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Fun Ringe

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Die Olympiaflagge hat sich gesenkt — fünf Ringe schauten nochmals nachdenklich auf uns herab. Nur fünf?

Pierre de Coubertin, der Wiedererwecker der Olympischen Spiele, mag dabei vor mehr als 60 Jahren an das Pentathlon, den klassischen Fünfkampf, angeknüpft, sicherlich aber auch an die fünf Erdteile gedacht haben, und mit ihnen an ihre verschiedenartigen Bewohner, die sich unter der Flagge zu friedlichem Wettstreit einigen sollten. Die Zeit war günstig für so hohe Ideale. Vollbepackt mit den romantischen Griechenschwärmereien des vergangenen Jahrhunderts, schickte sich das anbrechende neue zu großer Fahrt mit vollen Segeln an. Von der ersten modernen Olympiade in Athen 1896 über die erste Winterolympiade in Chamonix 1924 bis zur eben beendeten 8. Winterolympiade im kalifornischen „Tal der Indianerfrau“ ist die Idee einen Weg harter Prüfungen und Bewährungen gegangen. Vielleicht die denkwürdigste Station auf diesem Weg: Berlin 1936, in entscheidender Stunde eine letzte weltmännische Geste des Supernationalismus: neben der „weißen Herrenrasse“ auch Juden und Neger mit Gold und Palme zu schmücken ...

Wenn nun in den letzten Wochen unter der Kompromißflagge Schwarz-Rot-Gold mit den fünf Ringen das zweigeteilte Deutschland nach außen hin Schulter an Schulter, hinter den Kulissen freilich mit erbitterten persönlichen Auseinandersetzungen zum sportlichen Kampf antrat, so fehlte dieser Geste aller schwärmerische Schwung von ehedem. Eine rauhe Wirklichkeit beginnt vielmehr in unseren Tagen das einstige romantische Ideal mit neuen Inhalten, aber auch mit neuen Versuchungen und Gefahren zu füllen.

Denn hinter den fünf sichtbaren zeichnen sich neue unsichtbare Ringe ab.

Man betrachte einmal aufmerksam an den Photos der wendigen Reporter die verbissenen, verzerrten Gesichter der sauerstoffgedopten Sieger oder die erschütternden Weinkrämpfe, Ausbrüche und Zusammenbrüche der Geschlagenen, und es wird klar, daß diese Kämpfer nicht mehr ganz, dem Wortlaut des Olympischen Eides folgend, ritterlich und fair „zum Ruhme des Sportes“, sondern mehr für die „Ehre der Nation“ streiten — um jeden Preis.

Man überhöre ferner nicht zwischen den Beteuerungen des allerstrengsten Amateurismus die Nebengeräusche der Profession und des Kommerzes. Gewiß, wir werden das Geschäft und die Werbung vom Sport nicht mehr ganz fernhalten können. Aber schließlich geht es ja letzten Endes, wie wir's auch drehen und wenden, zuvorderst um die sportliche Leistung und nicht um den Absatz von Wachs, Holz, Metall, Limonaden und Kraftnahrungen, nationalen Trachten und internationalen Urlaubsplätzen.

Wir müssen also das richtige Maß dafür rinden und von den immer noch begeisterten jungen Leuten nach Möglichkeit ungebührliche Zumutungen und nervliche Sonderbelastungen fernhalten. Daß sie das selber in den letzten Wochen inmitten der Monsterschau von Squaw Valley bis zu einem gewissen Grad vermocht haben, spricht für sie — und die unverwüstliche Idee.

Diese Idee steht noch.

Und die Hagge weht noch, ja sie soll in vier Jahren sogar über einer österreichischen Stadt wehen. Sehen wir zu, daß dann nur fünf und nicht sechs und sieben Ringe darin prangen!

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