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Friedrich Muckermann

19451960198020002020

Von dem bekannten Literarhistoriker und Publizisten Prof. Dr. Otto Forst de Battaglia, dem ausgezeichneten Kenner der europäischen Gegenwartsliteratur, wurde uns eine Würdigung der Persönlichkeit und des Lebenswerkes von P. Muckermann S. J. zur Verfügung gestellt, die im Hinblick auf den einjährigen Todestag P. Muckermanns am 2. April ihre besondere Bedeutung erhält. „Die Furche“

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Von dem bekannten Literarhistoriker und Publizisten Prof. Dr. Otto Forst de Battaglia, dem ausgezeichneten Kenner der europäischen Gegenwartsliteratur, wurde uns eine Würdigung der Persönlichkeit und des Lebenswerkes von P. Muckermann S. J. zur Verfügung gestellt, die im Hinblick auf den einjährigen Todestag P. Muckermanns am 2. April ihre besondere Bedeutung erhält. „Die Furche“

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Suchte man in jenem Sodom, über das ein totes Meer, ein Meer von Blut aus Millionen Toten rächend dahingebraust ist, nach den zehn Gerechten, die Rettung verdienten, es hätte e i n Name an die Spitze gehört: P. Friedrich Muckermann S. J. Unzertrennlich Gehören die Buchstaben, die hier den eigentlichen Namen einkreisen, zu ihm. Denn niemals vergaß sein Träger, sie hinzuzusetzen, um damit die innigste Verbundenheit mit dem Priestertum und mit der Gesellschaft Jesu zu bekunden. Dieser Mönch, der — wie es im Titel seines ersten, weithin bekannten Buches hieß — über die Schwelle trat und der sich dann draußen in der Welt mit überlegen Sicherheit bewegte, war stolz darauf, zu sein, was er war und — wie es einst die Jesuiten erklärten, als man ihnen ansann, sich zu wandeln — so zu sein, wie er war oder sonst lieber nicht zu sein.

Di* Kraft der starken, glänzenden, bezaubernden Persönlichkeit dieses unvergeßlichen Menschen wurzelte in seiner Abkunft aus knorrigem westfälischen Stamm und in seiner ebenso schwärmerisch gefühlsinnigen, wie vernunftmäßig immer wieder bejahten Hingabe an seine Kirche und an deren erlesene Kampfschar, den Orden des heiligen Ignatius. Das aber, was diese Kraft auf den mannigfachsten Gebieten wirkte, es ist das eigene Verdienst Friedrich Muckermanns, der mit seinem Talente wucherte, daß es reichste Zinsen brachte. Gar schwer wird es, ein Jahr nach dem Tode dieses Mannes die Summe seiner Leistung zu ziehen. Denn weder in den Schriften noch in den ungezählten Zeitungsbeiträgen des Dahingeschiedenen ist das Wesentliche oder auch nur das Beste seiner selbst geborgen. Man müßte ihn aus seinen Predigten wiedererstehen lassen, die, gedruckt, denoch nicht die hinreißende Macht des Kanzelredners ahnen ließen. Man müßte * ihn heraufbeschwören und ihn unter uns einherwandeln sehen, in seiner hohen, liebenswerten Gestalt. Man müßfe seine Stimme hören, seiner geist-reichbn, anmutigen, über Tiefen und Untiefen herrlich einherschwebenden Konversation lauschen, in seine klugen, gütigen, spöttischen Augen blicken, ihn mit erschütterndem Pathos donnern, dann mit olympischer Heiterkeit scherzen machen: wie zuvor und, ach, nie wieder. Welch ein Mann war dies! Ein Gewaltiger über das Wort, das ihm zu Rede und Schreibe stets gefügig war, die erhabensten und die alltäglichen Gedanken bald eindringend und groß, bald schalkhaft und gleichsam verstohlen in die Seelen derer einzuhämmern, einzunisten, einzulisten, die er, ein berufener Apostel, einzufangen begeirte, auf gesegnetem Fischfang.

Sein Walten, das Leben und das Leiden P. Friedrich Muckermanns, hatte diesen einzigen Zweck, von Gott und vom lebendigen Katholizismus Zeugnis, für Gott und für die Kirche Zeugnis abzulegen. Den Gläubigen zur Stärkung, den Zweifelnden zur Stütze, den Heilshungrigen ein Werberuf, vor den Ungläubigen aber ein Denkmal dessen, was aus katholischem Urgrund erblühen kann. In jeder Hinsicht hat der Mönch, da er über seine Schwelle trat, Erfolge errungen, wie kaum ein Zweiter seiner priesterlichen Zeitgenossen. Muckernanns Predigten waren den einfältig Frommen Erbauung, den geistig Anspruchsvollen erlesener Genuß. Viele Zweifler haben im Gespräch mit dem weltoffenen Jesuiten Halt gefunden. Viele, denen der Halt verlorengegangen war, hat er bekehrt. Doch am augenfälligsten war der Eindruck, den er bei Gleichgültigen und bei Feinden des Christentums, ja jeder positiven Religion hervorrief.

Das Prestige Muckermanns jenseits der katholischen Kirche war unvergleichlich, außerordentlich. Er bewegte sich mit einer Vorliebe und mit einer Gewandtheit, in denen sich zweifellos eine angeborene Neigung zum Abenteuer widerspiegelte, an den Grenzen der Rechtgläubigkeit. Ohne diese Linie je zu verlassen, doch so, daß er darüber hinaus die Hand den Andersdenkenden entgegenstrecken konnte und daß beschränkte Gemüter, Zagende, denen vor jedem Abgrund schwindelig wird, in Aufregung gerieten und zu gewahren meinten, der kühne Wanderer habe schon das Gleichgewicht verloren und jetzt, jetzt stürze er über den Abhang hinab in den Höllenschlund. P. Muckermann, dem man im Literaturcafe, in den Hallen internationaler Hotels, in mondänen Salons, in den Ateliers der Kunstzigeuner, ja bei Tänzerinnen, Filmleuten begegnete; er, dessen freundschaftliche Beziehungen zu führenden Freimaurern, zu Juden und zu — angeblichen oder echten — Bolschewiken bekannt waren, weckte Schrecken und Unbehagen bei manchem braven Schaf aus der Herde, das sich allerdings der Gefahr des Umgangs mit Schafen aus anderen Herden oder schon gar mit deren bösen Hirten nicht gewachsen wußte. Muckermann aber: er flößte den Logenbrüdern einen rechten Respekt vor dem so oft mißkannten, mißachteten Widerpart, der Gesellschaft Jesu ein. Er holte aus dem Tanz und aus dem Film eine christliche Substanz heraus, weckte in Bohemiens tot gewähnte religiöse Triebe, erschütterte die Indifferenz von Kulturjuden und überwand die antichristlichen Vorurteile von verstockten Getreuen der mosaischen Orthodoxie. Auch zu einer zweiten Orthodoxie von stur und starr antikatholischer Art hat er einen Weg gebahnt, mit Liebe und Gescheitheit, zur östlichen Prawoslawie.

Weite Reisen, die zumeist dem mit seiner deutschen Heimaterde herzlich Verbundenen gegen dessen Willen verhängt wurden, haben ihm, es war wohl eine Fügung der Vorsehung, Anlaß und Möglichkeit geboten, mit den mannigfachsten Völkern, mit ailen Schichten in Berührung zu treten, dabei die fruchtbarste Erfahrung zu sammeln. P. Muckermann lernte so Polen und den westrussischen Osten, die gesamte weiland österreichisch - ungarische Monarchie, Rom und Italien kennen. Dazu Dänemark, Holland, Belgien, England, Frankreich und die Schweiz. Doch wurde er zwar Weltbürger, nicht aber bindungsloser Kosmopolit, seiner deutschen Ursprünge niemals vergessend. Er betrachtete sein Wirken, außer unter dem Gesichtswinkel des Priesters, auch unter dem des Patrioten, der Schreckliches über sein Land und über sein Volk heranziehen weiß und der sich dem Unglück entgegenstemmt, so gut er vermag. Kann er indes die Katastrophe nicht verhüten, dann möchte er wenigstens gute Saat für die Zukunft in den Heimatboden einsenken. Dieses doppelte Motiv: den Katholizismus als geistige Macht im eigenen Bereich fester zu gründen und darüber hinaus die Kirche Gleichgültigen und Gegnern achtenswert, liebenswert zu zeigen, sodann zur Genesung des tödlich kranken deutschen Wesens als kundiger Seelenarzt mitzuhelfen, es beherrschte die Tätigkeit des Predigers Muckermann, von der nichts als die dankbare und bewundernde Erinnerung der Hunderttausende bleibt, die ihm lauschten. Dasselbe •zwiefache Leitmotiv durchzieht seine Bücher, zu denen wir stets aufs neue greifen sollen, und seine Artikel, deren währendste gesammelt und als Band veröffentlicht werden sollten.

Das Streben P. Muckermanns bekundete sich auf mehreren Gebieten, dem der Literaturkritik, der Literaturgeschichte, der Soziologie, dem Grenzgebiet von Popular-philosophie und Pastoraltheologie. Es fällt nicht leicht, unter seinen Schriften die eine hierhin, die andere dorthin zu weisen. In allen ist von allem etwas enthalten. Sogar im funkelnden, psychologisch überragenden „Goethe“, dessen überspitzte Grundthese bestreitbar und bestritten worden ist, gleitet die Literargeschichte oft auf die vorgenannten anderen Domänen der Muckermannschen Geistesschau hinüber. „Der Mönch tritt über die Schwelle“, „Vom Rätsel der Zeit“, diese beiden noch am Vorabend der Machtergreifung Hitlers erschienen, die im Exil verfaßten Bücher über den Menschen und die moderne Technik, über Solowiew und die Begegnung zwischen westlichem und östlichem Christentum lassen sich am ehesten folgendermaßen bestimmen: aim Sonderfall, am Einzelproblem wird die Zeitlosigkeit der ewigen christlichen Wahrheit dargetan, doch aus dieser Zeitlosigkeit folgt auch, daß die Kirche und die einzelnen Christen weder mit einem einzigen Raum noch mit einer einzigen Epoche noch mit einer einzigen politischen, philosophischen, gesellschaftlichen Richtung verknüpft sein dürfen; daß der Katholizismus sich mit allem verträgt, was nicht zu den unverrückbaren göttlichen Gesetzen und zu den geoffenbarten Wahrheiten im Widerspruch beharrt.

In dieser Lehre, die auch aus den blendenden Artikeln im „Gral“, der von Muckermann souverän geleiteten, ausgezeichneten Monatsschrift, einer verblendeten, in den Nationalsozialismus hinüberschlitternden Mehrheit und einer hellsichtigen Minderheit von Lesern eingeprägt wurde, scheint uns der Kern eines kostbaren Vermächtnisses zu liegen. Der positive Kern; denn zu ihm tritt als nötiges negatives Gegenstück: die unbeugsame Ablehnung alles dessen und aller derer, die der ewigen christlichen Wahrheit feind sind oder die gar den einzelnen und die Gemeinschaften daran hindern wollen, diese Wahrheit zu bekennen und ihr nachzuleben.

So verbindlich Muckermann den Andersdenkenden nahte, die ihrerseits Duldsamkeit übten, so hart und nackensteif widersetzte er sich dem Druck und der Verfolgung. Er hatte es am Ausgang des ersten Weltkriegs gegenüber dem Bolschewismus der Kirchenstürmer getan. Damals kostete er die litauischen Gefängnisse aus. Er widerstrebte mit unverminderter Entschiedenheit dem Satansspuk des Hitlertums in den Jahren vor dem zweiten Weltkrieg. Ein witzsprühender Artikel im „Gral“, der, die braune Liesel am Geläut erkennend, die Nazi aus ihren Festen, aus ihrer „Pompa diaboli“ als die Gefolgsleute dessen deutete, dem sie hold und gehorsam waren, zog Muckermann das volle gerüttelte Maß des Zornes der deutschen Machthaber zu. Schon vordem an seinem Leben bedroht, mußte er unter abenteuerlichen Umständen über die Grenzen flüchten. Zunächst nach Holland, wo er die mutige Wochenschrift „Der Deutsche Weg“ begründete. In den Jahren 1935 bis 1938 schweifte er umher, als Warner und Streitrufer, durch Frankreich, bis ins schon gefährdete Wien Schuschniggs, bis nach Rom, wo er eine vortreffliche internationale Korrespondenz herausgab. In der österreichischen Hauptstadt entging er nochmals mit knapper Not den Schergen des Führers. Noch prangten dort an den Litfaß-Säulen die Plakate, die einen Vortrag Muckermanns ankündeten, da waren schon die Wehrmacht samt SS und SA eingedrungen. Der Verhaßte, sofort von Spürhunden Gesuchte, bef-nd sich aber schon jenseits der Machtsphäre Hitlers. Ein drittesmal wäre er in Frankreich beinahe den Henkern in die Hände geraten. Nachdem er durch den französischen Rundfunk seine Tätigkeit fortgesetzt hatte — die Nazi wußten nicht, wo er weilte; man glaubte ihn bald in England, bald in Dänemark, während er fast ständig in Paris wohnte —, verlegte er seinen Sitz nach der Südzone. Als diese besetzt wurde, hielt er sich versteckt. Zuletzt wäre es dem schon Aufgespürten dennoch an den Kragen gegangen. Da rettet er sich in die schützende Schweiz. Doch seine vordem eiserne Gesundheit war nun zerstört. In Ciarens, wo er Asyl genoß, schwand er langsam dahin. Noch dazu fähig, literarische Früchte seines Lebensherbstes zu schenken;

. nicht mehr der Alte, nicht mehr imstande, seine gewaltige Dynamik zu entfalten. Sein letzter Plan, eine Wochenschrift zu schaffen, die den „Deutschen Weg“ fortsetzen sollte, ist allerdings noch verwirklicht worden. Doch diesen Weg, er wird nun ohne ihn beschritten. Ein kluger, edler Führer ist nun schon ein Jahr tot. Die, denen er hätte voranziehen sollen, mögen ihm nachfolgen. In seinem Geist. Vor diesem Geiste aber verneigen sich in ergriffener Ehrfurcht alle, denen es je vergönnt war, dem herrlichen Mann, dem edlen Priester, dem begnadeten Mönche zu begegnen.

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