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Friedrich Heer: Passion und Auferstehung

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Gedanken zu Karfreitag und Ostern.

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Gedanken zu Karfreitag und Ostern.

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Die Tage werden länger, die Lüfte linder, die Welt lichter. Die Gedanken der Menschen werden leichter, alles hellt sich auf. Man lebt im Frühling. Man wagt wieder aufzuatmen. Vom Eise befreit sind Strom und Bäche. Mancher Druck scheint hinweggenommen, Das Auge des Menschen sieht Blatt und Blüte, junges Grün und seidig blauen Himmel und der Mund des Menschen spricht von der Auferstehung der Natur.

In dieser Stunde, im Anbruch des neuen Lichtes, spricht die Kirche vom Gottesmord.

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Herzlichen Dank, Ihre Doris Helmberger‐Fleckl (Chefredakteurin)

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In einer entsetzlich offenen Sprache. Geschunden von seinen Feinden, verraten und verlassen von seinen Freunden wird der Gottessohn "wie ein Lamm“ zur Schlachtbank geführt. Keine Armeedivision, kein fliegendes Engelheer hilft ihm. Das Debakel endet in der „Schmach des Kreuzes“, am Galgen. Wie sekundieren — immer noch in der Sprache der Liturgie — die Menschen diesem Ereignis? Ein Herr der Macht und des Zorns, des Handels und des Reichtums, ein großer Herrscher der Heiden — der König von Ninive — tut, als ihm der Prophet das Wort Gottes kündet, Buße. Mit Esel, Rind und seiner reichen Stadt. Buße in Sack und Asche. — Das Volk Gottes büßt nicht. Vergebens mahnt sein Herr es: "Ich zertrete die Völker in meinem Grimm.“ Vergebens schreit, den langen Karfreitag der Weltgeschichte, der Messias um Hilfe, laut klagend in seiner Verlassenheit über den Verrat seines Volkes an allen Tagen seines tausendjährigen Erdenlebens.

Blutig-düstere Geschichte der Vorzeit, ist sie nicht umwittert wie Mär und Sage und Tragödie der Alten, von grauenhaften Erlebnissen und Schuldkomplexen grauer Vorzeit? Was hat sie uns Kindern des 20. Jahrhunderts zu sagen? Sollte man sie nicht ausmerzen aus dem angstbeladenen, genugsam verdüsterten Gedächtnis und Gegenwartswissen der Menschheit? Sollen wir uns nicht, wenn wir je auf einen Frühling der Völker und des Friedens hoffen wollen, in lichtem, erleichterndem Vergessen, bewußt verzichtend, der Erinnerung an jene schuldhaften Dunkelheiten und Dämmernisse der Vorzeit versagen, so wie wir mit Recht uns bemühen, die Schuldtat von gestern und vorgestern am und im eigenen Volk dem rettenden Vergessen zu überliefern?

Was hilft's, des einen Justizmordes vor Jahrtausenden zu gedenken — haben wir nicht Herzen und Hände zu mühen, das Gedächtnis der Leiden und des Mordes von Tausenden, von Millionen im Heute nicht durch Verbitterung, Haß, die Saat neuen Krieges, den Funken neuen Unheils zu entweihen?

Es geht nicht. Leid und Tod der Tausende im Heute hängt mit schweren Ketten am Leiden und Sterben des Einen vor Jahrtausenden. Du kannst die Passion des Menschen erst verstehen, wenn du um die Passion Gottes weißt. Und du wirst, wahrhaft frei vom tödlichen Gift unserer Zeit, vom Nihilismus, an die Auferstehung des Menschen erst glauben können, wenn du dich gerettet weißt in der Auferstehung Gottes.

Das Quälen und Schinden des Menschen, der sich selbst als Mensch nicht mehr versteht, wächst aus den Folgen der nicht mehr verstandenen, nicht ernst genommenen Passion Gottes. Der Mensch, der dessen Himmel nicht mehr will, schafft sich die eigene Hölle. Das Abendland: eine Christenheit, ein christliches Europa, das die eigensten Werte seit langem nicht mehr ernst nahm, und das seit Jahrhunderten die großen entscheidenden Schlachten — im Innenraum des Menschen — verlor, weil es nicht wagte, sie christlich anzunehmen — im offenen Verstehen, in Liebe für den andersdenkenden Gegner. Das ist nämlich der tiefste und letzte Grund der Säkularisierung, des Ausströmens der christlichen Potenzen in die Welt hinein ohne innere Erneuerung. Die Brunnen versiegten, weil man ihr Wasser nicht zu schöpfen wagte — dieses Abendland wurde zu jenem Europa, das heute weder die Gottheit noch auch die Menschheit, noch sich selbst versteht.

Wir speien Christus nicht ins Gesicht. Wir zerreißen sein Fleisch nicht. Wir nehmen ihn nur nicht ernst. Wir haben andere Rechnungen, andere Mittel. Es muß nicht gerade die Atombombe sein.

Die Passion Gottes kann gesehen werden von Gott her, dann ist sie leuchtendes Geheimnis der göttlichen Liebe, Aussage ihres Webens und Wirkens in der Dreifaltigkeit, jenes dynamischen Strömens in der Fülle der Gottheit, das zur Weltschaffung, zur Menschwerdung, zum Opfer drängt: „es gefiel dem Herrn, ihn durch Leiden zu zermalmen“. Dieses Mysterium kann vom Menschen nur erahnt und betend verehrt werden.

Die Passion Gottes ist aber für uns zuallererst vom Menschen her zu sehen. Von uns, auf uns bezogen. Ein Wort umfaßt hier ihre für uns so tragische Tiefe: "Auch seine Brüder glaubten nämlich nicht an ihn“ (Joh. 7, Liturgie vom Dienstag nach dem Passionssonntag).

Der kühle und leidenschaftliche Realismus spätmittelalterlicher Altarbilder zeigt den leidenden Christus, umstanden von grausam interessierten und noch grausamer uninteressierten christlichen Zeitgenossen. Ratsherrn und Kleriker, Bürger, Bauern, Bettler und natürlich auch Soldaten. Dieser Bildschau liegt die Vorstellung zugrunde: wir Menschen, wir Christen schinden Christus durch unsere Sünden zu Tod.

Exemplifizieren wir diese Grunderfahrung christlichen Erlebens auf unsere Zeit. Was sagt sie dann heute, in der Zeit der verwüsteten und ausgebrannten Dome und der noch tiefer verwüsteten und ausgebrannten Herzen? Worin besteht die Todsünde der Christenheit, zumal dieser europäischen Christenheit?

Wir speien Christus nicht ins Gesicht. Wir zerreißen sein Fleisch nicht. Wir zeigen ihm nicht einmal die Zunge, so wie unsere Vorfahren auf jenen Bildern des Mittelalters.

Wir nehmen ihn nur nicht ernst. Sein seltsames Angebot: die Welt, diese Welt durch seine Liebe zu erlösen — davon kann im Ernst nicht die Rede sein. Wir haben andere Rechnungen, andere Mittel. Es muß nicht gerade die Atombombe sein.

Kardinal Saliège, Erzbischof von Toulouse, sagt es deutlich genug in seinem Fastenhirtenbrief 1950: Die Wirren, unter denen wir leiden, sind unser Werk. Wir haben das Wort des Evangeliums vergessen: um alles zu retten, muß man alles preisgeben. Wir haben uns an die irdischen Realitäten geklammert und haben ihnen jedes Korn des Göttlichen geraubt. Wir haben unsere Hoffnungen auf das. Geld gesetzt, auf Macht und Vermögen und Glück, auf Dinge, die doch nur den Wert von Mitteln haben. Wir leben für diese Dinge und sind überrascht, unglücklich zu sein.

Dies die Passion Christi: er ist verlassen in seinem Volk, in der Mitte seiner Brüder, die nicht an ihn glauben. Das erschütternde Klagen des Schmerzensmannes in der Liturgie um Ostern ist das Klagen des Gottes, der in seinem Volk unter die Räuber fiel.

Claudel und Papini, Chesterton, Haecker, Lippert und Guardini haben es gleichzeitig ersehen: es wäre höchster Pharisäismus, wenn wir in den Juden und Pharisäern, die Christus schinden, nicht uns erkennen wollten. Wir, die Christen, die Völker der Christenheit. Nicht Gog und Magog, die apokalyptischen Völker des Ostens, der Steppe, des Schreckens und des Gerichts, umstehen den Leidenden und drängen ihn in die Pein letzter Einsamkeit und Verlassenheit, sondern wir Christen, wir, die ihn nicht sehen und nicht hören wollen. Die es nicht wagen, ihm ganz zu trauen, ganz zu vertrauen. Deshalb, nochmals die Stimme der Karwoche: „Wir alle sind wie Schafe abgeirrt; ein jeder wich von seinem Wege.“ Und dann, am Stiftungstage der Kirche: Herr „befreie ... uns von alter Verblendung und schenke uns die Gnade seiner Auferstehung“.

Das also ist Ostern. Frühsonne und Frühlingshimmel. Zuckerwerk und Osterkuchen, Osterschinken und Osterei. Glockenklang, weitausschwingend über das Land. Die Freude der Kinder und der Alten.

Das alles ist uns dazu gegeben, wird mitumfangen in der Freude des Lammes. Die Freude des Lammes — eine alles bezwingende, überwältigende Freude! Christ ist erstanden, und deshalb dürfen wir auf eine Auferstehung des

Menschen hoffen. Müssen hoffen und uns freuen, wenn wir nicht, in hartnäckigem Nichttrauen gefangen, die Qual seiner Passion verlängern und vermehren wollen. Die Eine Hohe Zeit läßt sich nicht auseinanderreißen, nicht teilen: ohne die grausame Wirklichkeit des „Mannes der Schmerzen“ gibt es die süße Freude um den Erstandenen nicht. Der Sieg wächst aus der „Schmach des Kreuzes“. Für uns heißt das: aus dem Tod des Gottsohns wächst das Leben der Menschen. In der Auferstehung Christi gründet die Hoffnung auf die Auferstehung des Menschen. Der wahre Humanismus ist eine Frucht des Kreuzes. Der Trost der Osterbotschaft hängt an der Härte der Wirklichkeit, die sie umgreift: die Schwäche und Schuld, der Unglaube und die Unkraft des Menschen summieren sich in der Karwoche der Geschichte zu jenen Kräften, die den Gottessohn ans Kreuz heften. Das Versagen der Juden. Das Versagen des Römers. Das Versagen der Jünger. Das Versagen des Petrus.

Das Versagen der Christen. Mitten aus unserem Versagen, mitten aus unserer Erbärmlichkeit, Not und Schwäche steigt der Auferstandene auf, um diese Erde in sein Reich emporzureißen.

Darum ist seine Auferstehung der Angelpunkt der Weltgeschichte — als der Geschichte des Menschen. Das letzte Wort der Passionsgeschichte, das Menschen über ihn sprechen, lautet: „Sehet, welch ein Mensch.“ Ein Mensch rettet die Menschen, rettet ihr Menschliches, ihr Menschlichstes, stiftet die Hoffnung, gibt die Gewißheit einer Auferstehung des Menschen aus der Kraft seiner Gottheit, die sich ganz entäußert in die Armut der Passion, um den Menschen zu retten.

Die Umwertung der Werte, hier ist sie vollzogen: der Höchste leidet, um den Niedersten zu befreien.

Die Osterglocken verklingen. Die Feier der Feste geht zu Ende. Wir treten hinaus in den Alltag 1950. Der Schweiß der Arbeit und der Sorgen. Die Angst, das Bangen vor dem Morgen. Das alles bleibt — und wird nicht hinweggenommen. Es steht das Kreuz in dieser Welt. Hinter ihm aber steht im Morgenlicht des ewigen Ostern — Er, der überwunden hat. Der Freund, der Bruder des Menschen, der Träger seiner Leiden. Der Bürge und Zeuge der Auferstehung des Menschen.

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