6649603-1958_45_15.jpg
Digital In Arbeit

Friedensfilme — nicht Kriegsfilme!

Werbung
Werbung
Werbung

„UND WIEDER ERKLINGT MILITÄRMUSIK. Das Hohelied der Soldatenehre“ — so wurde, zu Beginn des gegenwärtigen Militärfilm-booms, in einem Verleihkatalog der 1933 fabrizierte „Rakoczy-Marsch“ angekündet. Inzwischen — es sind nur ein paar Jährlein vergangen — ist man bei uns ja nicht mehr darauf angewiesen, Reprisen auszugraben oder gewisse Bedürfnisse durch Importe zu befriedigen: man kurbelt jetzt souverän selbst. Mit „Mikosch rückt ein“ und „Fritz und Friederike“ begann es zaghaft, über den primitiven „Frontgockel“ ging's zur läppischen „Lili Marken“ — nunmehr ist bereits das Stadium erreicht, in dem sich frischfröhlich Jagdflieger und U-Boot-Kapitäne um die höchste Glory streiten.

NOCH VOR SECHS, SIEBEN JAHREN wäre das nicht möglich gewesen. Aber die Zeiten ändern sich und wir in ihnen ...

Wirklich? So rasch wohl doch nicht.

Es gibt Dinge, die so leicht nicht vergessen werden können — das Militär und der Krieg gehören dazu. Für jene Armen aber, die an Gedächtnisschwund leiden, bleiben noch Trümmer genug, bauliche und menschliche, um sich der Ereignisse, des Schlimmsten, was geschehen konnte, zu erinnern. So könnte man meinen ...

DER BLICK AUF DIE LEINWAND belehrt uns indes eines anderen: es ist gar nicht so scbjimm, es ist sogar .schön—das Landserleberj, der Kasernenhofdrill, das Leiden und Sterben für das Vaterland. „Es ist so schön, Soldat zu sein...“ So fing es schon einige Male an. Zum letzten Mal hörte es 1945 damit auf, und man kann nicht sagen, daß von dieser Schönheit viel übrig geblieben sei — das in Zelluloid Konservierte und diejenigen, die es immer noch nicht lassen können, wie billig, ausgenommen ...

„JEDER SOLDAT IST GEFÄHRLICH“, sagte Chaplin 1945. „Ich habe mich immer vor Soldaten gefürchtet. Wir müssen hoffen, daß alle, die von den Fronten zurückkehren, sich nicht als Soldaten, sondern als Menschen fühlen. Jeder Krieg raubt der Menschheit einen Teil ihrer Seele, zerbricht etwas in jedem Menschen. Die Tragödie unserer Jugend besteht darin, daß sie gezwungen war, sich selbst und ihre Menschlichkeit zu verleugnen ... Nun ist es unsere Pflicht, dieser Jugend beizustehen.“

Wie aber? Mit solchen Filmen? Mit Militärschwänken, die das Kasernenmilieu verniedlichen und verharmlosen? Mit Kriegsfilmen gar, deren Idee — wenn überhaupt existent — nicht vom übernationalen, menschlichen Leid, sondern nächst dem Sensationellen, dem Nervenkitzel von einem nationalen und individuellen Pseudo-heldentum in Großaufnahme lebt? Und 31e es verlockend erscheinen lassen, ja durch die suggestive Kraft des Anschaulichen nachgerade dazu auffordern, erneut in den Kampf zu ziehen, zu schießen und erschossen zu werden ...

Sehr mit Recht fragte Theo Lingen einmal: „Warum sprechen wir 'immer von Nachkriegsfilmen? Hat denn noch niemand gemerkt, daß es sich möglicherweise schon wieder um Vorkriegsfilme handelt?“

In der Tat: die Zeiten zwischen den großen Kriegen werden immer kürzer, und -eine bestimmte Art von Kinematographie trägt dazu bei.

GEWISS, DER FILM SOLL, JA MUSS - wie die Literatur, wie die dramatische Kunst — sich mit allen Erscheinungen des Lebens auseinandersetzen. Hierzu gehört unzweifelhaft auch, das Phänomen Krieg. Aber es kommt doch wesentlich darauf an, wie er das macht, unter welchen Gesichtspunkten, mit welcher Absicht er dies schwierige Thema behandelt. Wenn er das Grauen, das Widersinnige, ja Verbrecherische des Krieges prohibitiv, d. h. um es künftig zu vermeiden, darstellt, wenn er zeigt, warum es zu bewaffneten Auseinandersetzungen kommt und warum darunter Unschuldige, vor allem Frauen und Kinder, leiden müssen, wenn er mit gültigen Beispielen zur Menschlichkeit, zur Verständigung und Versöhnung unter den Menschen aufruft, dann ist nichts gegen ihn einzuwenden.

Man wird ihm auch vorbehaltloser .begegnen, wenn er den Begriff des „Heldischen“ ohne wehende Fahnen und Pulverdampf, ohne Schlachtenlärm und Marschmusik herausstellt, ganz schlicht nur in der menschlichen Bewährung, in “der Bekundung des Humanen auch im größten Elend, in Bedrückung, Untergang — also jenseits der Verlogenheit, die allein den Krieg als Voraussetzung des Heroischen ansieht, ganz so, als ob es ein echtes Heldentum nicht auch im zivilen Bereich (der Mütter, der Forscher usw.) gäbe.

EINE REIHE VON FILMEN wird der einen oder anderen dieser Forderungen gerecht — „Im Westen nichts Neues“ und „Die große Illusion“ gehören dazu, „Die besten Jahre unseres Lebens“ und „Der unbekannte Soldat“, im heiteren Genre „Fanfan, der Husar“ (worin einmal gesagt wird: „Der Krieg ist eine so ernste Sache, daß man ihn nicht den Militärs überlassen sollte“). Es sind nicht viele Beispiele dieser wünschenswerten Art, und das ist auch gut so: der diffizile Gegenstand sollte nicht übermäßig und, als

Folge davon, unzureichend auf der Leinwand strapaziert werden.

Besser freilich, nützlicher und ungleich nötiger wäre es, statt Kriegsfilme Friedensfilme herzustellen. Gerade die deutsche Produktion könnte hier — über den einmaligen Versuch „Das Herz der Welt“ hinaus — beispielhaft vorangehen. Aber es ist da wie überall: es wird wohl geplant und vorbereitet (allenthalben sollten schon Filme um Alfred Nobel, Gandhi, den Grafen Bernadotte usw. gedreht werden); am Ende jedoch geschieht nichts. Offenbar hat die Gegenwart für solche Themen nicht viel übrig, nehmen die Zeitgenossen lieber an Schlachtengetümmel und Massakern teil — vorläufig noch in effigie, später dann in natura ...

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung