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Für Gott, Gesetz und Vaterland...

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Europäische Beobachter der amerikanischen Jugendarbeit stehen nur zu oft vor der Versuchung, sie etwa mit der — übrigens ja auch längst der Geschichte angehörenden — bündischen Jugendbewegung, und zwar negativ, zu vergleichen. ,•..- sdad ort

Es ist richtig: in den USA gibt es keine „aus dem Geist einer neuen Jugend“ lebende Bewegung. Abgesehen von einer vor Jahrzehnten einmal aufflammenden und ebenso schnell wieder verschwindenden „Trampbewegung“ und etwa dem — allerdings für kurze Zeit groß aufgezogenen — Versuch, im „Amerikanischen Jugendkongreß“ so etwas wie eine Stimme der älteren, „progressiven Jugend“, „left from center“, zu organisieren (Eleanor Roosevelt hat ihren ganzen Einfluß für diese Sammlungsbewegung „linker“ Jugendkreise damals eingesetzt, mit dem Ergebnis, daß die skrupellose Fraktionsarbeit der Jungkommunisten sie sehr bald von innen zerstörte!), gibt es zwar an einigen Universitäten liberale, sozialistische, in letzter Zeit auch „neukonservative“ kleine Zirkel, die sich um ein ideologisches Gesicht bemühen, aber darüber hinaus gibt es nur Jugendpflegeverbände.

Das sind allerdings teilweise Millionenorganisationen.

Hier wird1 dem heranwachsenden Amerikaner nicht „Autonomie“, sondern Dazugehörigkeit beigebracht. Das Ziel all dieser Jugendorganisationen ist, den Mädchen und Jungen das Bewußtsein zu geben, daß sie organisch in die Existenz eines gesetzestreuen, gottesfürchtigen und tüchtigen Staatsbürgers hineinwachsen können.

Nur eine minimale Zahl findet später von sich aus den Weg zu speziellen weltanschaulichen Jungmännerzirkeln. Am ehesten tragen, so grotesk das auf den ersten Blick klingen mag, noch die zur Zeit ihres Aufkommens oft vorübergehend recht zahlreichen „F a n-Klubs“, in denen sich impulsiv etwa Enthusiasmus für Frank Sinatra, James Dean, Elvis Presley zusammenballt, etwas mit „Bewegung“ zu tun.

Nicht ganz so harmlos sind manchmal die jugendlichen „gang s“ aus ärmeren großstädtischen Vierteln, meist auf Grund rassischer, nationaler oder religiöser Unterschiede sich bildend: das heißt, in ein paar Spanisch sprechenden Straßenblöcken zum Beispiel rotten sich Halbwüchsige zu Cliquen zusammen, die einen Negerdistnkt mit „Krieg“ überziehen oder umgekehrt ... Abgesehen davon, daß es in solchen Straßenschlachten oft genug Verwundete oder Tote gibt, beginnt hier mehr als einmal wirkliche Jugendkriminalität.

All das ist „dezentralisiert“: die „Fan-Klubs“ haben zwar irgendwo eine zentrale Briefadresse; sonst beschränkt sich all ihre Tätigkeit auf lokale Geselligkeit. Die „gang s“ beruhen geradezu auf dem Prinzip der Abgrenzung Mit anderen „gang s“ befindet man sich abwechselnd im Kriegszustand, hat einen Waffenstillstand oder — vorübergehend — ein Bündnis abgeschlossen. Ein Ueberblick über die organisierte Jugendpflegearbeit wäre mißleitend, würde man am Rande diese außenseiterischen Hordenbildungen nicht erwähnen!

Was die Studenten betrifft, so muß übrigens daran erinnert werden, daß es neben den kleinen erwähnten politischen Zirkeln in den „f r a t e r n i t i e s“ und ihren weiblichen Parallelgruppen so etwas wie eine Imitation des deutschen Korporationswesens gibt, das — an einigen Universitäten verboten — gelegentlich unerfreulich snobistische und diskriminierende Eigenschaften aufweist, aber im großen und ganzen mit Recht als belanglos betrachtet wird. '

Die wirkliche organisierte Jugendarbeit wird, teilweise in Millionenverbänden, von Erwachsenen geleistet. Diese Organisationen, die übrigens nicht — etwa dem „Oesterreichischen Jugendring“ entsprechend — im nationalen Rahmen zu einer Dachorganisation zusammengefaßt sind, obwohl sie örtlich teilweise zusammenarbeiten, vermitteln heranwachsenden Jungen und Mädchen in der Freizeit das, was Schule und Elternhaus ihnen bereits nahezubringen versuchen, noch einmal und im Feld des Gemeinschaftslebens mit Gleichaltrigen im Lager und auf dem Gruppenabend: Erziehung zum Staatsbürger, entsprechend den jeweiligen häuslichen Variationen. '

Das gilt zuerst einmal für die Jugendpflege der drei Konfessionen, das „Protestant Youth Program“, das „C a t h o 1 i c Youth Program“ und das „J e w i s h Youth Program“. Nur lose Koordinierung besteht dabei im föderalen Bereich. Im allgemeinen lehnen sich die örtlichen Aktivitäten stark an Einzelkirchen bei den Protestanten (es gibt ja keine umfassende protestantische Kirche, sondern nur eine Art Bündnis der verschiedenen „d e n o m i n a t i o n s“ in zwei zentralen ..Councils“), an Synagogen der drei jüdischen Gemeindeformen (konservativ, liberal, orthodox) oder an die katholischen Diözesen an. Sehr oft überschneidet sich dabei die Jugendarbeit mit der Sozialarbeit am allgemeinen, so etwa im Bereich des „National Jewish Weifare Board“, in der „National Catholic Weifare Conference“ und in den meist überkonfessionell gehaltenen lokalen Sozialinstituten, in denen die Angehörigen der protestantischen Gliedkirchen in größerem Ausmaß mitarbeiten.

Während der Katholizismus seit langem eigene Studentenzirkel gebildet hat („N a t i o-nal Federation of Catholic Student s“). ohne dadurch Auseinandersetzungen hervorzurufen, sind zum Beispiel Parallelversuche auf jüdischer Seite auf starken Widerspruch in eigenen Reihen gestoßen, mit der Be-eiündung. daß man nicht gegen ..s e g r e-ga'f'ion kämpfen und sich selbst absondern kann.

Obwohl der — protestantischen — internationalen Vereinigung der „Christlichen Vereine lunger Männer“ angehörig (CV1M). hat der amerikanische YMCA (,.Y oung Men 's Christian Association“) in seinen über das ganze Land verbreiteten Hotels und Heimen, die alles, was man wünschen kann enthalten (vom Schwimmbassin zum Friseur, vom Restaurant zum Wäschereibetrieb, vom Lesesaal zum fremdsprachigen Kursus usw.). die konfessionelle Barriere niedergerissen. Ihm können Juden, Katholiken und Muselmanen ebenso beitreten wie Angehörige irgendeiner protestantischen Kirche oder Sekte, und gelangen dadurch in den Genuß der vielseitigen Freizeitgestaltung. Die Teilnahme an den speziell religiösen Veranstaltungen ist völlig freiwillig. Das hat dazu geführt, daß der YMCA ausdrücklich von dem Verbot der katholischen Kirche für junge Katholiken, dem CVJM anzugehören, ausgenommen worden ist. Sein weibliches Gegenstück, die „Young Women's Christian Assoziation“ (YWCA), arbeitet nach den gleichen Richtlinien. Beide Verbände haben zirka drei Millionen Mitglieder zusammen. Aber fast die doppelte Zahl dürfte jährlich vorübergehend an der Jugendarbeit teilnehmen.

Auffällig ist, daß es in den USA weder nennenswerte Gruppen der Sportjugend noch eine Gewerkschaftsjugend gibt. Während die Gewerkschaften als ganzes die Fragen der Lehr-lingsgesetzgebung usw. mitbehandeln, also kein Grund bestand, spezielle Jugendgruppen zu gründen, da jeder Werktätige der betreffenden Gewerkschaft angehören kann, unabhängig von seinem Geburtsdatum, haben jugendliche Sportenthusiasten alle Möglichkeiten, zuerst in der Schul- oder Hochschulmannschaft zu spielen und dann zu den „Berufsmannschaften“ überzuwechseln:

Die berühmten Baseball mannschaften zum Beispiel suchen Jahr für Jahr auf den Colleges vielversprechende Sportler, um sie für sich zu verpflichten. Gar nicht wenige Colleges — nicht ohne daß immer wieder dagegen von verantwortungsbewußten Erziehern öffentlich Sr%rm gelaufen wird — schleppen zum Ruhm der Schulmannschaft unzulängliche Studenten durch alle Examen, die dann später Berufsspieler werden. Für Sportvereine ist offensichtlich kein Bedürfnis vorhanden.

Daß das Amerikanische Rote Kreuz zirka 21 Millionen Mitglieder im „American Junior Red Cross“ hat, hat mit eigentlicher Jugendarbeit kaum etwas zu tun. Zwar werden „Erste-Hilfc-Kurse“ gegeben, gelegentlich auch Lehrgänge über Gesundheitsfragen; im wesentlichen aber beschränkt sich die Tätigkeit auf das Einsammeln bzw. Zahlen der Beiträge.

Nicht viel anders arbeiten die „Boys Clubs of. America“; wenngleich die zentrale Koordinierung der im wesentlichen selbständigen Einzelklubs weit weniger in Erscheinung tritt. Die Wirksamkeit der „Boys Clubs“ macht sich nicht zuletzt in städtischen Vierteln, die von ärmeren Schichten bewohnt sind, bemerkbar, wo sie teilweise auch mit von lokajen Polizeigruppen aufgezogenen Jugendklubs zusammenarbeiten, die der Jugendkriminalität vorbeugend entgegenzutreten versuchen.

Neben den ungefähr in der gleichen Form arbeitenden „Camp F i r e Girls“ und den .Girls Scouts of the USA“ haben die .Boy Scouts of Amerika“, obwohl in vielen Dingen formal erstarrt und fast völlig — ebenso wie alle anderen erwähnten Organisationen — auf die Initiative von Erwachsenen angewiesen, in ihren Formen Anklänge an die Fahrt- und Lagerromantik der europäischen Pfadfinderbewegung beibehalten.

Wenn man die „Randgruppen“, die wir erwähnten, beiseite läßt, haben alle amerikanisehen Jugendgruppen eine Reihe von Merkmalen gemeinsam: sie werden von Erwachsenen geführt und in so gut wie jeder Einzelheit des Organisationslebens bestimmt; sie haben kaum „überbündische“ Verbindungen zentraler Art; im Mittelpunkt aller Verbände — mit Nuancen -steht staatsbürgerliche Erziehung; sie haben keine „Sache“, für die sie „kämpfen“, vor allem keinen Gegner, den sie bekämpfen: sie sind selbstgenügsam im Sinne der Verbandszugehörigkeit; konformistisch, indem sie sich nicht als etwas „eigenes“, sondern als Vorbereitungsstätten für das Erwachsenwerden, verbunden mit den jeweiligen Idealen des Elternhauses, betrachten. Sie sind ein — nicht immer sonderlich originelles — Bollwerk anständiger Jugenderziehung gegen Jugendkriminalität. Sie erfüllen eine positive Funktion im nationalen Leben, obwohl sie keine „Jugendbewegung“ sind — es nie sein wollten.

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