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Digital In Arbeit

fürs TV-Fließband

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Ob „Euro-Cops“ oder „Weissenthaler“ - die Kennmelodien von Fernsehserien erfordern kreative und technisch perfekte Komponisten. Ihre Musik schafft Atmosphäre.

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Ob „Euro-Cops“ oder „Weissenthaler“ - die Kennmelodien von Fernsehserien erfordern kreative und technisch perfekte Komponisten. Ihre Musik schafft Atmosphäre.

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Wenn Donnerstag abend im ORF der „Weissenthaler“ seine kleinen Eitelkeiten in die Redaktion des Fantasieortes trug, hat ihn ein Tiroler eingeläutet. Werner Pirchner, ab 19. September als Komponist der neuen Signation den Öl-Hörern ständiger Begleiter, ist einer der wenigen komponierenden Zeitgenossen in Österreich, die von ihrer Arbeit leben können. Nicht zuletzt, weil er nicht „für die Schublade komponieren will“ und statt dessen auf die Anforderungen der Zeit eingeht.

Nach Innovationen, die Endpunkte darstellten, kam für Pirchner, Jahrgang 1940, die Erkenntnis, daß das Material nicht endlos ist. Die Forderung an den Komponisten sei es, verschiedene Ansprüche, unter Zeitdruck und mit begrenztem Budget, zu verwirklichen. „Mein wichtigster Lehrer, Bach, hat auch jeden Sonntag eine Kantate komponieren müssen“, sägt Pirchner. „Ich mach1 mir bei meinen Kompositionen keine großen Gedanken über die Nachwelt.“

Zum Durchkomponieren für die gesamte Weissenthaler-Serie fehlte das Geld, daher stellte er anhand eines Pilotfilms einen Musterkatalog verschiedener Melodien zusammen. Dünkel, daß diese Art von Arbeit zu gering sei und eines Komponisten nicht würdig, zerstreut er. „Nicht jeder, der Deutsch studiert,» ist ein Dichter.“ Und nicht alles ist eine Neunte Symphonie. Trotzdem schreibt Pirchner auch Symphonien und negiert in seinem (Luvre wie in seiner Biographie die Grenzen zwischen ernster und unterhaltender Musik. „Ernst“ ist zwar in unserem Sprachgebrauch oft „gut“ — aber in der Musik ist auch das Lustige gut.

Unter den Österreichern, die für TV arbeiten, ist der 1955 geborene Roland Baumgartner nicht zu überhören. Er schrieb die Musik für Folgen von „Peter Strohm“, die „Eurocops“ oder für die Priester-Serie „Mit Leib und Seele“. Baumgartner ist ein Wunderkind - was kreative und kommerzielle Arbeit betrifft. Er studierte bei Leonard Bernstein und war mit 21 der jüngste Direktor des Salzburger Musikschulwerks. Das Marketing-Talent - das seine Werke auch auf Telefonwertkarten druckt - hat eine Benefizveranstaltung für Kroatien auf die Beine gestellt, „Missa Paeis“. Ihre Uraufführung erlebte sie 1987 anläßlich des 200- Jahr-Jubiläums der amerikanischen Verfassung in Philadelphia.

VORBILD ENNIO MORRICONE

Bert Breits eindringlich-plakative Musiksprache kennt man aus „Zug um Zug“ von Wolfram Paulus und „Lebenslinien“ von Käthe Kratz. Der vielseitige Tiroler des Jahrgangs 1927 läßt die großen Vorbilder Nino Rota und Ennio Morricone hören. „Man sollte sich nicht genieren müssen“, legt er die untere Grenze des künstlerischen Anspruchs fest. Die Musik sug’geriert das Milieu, sie ist Anklang, nicht Abbild und hebt den Film in die Gegenwart, in welcher Zeit immer er auch spielt.

Wenn eine Fernsehserie lang genug läuft, beeinflußt sie die Vornamen einer ganzen Generation von Kindern. Über die Darsteller der ständigen Gäste in unseren Wohnzimmern, über ihre Regisseure erfahren wir, die Komponisten aber sind in gängigen Promotionsunterlagen höchstens eine Namensnennung wert. Vielleicht deshalb möchte Roland Neuwirth nicht als Fernsehkomponist gelten. Seine Titelmusik zum „Kaisermühlen-Blues“ sei keine Fernsehmusik, sondern stamme aus Liedern des Extremschramm- lers. Toni Stricker kennt man nicht nur von seinem nostalgischen Walzer für das „Ringstraßenpalais“, aber wer verbindet die „ Habsburger“- Dokumentation mit dem Namen des Komponisten Hannes Schalle? Trotzdem war es er, der die Einheit zwischen Bild, Spielfilmteilen, Trick und Moderation herstellte.

Blut - ein Dokumentarfilm für die Reihe Universum wird mit Musik unterlegt. Sie ist eigens komponiert - nicht viel teuerer als CDs mit vorgefertigten Melodien. Filmkomponist Gottfried Kinsky-Weinfurter komponiert erst anhand des Drehbuchs und, sobald der Film fertiggestellt ist, mit einer Video-Kopie mit Zeitleiste, in kleinen Stücken, exakt zum Bild. Das Komponierte macht die Bilder wohnzimmergerecht erträglich oder es verstärkt: Wenn eine Trickaufnahme zwei Blutteilchen wie ein Puzzle aneinander andockt, läßt ein perfekt abgestimmtes Geräusch die Seher nicht im geringsten Zweifel, verstärkt gleichsam das Gesehene. Musik hält das Publikum bei der Stange, ab und zu — etwa zwei Mal in 30 Minuten darf sie mit einem charakteristischen Thema Aufmerksamkeit an sich ziehen. Wenn auch vieles synthetisch am Computer vorgefertigt wird, gibt es doch Stücke für Orchester, die von den Musikern höchste Perfektion verlangen.

Was Pirchner freut: daß ihm mit seiner Fernsehmusik Leute ganz anderer politischer Richtung zuhören. Bert Breit möchte „bei allem Emst den Spannungszustand der Welt nicht bejammern, sondern ihn durchschaubar machen und verändern“.

Auch Roland Baumgartner hat in seinem Tantiemen-Reichtum die Humanität nicht vergessen: Er widmete Hermann Gmeiner, dem SOS- Kinderdorf-Begründer, ein eigenes Musical.

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