Pflanzen - © Collage: Rainer Messerklinger

Fuchs zu Dame. "Himmelwärts" von Elisabeth Klar

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Elisabeth Klar feiert in ihrem Roman „Himmelwärts“ Transformationen und Maskierungen.

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Elisabeth Klar feiert in ihrem Roman „Himmelwärts“ Transformationen und Maskierungen.

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Der Brite David Garnett schrieb 1922 einen schmalen Roman mit dem Titel „Lady into Fox“, der 2016 von Dörlemann als „Dame zu Fuchs“ dankenswerterweise auf Deutsch neu aufgelegt wurde. Garnett war der Liebhaber des bekannten Malers Duncan Grant, der seinerseits der (heimliche) Vater Angelica Bells war, der Nichte Virginia Woolfs. Genau diese Angelica Bell wurde später Garnetts Ehefrau. So weit, so durcheinander. Nicht festgelegte Identitäten, sich widersprechende soziale Rollen und fluide sexuelle Orientierungen waren typisch für die Bloomsbury Group, den Schauplatz dieses flotten Reigens. Genau diese Themen verarbeitete Garnett auch in seinen literarischen Texten.

„Dame zu Fuchs“ erzählt davon, wie die frisch verheiratete Silvia Tebrick sich auf einem Spaziergang in eine Füchsin, eine Fähe, verwandelt und das Animalisch-Triebhafte mehr und mehr mit ihren anerzogenen Manieren ringt, während ihr Mann zu ihr hält und versucht, sie vor der feindseligen Menschenwelt zu schützen. Elisabeth Klar dreht in ihrem neuen Roman „Himmelwärts“ den Spieß um. Es dauert ein Weilchen, bis man merkt, dass das Füchsische keine Metapher ist. Klars Sylvia (den Namen darf man getrost als kleine Verbeugung vor Garnett begreifen) arbeitet im Prater und jagt auf der Mariahilfer Straße für die NGO „GlobalCare“ leicht zu überrumpelnde Spendenopfer. Zuhause fühlt sie sich in ihrer kleinen Wohnung, dem „Bau“, und im „Himmelwärts“, einer Gay-Bar mit spektakulären Drag-Shows.

„Du schaust aus wie ein Strizzi, sagt Adin, du siehst aus wie das Füchslein, das du bist, sagt Ronaldo.“ Sylvia ist tatsächlich eine Fähe. Und plötzlich versteht man auch ihr Verhalten, die Rastlosigkeit, das Bedürfnis, spielerisch zuzubeißen. Das trifft vor allem Sylvias Freund Jonathan. Dass dieser gerade aus Südamerika zurückkehrt, passt zu Klars magischem Realismus. Klar lässt reale Gegenwart, tagespolitische Ereignisse und eine fantastisch grundierte Welt, in der Tiere in Menschenhaut schlüpfen können, ineinanderfl ießen, ohne daraus eine Dystopie oder politische Parabel zu formen. Sie wirft Fragen auf, ohne sie beantworten zu wollen.

Wie sehr verändern wir uns, wenn wir in eine andere Haut schlüpfen? Was ist der Kern unserer Persönlichkeit? Hier sind alle verkleidet und gleichzeitig niemand.

Der zweite Handlungsstrang erzählt rückblickend von Jonathans Zeit als NGO-Mitarbeiter in Brasilien. Dort trifft er auf den Trans-Mann Feo. Das märchenhaft-fantastisch anmutende Szenario des weltoffenen, niemanden verurteilenden „Himmelwärts“ wird hart kontrastiert durch die brutalen Übergriffe, denen die LGBTIQ-Community in Brasilien ausgesetzt ist. Menschen verschwinden einfach, werden von der Familie verstoßen oder auf der Straße zusammengeschlagen, wie Feo und Jonathan. Nach seiner Rückkehr erlebt Jonathan selbst eine Transformation: ihm wachsen Flügel. „‚Wenn ich Flügel krieg’, meint er, ‚wieso tut das dann so verdammt weh?‘“

Das Motiv der Transformation von Menschen in Tiere (weniger häufig übrigens umgekehrt) hat lange Tradition. Als göttliche Metamorphose handelt es sich um eine Repräsentation der Macht, bei den Hexen ist es Ausdruck ihrer Verschlagenheit und Tarnung, Werwölfe stehen für das nicht zu unterdrückende Triebhafte, im Märchen ist die Verwandlung in ein Tier hingegen meist Bestrafung und Fluch. Verhandelt werden dabei fast immer Identitätskonflikte, der Kampf zwischen Selbstbestimmung, eigenem Empfinden und gesellschaftlichen Zuschreibungen und Beschränkungen, wie in der wahrscheinlich berühmtesten literarischen Transformation überhaupt, dem zum Käfer mutierten Gregor Samsa in Kafkas „Die Verwandlung“.

All diese Traditionslinien greift die 1986 geborene Wienerin auf und entwirft ein fantastisches Spiel um verschiedenste Formen der Maskerade und Transformation – vom Menschen zum Tier, vom Tier zum Menschen, von der Frau zum Mann, vom schwulen Mann zur alles überstrahlenden Queen – und zeigt dabei, dass man sich nicht zwangsläufig zwischen Identitäten entscheiden muss. Was ist Identität? Wie sehr verändern wir uns, wenn wir in eine andere Haut schlüpfen? Was ist der Kern unserer Persönlichkeit? Garnetts intellektuelle Bohème wird zur queeren Community. Hier sind alle verkleidet und gleichzeitig niemand: Das Drag der Queens zeigt ihr inneres Wesen genauso wie ihre ungeschminkte Männlichkeit, Identität ist keine Einbahnstraße.

Und so zeigt Klar auch die negativen Seiten von Maskierungen, nämlich dann, wenn diese kein Ausdruck von Identität, sondern ein Verstecken sind. „‚Sie haben das jetzt wirklich durchgebracht‘, sagt er. ‚Das Vermummungsverbot. Es wird schon zu einer Demo dagegen aufgerufen. Bald werden sie Demos auch verbieten. Dann ist Ruhe. Dann kommen sie die Schwuchteln holen, und dann bist du mich auch los.‘ Nein, die Schwuchteln werden sie nicht als Nächstes holen, denkt sie und setzt sich zu ihm aufs Bett. […] Als Nächstes holen sie Leute wie mich.“ Sylvia ist weder das einzige als Mensch getarnte Tier, noch macht sie es freiwillig. Ihr Revier wurde zerstört, die Maskierung wird ihr zum Schutzschild, so wie der Transmann Feo gezwungen wird, als Clara aufzutreten, um Repressionen und Gewalt zu entgehen. Eines aber ist immer gleich: Jede Maskierung ist auch eine Verwandlung. Jeder Gewinn auch ein Verlust. An einer kleinen Stelle schließt die von einer Wäscheleine gestohlene Menschenhaut nicht, da schimmert noch ein Stück rotes Fuchsfell durch: „Nur am linken Unterarm, dort wollte die Menschenhaut gar nicht zusammengehen. Die Menschenaugen und die Menschennase haben dann übernommen, und die Nase war stumpf, und was die Augen sahen, damit hat Sylvia nichts anfangen können: zu viel, zu scharf, zu bunt.“ Ganz kann niemand seine Herkunft ablegen.

Himmelwärts - © Foto: Residenz
© Foto: Residenz
Literatur

Himmelwärts

Roman von Elisabeth Klar
Residenz 2020
160 S., geb., € 20,–

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