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Friede aus Wien?

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Der „Völkerkongreß“ für den Frieden der Welt ist zu Ende, Die Tagungsteilnehmer „aus fünfzig Staaten der Erde“ haben ihre Koffer gepackt und sind abgeflogen. Nach China und Indien, Südamerika und Afrika, nach Berlin, Paris und Moskau. Wien bot in diesen Tagen fürwahr ein seltsames Bild. Tränen und Ekstasen, Resolutionen und Proklamationen im Konzerthaus, rauschende Gelage und Verbrüderungsfeste zwischen Mongolen und Polen, und allem was dazwischen liegt, in öffentlichen Lokalen, Gesandtschaften und Privatquartieren. Und alles das eingerahmt vom Schweigen der Bevölkerung und der Wiener Presse. Ein Bild der Welt also, wie sie , heute wirklich ist: zerteilt, zerklüftet in zwei Lager, die einander kaum mehr irgendwo zu Wort kommen lassen, wenn nicht bei der UNO. Die UNO: hier wurde es ganz deutlich, wie viel sie wert ist, sie, die vielverlästerte mit ihren großen Fehlern und Schattenseiten: der Wiener Völkerkongreß für den Frieden hatte, was immer mehr erst sichtbar wurde, den Zweck (und hat ihn noch), die UNO zu ersetzen durch ein neues Weltforum der „freiheitsliebenden und friedliebenden' Völker“. Deshalb das ungeheure Aufgebot, zu dem man keine Kosten gescheut hatte: alles war tatsächlich da, was gut und teuer und billig ist: Frau Sunjatsen, die-Witwe des Begründers der chinesischen Republik, französische Dichter, mexikanische Maler, volksdemokratische Prälaten, indonesische, buddhistische Bonzen, Volksdeutsche Präsidenten, es fehlte im äußeren Bildkeine Hautfarbe, keine Rasse und Klasse, keine Religion, kein Kontinent, kein Beruf, keine Kleidung, keine Maske.

Diese äußere Buntheit und Vielfarbigkeit bedachte jedoch nur schlecht die innere Konformität: da war also immer wieder davon die Rede, wie sehr die einen den Frieden lieben und wie sehr die bösen anderen den Frieden bekämpfen. Unendlich viel Reden, und keine echte, ernste Aussprache. Fünf Kommissionen und Beratungsfraktionen und nur ein Gegenstand, der in immer neuen Bildern anzuzeigen war: wie die einen für Freiheit und Frieden sind, während die anderen (sprich: die Westmächte) die Völker versklaven, Korea mit Bakterien verseudren und in aller Welt als Kriegshetzer tätig sind.

Das- groß aufgezogene Schauspiel hat also zumindest geoffenbart, was hier intendiert wird: es soll eine neue Menschheit gezeigt werden, in der alle eines Sinnes und eines Wortes sind — als ein Gegenbild gegen die „Streitigkeiten“ und Zwiste der „bösen“ Mächte und der „Diplomaten“ bei der UNO. Wir müssen offen sagen: da ist uns die UNO lieber — bis zum Jüngsten Tag lieber—, hier werden noch echte Gegensätze und die Nöte, die dahinter stehen sichtbar — und das ist notwendig, sollen diese einmal, und wenn auch erst in ferner Zukunft, Heilung finden. Hier, im Wien des „Völkerkongresses“, wurde kein Wort gesprochen von den tatsächlichen Ursachen der Angst, der Rüstungen, des Hasses und Mißtrauens unter den Völkern. Hier war alles nur ein Herz und eines Sinnes, „ein Hirt und eine Herde“ — das Widerbild echter Katholizität und Konformität. Mit Recht hat der „Osservatore Romano“ bereits am 30. November 1952 darauf hingewiesen, daß hier einfach kein Ort gegeben ist, an dem Katholiken und Christen überhaupt die Stimme des Friedens erheben können.

Nun aber wird die tiefe Crux sichtbar, die auch hier unsichtbar und bisweilen sichtbar zugegen war. Wer die Teilnehmer am Kongreß aufmerksam beobachtete, konnte sehr schnell drei Kategorien feststellen: Apparatsdiikis, stille Gäste und, meist westeuropäische, Dis-senters. Als Apparatschikis müssen alle jene berufsmäßigen Kongreßmacher und Kongreßbesucher der Ostwelt angesehen werden, von Ilja Ehrenburg bis Stefan Hermlin, der grauen Eminenz der ostdeutschen Intelligenz, die je nach Bedarf als Beschwichtigungshofräte, Humanitäre oder Revolutionäre eingesetzt werden, die allen Aufgaben gewachsen, mit eiskalter Intelligenz ihre Rolle meistern. Es mag ein Zweifel bestehen, ob bieder aussehende, müde, ordenbehängte, sehr verdiente böhmische Arbeiter noch dieser Gruppe beizuzählen sind, oder nicht bereits der zweiten zugehören, den stillen

Gästen. Einfache Frauen und Männer, wahre Friedensnaturen, aus nicht wenigen Völkern, die die Rolle der „Naiven“ nicht nur spielen, sondern leben. Hier gab und gibt es echte Erschütterung, wenn diese und jene Greueltat der anderen, breit vorgetragen, auf Rührwellen den Saal durchläuft. Das alles mag noch Theater sein und nach Theater klingen — ernst, sehr ernst wird es, wenn wir auf „das dritte Geschlecht“ hier sehen. Man mag über sie lächeln, man mag sie totschweigen, von ihnen ist aber zu berichten, um ihretwillen allein muß hier von dieser ganzen Sache die Rede sein. Diese Dissenters, diese Nonkonfor-misten, Franzosen, Engländer, Holländer, Belgier, auch Deutsche sind darunter, sehen illusionslos nicht nur auf den Westen, sondern auch auf den Machtblock des Ostens, sie halten sich aber verpflichtet, als Einzelgänger „Wege noch im Un-wegbaren zu suchen“. Der Österreicher Hofmannsthal hat damit das Wesen des Menschen überhaupt zu deuten versudit. „In zwei, drei Generationen wird ein echtes Gesprädi mit dem Osten zustande kommen, und deshalb müssen wir heute schon hier sein und von Mensch zu Mensch Brücken schlagen, die von Block zu Block unmöglich sind“. Utopisten. Gewiß. Dieser echte Utopismus verdient aber alle Achtung und Beachtung. Waren nicht wenige Heilige Utopisten? Steckt nicht in jedem ganz-christlichen Wollen ein solches utopisches Element? Fragt sich nur: Werden diese Menschen hier nicht mißbraucht? Wer aber und welche 'Idee wird nicht mißbraucht von der Macht? — Um dieser einzelnen, um dieser Einzelgänger willen (um nicht mißverstanden zu werden: hier ist nicht etwa vom Dean von Canterbury die Rede) verdient der Völkerkongreß das Interesse der Christen. Ebenso wie er als große politische Aktion der Ostwelt das Interesse der Politiker verdient.

Die nächsten Aktionen des Friedensrates und der Kongreßteilnehmer werden den Sinn des achttägigen Unisonos von Wien weiterkommentieren und noch deutlicher zur Sprache bringen. Bis jetzt hat nur Wyschinski durch seine Abwesenheit bei der Österreichdebatte der UNO den Österreichappell des Wiener Völkerkongresses beantwortet.

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