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Für eine lebbare und verantwortliche Moral

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Am 27. September 1696 - vor 300 Jahren - wurde in Neapel Alfons Maria von Liguori geboren. Er war ein eifriger Seelsorger, einer der erfolgreichsten geistlichen Schriftsteller - seine Werke haben mehr als 20.000 Auflagen erlebt -, der Gründer der Kongregation der Be-demptoristen, die gegenwärtig in ungefähr 60 Ländern tätig ist, Rischof undfMoraltheologe.

Zum Moraltheologen wurde er nicht so sehr aus theoretischem und wissenschaftlichem Interesse, sondern aus pastoralen Notwendigkeiten. Die pastorale Not der Beichtväter und die Nöte der Gläubigen mit den zu strengen und zu laxen Beichtvätern hat ihn zum Moraltheologen gemacht.

Seine Moraltheologie war zeitweise heftig umstritten. Er hat dies vorausgesehen: „In diesem Buch werde ich es oft nicht allen recht machen. Die glühenden Anhänger der Strenge oder der Milde werden mich zu streng oder zu nachgiebig finden." Dieser Streit erreichte in Wien einen Höhepunktin „einer geheimen Sitzung des österreichischen Abgeordnetenhauses am 23. Februar 1901 über die Liguori-Moral", deren Protokoll veröffentlicht wurde. Manche sahen in seiner Moral „eine furchtbare Gefahr für die Sittlichkeit der Völker".

Sie untermauerten dies durch aus dem Zusammenhang gerissene Zitate, die auch heute noch Entsetzen hervorrufen können. Andere wieder bedauerten, daß nach den hoffnungsvollen Aufbrüchen der Moraltheologie in und nach der Aufklärung, für die bekannte Namen wie Johann Michael Sailer und Johann Baptist I lirscher stehen, sich in der Zeit der Bestauration wieder - mit starker Förderung der Päpste - die „Kasuistik" der alfonsianischen Moral durchsetzte und dominierend wurde.

Auch gegenwärtig gehört die Moraltheologie zu den heißen Eisen und sind moraltheologische Themen heftig umstritten. Dies zeigt sich auch im Kirchenvolksbegehren, das eine Reihe von moraltheologischen Fragen zum Thema hat. In dieser Situation kann ein Blick auf den Weg des heiligen Alfons hilfreich sein.

Die Moraltheologie des heiligen Alfons von Liguori ist eng verknüpft mit seiner persönlichen Lebensgeschichte und mit seinen spirituellen und pastoralen Erfahrungen. Ängstlich veranlagt - er litt zeitweise heftig an Skrupulosität —, neigt er zum Bi-gorismus. Diese seine Anlage wurde in der Zeit seiner theologischen Ausbildung durch den damals weithin herrschenden Bigorismus des Jansenismus verstärkt.

Am heiligen Alfons kann man erleben, wie aus einem Bigoristen der Vertreter einer humanen, einer lebbaren und verantworteten Moral wurde. Es waren vor allem drei Faktoren maßgebend.

1. Der heilige Alfons entdeckt den christlichen Glauben immer intensiver und stärker als eine Frohe Botschaft, als die Botschaft von der unbegreiflichen und unbegrenzten Liebe Gottes zu den Menschen. In unzähligen Variationen bringt er das Thema der Liebe Gottes, die sich für ihn vor allem in der Menschwerdung, dem Tode Jesu am Kreuz und in der Eucharistie äußert, in seinen geistlichen Schriften zur Sprache. Der Glaube an die Liebe Gottes verträgt sich nicht mit dem Bigorismus.

Nicht durch Härte und Strenge, sondern durch Liebe will Gott den Menschen für die Erfüllung seines Willens gewinnen. „Als Gott sah, daß der Wille des Menschen durch Liebesbezeugungen gewonnen werden kann, beschloß er, ihn mit Gaben und Geschenken an seine Liebe zu binden. Er hauchte ihm nicht nur eine Seele ein, sein eigenes Ebenbild, sondern schuf aus Liebe zu ihm Himmel und Erde und alles, was auf ihr lebt."

Die fortschreitende Entdeckung der Liebe Gottes, die durch Gebet und Meditation immer stärker sein Denken, Fühlen und Wollen prägt, ist zweifellos eine der Ursachen, warum er sich vom anfänglichen Bigorismus löst und zum Vertreter einer humanen Moral wird.

Für Alfons von Liguori sind der Glaube an den liebenden Gott und die Moral untrennbar miteinander verbunden.

2. Ein weiterer Faktor, der das moraltheologische Denken und Verhalten von Alfons beeinflußt hat, war die pastorale Erfahrung. Er wandte sich in seiner Pastoral vor allem den Kleinen, den einfachen und sozial schwachen Menschen zu; zuerst den einfachen Menschen auf den Straßen in Neapel, dann der pastoral völlig vernachlässigten Landbevölkerung, für die er auch die Kongregation der Re-demptoristen gegründet hat. Er läßt sich konfrontieren mit den Erfahrungen, die gerade diese Menschen mit den Moralvorschriften machen und will ihnen das Evangelium der liebe bringen.

Alfons bemüht sich um eine lebbare Moral, die die Menschen nicht überfordert. Dieses Bemühen zeigt sich auch darin, daß er die geistlichen Wachstumsprozesse erkennt, anerkennt und zu beachten fordert. So empfiehlt er zum Beispiel Beichtvätern, Gläubige, die in Unwissenheit moralische Vorschriften übertreten, in dieser Unwissenheit zu belassen, wenn sie zur Erfüllung dieser Gebote noch nicht fähig sind.

Alfons überprüft die Theorien an der Praxis. Der Blick auf den konkreten Menschen und die Liebe zu diesem Menschen hilft ihm, die strengen Forderungen des Bigorismus zu korrigieren. Er will den Menschen, soweit es sich nicht um klare Gebote Gottes handelt, nicht untragbare La: sten auferlegen und auch der Freiheit eine Chance geben. Das heißt nicht, daß er die Moral an die Bedürfnisse der Menschen anpaßt. Im Gegenteil, er beklagt diese Tendenzen: „Neapel ist verloren: Die Leute beichten nicht mehr, hören nicht mehr das Wort Gottes, und jeder Laie fühlt sich als Theologe und paßt die heilige Schrift, die Dogmen und die Moral seinen eigenen Bedürfnissen an."

3. Ein dritter Faktor, der die moraltheologische Entwicklung des heiligen Alfons maßgebend beeinflußte, war die Begegnung mit verantwortungsvollen Seelsorgern und Missionaren, denen er voll vertrauen konnte. Die Biographen nennen eine Rei-he von Namen dieser Mitbrüder. In Zusammenarbeit mit ihnen kann er, der anfangs selbst ängstlich und von rigoristiseheri Ansichten geprägt worden war, die innere Sicherheit gewinnen, die ihn gegen den Rigorismus und für eine humane, lebbare und verantwortete Moral kämpfen läßt.

„Lehrer" der Moral sind nicht nur die Theoretiker auf den moraltheologischen Lehrstühlen, sondern auch die Praktiker der Seelsorge, die unmittelbar erleben, wie es den Menschen mit den moralischen Normen ergeht, und die auf dem Hintergrund dieser Erfahrungen nach verantwortlichen Lösungen suchen.

Alfons wurde selbst zu einem Praktiker, an dem sich andere orientieren konnten. Notgedrungen wurde er auch zu einem Theoretiker, der sich seine Aufgabe nicht leicht gemacht hat: „Ich rufe Gott zum Zeugen an - Gott, dem ich mich zu seiner Ehre und Rettung der Seelen geweiht habe - daß ich nichts aus. Leidenschaft geschrieben habe, nichts, um mich den Aussagen dieser oder jener Autoren zu beugen, nichts aus besonderer Neigung zur Strenge oder Milde. In jeder Frage habe ich mich in langem Studium bemüht, die Wahrheitherauszufinden, vor allem in Fällen, die für die Praxis von besonderer Bedeutung sind." So wird er zum Gelehrten, der die Wahrheit sucht, aber sein Ziel bleibt die Praxis: „Ich erkläre feierlich, daß ich alles, was ich in der Moraltheologie veröffentlicht habe, nicht geschrieben habe, um milden Rufeines Gelehrten zu erwerben, sondern ausschließlich um der Ehre Gottes und des Heils der Seelen willen."

In den dreihundert Jahren, seit Alfons von Liguori geboren wurde, hat sich vieles geändert. Das merkt man sehr deutlich, wenn man in seinen Schriften liest, aber die drei Faktoren, die seinen Weg als Moraltheologen und sein Wirken als Priester maßgebend beeinflußt haben, sind auch heute aktuell.

Es sind dies: 1. Die ständige Vertiefung des Evangeliums als einer Botschaft vom liebenden Gott; 2. Der teilnehmende Blick auf die Menschen, die die moralischen Normen leben sollen; 3. Der lebendige Austausch der Erfahrungen unter denen, die unmittelbar in der Seelsorge stehen und nach verantwortlichen Lösungen suchen.

Der Autor ist

Redemptorist und Bischofsvikar für die Orden in der Erzdiözese Wien

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