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Fremde als Spiegel der eigenen Seele

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Die dunklen Seiten des eigenen Ich begegnen uns im Fremden. Um die Konfrontation damit zu vermeiden, wird alles Fremde ausgegrenzt.

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Die dunklen Seiten des eigenen Ich begegnen uns im Fremden. Um die Konfrontation damit zu vermeiden, wird alles Fremde ausgegrenzt.

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Im Inneren eines Käfigs hängt eine Banane als Köder. Daneben lauern zwei Polizisten. Als ein Mann schwarzer Hautfarbe ungerührt an dem Käfig vorbeigeht, meint einer der Beamten verblüfft: „Ich verstehe das einfach nicht. Das ist schon der fünfte, der nicht anbeißt." Diese Karikatur erschien, als Anfang August der ugandische Finanzbeamte Fred Onduri in einer Wiener U-Bahn-Station verhaftet worden war, weil er sich durch das Trinken von Fruchtsaft des Rauschgifthandels verdächtig gemacht hatte. Im Kommissariat soll der dunkelhäutige Onduri als „Affe" bezeichnet worden sein, und ihm wurde erklärt, daß er statt auf Bäumen nun in einer Zelle Quartier zu nehmen habe.

Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, oder was auch immer echte Polizeibeamte zu derartigen Äußerungen treiben mag - eines haben sie mit den Polizisten in der Karikatur gemeinsam: eine falsche Vorstellung von Menschen mit schwarzer Hautfarbe. „Die Neger betreiben Viehzucht und primitiven Ackerbau oder leben als Arbeiter in den Bergwerken und Plantagen. Sie sind heiter und genügsam", steht im Jugendlexikon „Die AVeit von A bis Z" aus dem Jahre 1952, mit dem hierzulande viele Jugendliche bis in die siebziger Jahre aufwuchsen. Ein solches Bild scheint auch heute noch in weiten Teilen der Bevölkerung vorzuherrsehen.

Eine Umfrage des Afro-Asiatischen Instituts in Wien belegt, daß zumindest die in Österreich lebenden Afrikaner keinem dieser Klischees entsprechen. Unter den Eltern der befragten Afrikaner finden sich Minister, Bankiers, Diplomaten, Großgrundbesitzer, Anwälte und Universitätsprofessoren. Ein Fünftel der in Wien lebenden Afrikaner wohnt in noblen Vierteln.

„Typisierungen sind im Prinzip eine vernünftige Sache", sagt Josef Ilörl, Dozent am Institut für Soziologie an der Universität Wien. Die Reduktion anderer auf wenige Merkmale versorge uns mit Erwartungen und Verhaltensmustern und . erleichtere somit den Alltag. Wird man auf der Straße von jemandem nach dem Weg gefragt, der unter den Typus „Fremder" fällt, so wird man langsamer und deutlicher sprechen. Umgekehrt wird man von dem Fremden deswegen angesprochen, weil man durch Aussehen oder Verhalten als Einheimischer typisiert wird.

Wenn zu Typisierungen wertende Inhalte dazukommen, werden sie zu Stereotypeif. Aus dem neutralen „Fremden" wird der „diebische Pole", der „faule Jugoslawe", oder der „kulturlose Amerikaner". „Stereotypen sind sehr mächtig, weil sie so einfach und verführerisch sind", erklärt I Iörl. Sie sind zäh und langlebig, aber sie können sich immerhin ändern: Heute betrachtet niemand mehr die Schweden als brutal und eroberungssüchtig,, obwohl ihnen dieses Image aufgrund des Dreißigjährigen Krieges lange nachhing. Hörl: „Eine Veränderung von Stereotypen kann Jahrhunderte dauern."

Warum Stereotypen in Zusammenhang mit Fremden stets mehr oder minder negativ besetzt sind, darauf gibt die Tiefenpsychologie eine Antwort: Das Fremde fasziniert, löst aber gleichzeitig tiefsitzende Ängste aus, schreibt der Hamburger Psychoanalytiker und Professor für Theologie Wulf-Volker Lindner (in: Das Eigene und das Fremde, herausgegeben von Helga Egner, Walter-Verlag). Dies wird am Tourismus deutlich: Jährlich begeben sich Hunderttausende in fremde Länder, um aus dem Üblichen und Gewohnten auszusteigen - doch nur in begrenztem Maß: „Der deutschsprachige Kellner oder die deutsche Fremdenführung halten die Touristen auf jener optimalen Distanz, die das Fremde erträglich macht", analysiert Lindner.

Im Laufe des Lebens werden problematische und konflikthafte Bereiche des menschlichen Erlebens und Lebens verleugnet und verdrängt; sie werden vom Unterbewußtsein als „fremd" eingestuft. „In der Begegnung mit Fremden und dem Fremden können diese abgespaltenen konflikthaften Anteile wieder auf uns zukommen", erklärt Lindner, „und diese Begegnung kann für uns unerträglich sein".

Durch Ausländer werde die eigene Identität in Frage gestellt, durch Behinderte werde man mit seinen eigenen Einschränkungen konfrontiert und durch Homosexuelle mit unbewußten Seiten der eigenen Sexualität, weiß der Theologe und Psychoanalytiker. In Großgruppen, vor allem wenn Angst aufgrund gesellschaftlicher und politischer Umbrüche im Spiel ist, werden die Verunsicherungen durch Ausgrenzen, Ausstoßen und Verteufeln der Fremden bewältigt.

Die ablehnende Reaktion auf Fremde, glaubt Lindner, ist das individuelle und kollektive psychische Rohmaterial unserer Gesellschaft. Toleranz bedürfe dauernder zivilisatorischer und humanitärer Anstrengungen, hat der Psychoanalytiker erkannt. Auch idealisierte Fremden-freundlichkeit („Ausländer rein!") und Verteufelung von Fremdenhaß basieren letztendlich auf Fremdenangst: „Das abgelehnte Eigene wurde vom Fremden nur auf den Fremdenfeind verschoben."

Auch ohne tiefenpsychologische Einblicke erweisen sich positive Stereotypen als ebenso falsch, wie die negativen: So beklagte der keniatische Schriftsteller Wahome Mutaln in einem österreichischen Magazin, daß auch bei gutgemeinten Afrika-Ausstellungen und Afrika-Festivals die Komplexität und Vielfalt des Schwarzen Kontinents auf „einen Haufen buntgefärbter Tücher, Armreifen, Holzschnitzereien und einige kulinarische Gimmicks" reduziert werde. „Ein Touristenimage wird als typisch für den Kontinent verkauft", resümiert Mutahi.

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