"Fundamentals" nicht vergessen

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Mohsin Hamids "Der Fundamentalist, der keiner sein wollte".

Amerikakritische oder selbstmitleidige literarische Werke über das Leben in den USA nach 9/11 haben in den letzten Jahren ihren Weg auch auf den deutschsprachigen Buchmarkt gefunden. Wo aber blieben bei all diesen 9/11-Romanen die Stimmen der anderen, der Blick in deren Heimatländer?

Mit Mohsin Hamid meldet sich nun ein englischsprachiger gebürtiger Pakistani zu Wort, der jene "beiden Welten" kennt, die plötzlich einander gegenüber standen - auch im Inneren der Menschen. Sein Roman "Der Fundamentalist, der keiner sein wollte" ist ein schmales, spannendes und in einem Zug zu lesendes Werk. Es umreißt die gesellschaftlichen Veränderungen seit dem 11. September 2001 in den USA ebenso wie jene viel zu wenig bekannten in Pakistan.

Monolog in Pakistan

Ein Gespräch wird da geführt, doch der Leser hört das Gegenüber nicht, lernt es nie kennen - außer vielleicht am Ende, aber das sei hier nicht verraten. Ein Monolog eines redseligen gastfreundlichen Pakistani, der zurückgekehrt ist von den USA in seine Heimatstadt Lahore. In einem Café in der Altstadt spricht er einen Fremden an, wohl ein reisender Amerikaner: "Sie brauchen keine Angst vor meinem Bart zu haben: Ich liebe Amerika." Er redet, während sich die Altstadt belebt, während die beiden trinken und essen, während die Altstadt leer und unheimlich wird, weil die Nacht hereingebrochen ist. Immer noch sein Leben erzählend, begleitet er sein Gegenüber zum Hotel.

Der Princeton-Abgänger arbeitete zunächst in New York erfolgreich in einer Unternehmensberatungsfirma, also der Kathedrale der neuen Religion des Professionalismus und der Effizienz. "Und immer an die Fundamentals denken." Das Leitprinzip: Firmen zu analysieren, um festzustellen, wie viele Menschen entlassen werden können. Das Credo: maximale Produktivität. Nicht um islamistischen Fundamentalismus geht es also, sondern um die Fundamente des amerikanischen Kapitalismus. Um den Glauben ans Fass-und Messbare, der beruhigend wirkt in Zeiten, in denen alles andere sich beunruhigend wandelt. Denn der vermeintliche amerikanische Fortschritt entpuppt sich als Rückschritt, wie Changez nach dem 11. September 2001 erschreckt feststellen musste.

Um dazuzugehören, arbeitete der junge Pakistani hart, sehr hart - bis ihm auf einmal ein Licht aufging. ",Bekümmert es Sie', fragte er, ,dass Sie Ihren Lebensunterhalt damit verdienen, das Leben anderer zu zerrütten?' ,Wir bewerten nur', antwortete ich." Und erinnert wird an die Janitscharen, jene Christen, die als Soldaten in der muslimischen Armee die eigene Zivilisation zu zerstören halfen.

Der Autor verwebt Anzeichen für derartige "fundamentalistische" Religionen auch in die individuelle Geschichte seines Erzählers. Neben der Enttäuschung über seine neue Heimat muss Changez nämlich mit seinem persönlichen Scheitern in Sachen Liebe fertig werden. Erica liebte einen Toten, in dessen Rolle Changez, seine Identität verleugnend, jedoch vergeblich zu schlüpfen versuchte. Derart eingeschlossen in die Vergangenheit oder einen Traum von Vergangenheit, wurde sie ähnlich unnahbar wie religiöse Eiferer. Auch sie entschied sich für ihre Wahrheit und den Tod, statt für den Lebenden und das Leben.

Mohsin Hamid wuchs in Lahore auf, studierte in Princeton und Harvard und arbeitete in New York. Zurzeit lebt er in London und schreibt für Time, Guardian und New York Times. Er kennt wohl die Situation eines Menschen zwischen den Welten, von der er erzählt. Das Individuelle mit dem Gesellschaftlichen verknüpfend, strapaziert er auch gängige Klischees. Geschickt spielt er mit möglichen Vorurteilen des Lesers und nutzt sie für den stringenten Aufbau der Spannung, die anhält - bis zum letzten Satz.

Der Fundamentalist, der keiner sein wollte

Roman von Mohsin Hamid

Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2007. 192 Seiten, geb., € 18,50

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