaßt werden. Rafik Schamis Geschichten zeigen, daß auch die Phantasien und Sehnsüchte aus der eigenen Kultur wachsen. Gehen sie erst einmal verloren, bleiben gebrochene „ver-rückte” Menschen zurück, die erst recht auf Ablehnung stoßen.

„Hier nix Türkei, hier Hund wie Mensch,” erklärt ein deutscher Hundebesitzer dem türkischen Vater, dessen Kinder den Hund necken. Als der Vater böse antwortet: „Hund nix gut, Kind viel besser,” wird er von der Polizei abgeführt.

Ein Palästinenser, nach zwanzig Jahren plötzlich arbeitslos. Die Frau macht ihm Vorwürfe, der Sohn denkt nur ans Mofa und ist ihm viel zu angepaßt, im Radio die Meldungen vom Blitzkrieg mit Israel und sein Kopf bei den Verwandten in der Heimat. Der Spanier Ramon baut eine Maschine, mit der er auf Knopfdruck in die Heimat schauen kann. Sein Freund benützt sie, und als er Frau und Kinder bei einem anderen Mann sieht, verliert den Verstand.

Ein Barkeeper wundert sich über die linken Theorien seiner intellektuellen Gäste, die wieder einmal das „Gastarbeiterproblem” lösen wolleft-„Es heißt, fünfzehn Deutsche müssen die Last eines einzigen Ausländers tragen. Aber jeder von uns trägt auf seinen Schultern fünfzehn Deutsche,” klärt er sie über wahre Verteilung der Lasten auf. Selbst ein junger Mann aus Rethlehem, der Gott als seinen Vater angibt, Wundmale an Händen und Füßen hat und Wasser in Wein verwandelt, scheitert an den Einwanderungsbehörden. Der Beamte ist von der Geschichte verunsichert und schickt ihn zum Bischof, doch der Bischof glaubt ihm nicht.

Es sind traurige Geschichten, deren Anklage sich nicht pauschal gegen die „Gastgeber” richtet. Jeder Leser ist gefordert, jeden einzelnen seiner aus-_ ländischen Mitmenschen als verletzbaren, hoffenden und manchmal dem Druck des „Andersseins” nicht gewachsenen Menschen zu erfahren, und nicht an Äußerlichkeiten hängen zu bleiben. Staunend wie ein Kind erzählt Rafik Schami diese unglaublichen Geschichten der Verlorenheit in einem harten, reichen, fremden Land. Er bewegt sich in der für ihn fremden Sprache mit Unbekümmertheit und Originalität. Seine Schilderungen bleiben als Stachel im Fleisch von uns gleichgültigen, selbstgerechten Wohlstandsbürgern, die wir das Fremdsein theoretisch so gut zu verstehen glauben.

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