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Furchtlosigkeit und Wohlwollen

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lUTan liest und hört oft von der „Kluft" zwischen dem Schaffen der zeitgenössischen Komponisten und dem Publikum. Gibt es sie wirklich — und ist sie unüberbrückbar? Wenn man sich die Tonbänder mit elektronischer Musik und die Werke der jüngsten „Seriellen“ anhört, so muß man den Pessimisten recht geben. Aber auf dem Gebiet des Musiktheaters — der Oper und des Balletts — kann, so meinen wir, von einer Isolierung der neuen Musik kaum ernsthaft die Rede sein. Denken wir nur an die szenischen Werke eines Hindemith, Weill, Orff, Blacher oder Einem, denken wir an die Schweizer Honegger, Martin, Sutermeister und Liebermann, an die Franzosen Roussel, Milhaud, Aurie, Poulenc und viele andere: ihre Werke zu hören, bereitet einem aufgeschlossenen Publikum wirklich keine Schwierigkeiten. — An einer der ersten Stellen dieser langen Reihe müßte auch der Name Werner Egks stehen, über den Arthur Honegger (der in seinen Betrachtungen über die Musik der Gegenwart keineswegs einem rosigen Optimismus huldigt) gesagt hat:

„Die Musik von Werner Egk ist vor allem lebendig, kraftvoll und farbig. Ihre Stärke stammt aus den gleichen Quellen, die die Meisterwerke unseres Jahrhunderts gespeist haben. Seine Musik begnügt sich keineswegs mit der Rückwendung zu neoklassizistischen Formeln, die uns so häufig enttäuscht haben … Egks Sprache ist direkt, manchmal urwüchsig, häufig voll Charme, sie berührt den Hörer unmittelbar und ist allgemein verständlich.“

romantischen Rausch- und Affekttheater, anderseits vom epischen Theater Brechts und Weills, das „lehrhaft“ sein will, indem es den Menschen als Marionette zeigt, die nach den Gesetzen der Wirtschaft und den primitivsten Triebkräften — Hunger und „Liebe“ —' agiert und reagiert. Was Egk also auf dem Theater interessiert, ist weder der psychologisch-neurotische Sonderfall noch das klassenkämpferische Lehrstück. Ihm geht es um das Allgemeingültige, jenseits zeitlicher und sozialer Bedingungen: um den freien Menschen in der Entscheidung. — Daher wird so häufig in den Bühnenwerken Egks, bevor sich der Vorhang schließt, Gericht gehalten über den Helden. So hat sich Columbus vor Isabella zu verantworten, Peer Gynt vor Solveig und Aase, Don Juan vor seinen Opfern, Abraxas, am Höllentor, vor seinen Gegenspielern.

Werner Egk, 1901 im bayrischen Auchsesheim geboren, kommt vom Theater. Schon während seines Musikstudiums schrieb er Szenenmusiken für die „Münchener Schaubühne“ und arbeitete einige Jahre später für das Marionettentheater Münchener Künstler. Dort lernte er das Puppenspiel von Dr. Johannes Faust und „Die Zaubergeige“ des bayrischen Grafen Pocci kennen. Beide Themen greift er später auf: das eine in dem „Abraxas“-Ballett, das andere in seiner ersten Oper „Die Zaubergeige".

Aber zunächst führte ihn sein Weg zum Rundfunk. Durch Vermittlung von Kurt Weill erhält er den ersten Auftrag für Berlin, und auf Anregung von Gerhart von Westerman verfaßt er für den Münchener Sender eigene Hörspiele und schreibt zahlreiche Rundfunkkompositionen. In jenen Jahren schlossen sich in München die Komponisten Carl Orff, Karl Marx, Fritz Büchtger und Werner Egk zu einer „Vereinigung für zeitgenössische Musik“ zusammen, und für die ersten, von Hermann Scherchen geleiteten Musikfestwochen von 1931 schrieb Egk das weltliche Oratorium „Furchtlosigkeit und Wohlwollen“ auf einen selbstverfaßten Text nach einer indischen Legende. Diese episch berichtende Dichtung — stilistisch dem Brechtschen Lehrstück verwandt — ist bereits sosehr echter Egk, daß, als sich der Komponist 1959 zu einer musikalischen Neufassung entschloß, das Libretto unverändert bleiben konnte. — 1932 wird das erste Werk Egks aufgeführt, das Aufsehen erregt: die Rundfunkoper „Columbus“, zu der er sich gleichfalls den Text selbst schrieb und die zehn Jahre später in Frankfurt unter dem Titel „Columbus - Bildnis und Bericht“ szenisch aufgeführt wurde. Hierauf folgte eine Werkreihe, die von allem Anfang an für die Bühne konzipiert wurde. Zunächst seien die Opern genannt: „Die Zaubergeige“ (1935), „Peer Gynt“ (1938), „Circe (1948, nach Calderons Lustspiel „El mayor encanta amor“), „Irische Legende“ (1955, nach einem Stück von William Butler Yeats) und zuletzt „Der Revisor“ (1957, nach Gogol). - Interessant an dieser Reihe ist, daß jeweils auf eine Komödie ein ernstes Stück folgt. Die letzteren haben ein zentrales Thema (das sie übrigens mit zwei Handlungsballetten Egks: „Juan von Zarissa“ und „Abraxas“ teilen): die freie Selbstverantwortung des Menschen. Damit distanziert sich der Textautor Egk einerseits vom

In allen seinen Bühnenwerken ist Egk um eine einfache, interessante und allgemeinverständliche Handlung bemüht. Dies trifft auf jedes der genannten Bühnenwerke zu, mit Ausnahme vielleicht der „Irischen Legende“, wo Egk, durch den irischen Dichter Yeats verführt, seine Oper ein wenig mit Symbolen und Gedanken überfrachtet hat. Zu den handfesten Grundsätzen des Dramatikers und Theatralikers hat Egk schon sehr früh gefunden. Anläßlich der Premiere seiner ersten Oper „Die Zaubergeige“ hat er in dem vielzitierten „Lochhamer Opernbrief“ auf unterhaltsame Weise davon gesprochen (Lochham bei München ist der ständige Wohnsitz des Komponisten). — Egk beschreibt in diesem „Brief“ seine Empfindungen, wenn er nicht als Musiker vom Bau, sondern gewissermaßen „auf Urlaub", als gewöhnlicher Zeitgenosse, der sich unterhalten will, in der Oper sitzt. Regelmäßig bemerkt er dann mit Mißfallen, daß er nur mangelhaft auf seine Rechnung kommt. Entweder er kann um keinen Preis herausbekommen, was auf dem Theater gespielt wird, oder er bemerkt viel zu früh, wie das Stück ausgehen wird. Im zweiten Akt beschleicht ihn häufig eine gewisse Schläfrigkeit, die er darauf zurückführt, daß die Handlung zu oft steckenbleibt, um den Sängern Gelegenheit zu geben, sich auszubreiten. „Sicher handelte es sich“, schreibt Werner Egk, „meist um zauberhafte Gesänge, gegen die man schwer etwas sagen kann, aber sie dauerten etwas zu lang, die Melodien werden zu oft auf ein raffiniertes Prokrustesbett gestreckt, gedehnt und gewendet, was sicher ein ungewöhnlich kunstvolles Verfahren darstellt, leider aber der gewöhnlichen theatralischen Spannung abträglich ist. Ganz deutlich habe ich übrigens festgestellt, daß an den betreffenden Stellen auch andere Leute als ich, ja eigentlich die Mehrzahl — sichtlich Schlafaugen bekamen. — Ich erschrak natürlich sehr und beschloß im stillen, bei meiner Oper alles zu vermeiden, was die Leute einschläfern könnte."

Aber die klug und geschickt angelegte Handlung ist nicht das einzige Mittel, mit dem Egk das Interesse seines Publikums stets wachzuhalten versteht. Wenn das Textbuch beziehungsweise das Ballettszenarium bis ins Detail ausgearbeitet ist, dann tritt der Musiker auf den Plan: ein süddeutscher, ein bayrischer Musikant, mit ausgeprägter Affinität zur romanischen Klangwelt. Ein Musiker, der die Meisterwerke seiner Zeit und der unmittelbar vorausgegangenen aufmerksam gehört und davon profitiert hat. Von Egks Vorbildern wäre in erster Linie wohl Maurice Ravel zu nennen, von den Zeitgenossen der frühe und mittlere Strawinsky, ferner Honegger und Bartök. Einfache, zuweilen auch große, aber meist geschlossene Formen (Nummern), gute Proportionen, plastische, einprägsame Themen und eine überaus farbige, ja raffinierte Orchestrierung, das sind die hervorstechenden Qualitäten von Egks Musik, die wir auch in der langen Reihe seiner Orchester- und Kammermusikwerke konstatieren können. Hier, in den Instrumentalwerken und Liedern, von der „Georgika"von 1934 über die „Geigenmusik“, die „Französische Suite nach Rameau“, die „Tentation de Saint Antoine“, die „Italienischen Lieder“ und „Chanson et Romance"bis zum vorläufig letzten Orchesterwerk, den „Variationen über ein karibisches Thema“ lebt sich die heitere und spielerische Natur des Komponisten aus. — Übrigens können die meisten Orchesterwerke Egks, so zum Beispiel „Allegria“ oder die Orchestersonate, als Ballettmusik verwendet werden. Auch das zuletzt genannte Variationenwerk wurde im vergangenen Jahr unter dem Titel „La Danza“ als Ballett gegeben. Denn allen diesen Werken eignet jener gestische Charakter, der die Opernmusik Egks auszeichnet und der trotz des oft bedeutenden Schwierigkeitsgrades Egkscher Partituren immer wieder Regisseure, Dirigenten, Sänger-Schauspieler und Tänzer verlockt, sich an ihnen zu erproben.

Eine Würdigung Werner Egks wäre unvollständig, wenn der Wortkünstler, der gewandte und treffsichere Essayist nicht wenigstens erwähnt würde. Vor kurzem ist unter dem Titel „Musik — Wort — Bild“ im Langen-Müller-Verlag zu München ein Auswahlband erschienen, der neben selbstverfassten Libretti und autobiographischen Beiträgen Betrachtungen und Gedanken Egks, vor allem über die Oper in unserer Zeit, enthält. Hier werden einem größeren Publikum auch eine Reihe von Zeichnungen und Bildern Werner Egks vorgelegt, in denen sich noch einmal die Formulierungskraft und Treffsicherheit des Komponisten manifestieren.

Folgende Werke Werner Egks wurden von der „DEUTSCHEN GRAMMOPHON GESELLSCHAFT“ auf Platten aufgenommen: Geigenmusik mit Orchester (1936), Elisabeth Bischoff (Violine), Orchester des Berliner Rundfunks unter der Leitung des Komponisten. — URLP 7022.

Kleine Abraxas-Suite (1947), RIAS-Symphonieorchester unter Ferenc Fricsay. — UPM 72050 LVM.

Französische Suite (1949), RIAS-Symphonieorchester unter Ferenc Fricsay. — 18401 LPM.

La Tentation den Saint Antoine (1945), Lilian Benningsen (Alt), Koeckert-Quartett. — 18401 LPM.

Die Zaubergeige (1935/1954), ein Auswahlprogramm unter der Leitung des Komponisten. — 19062.

In Vorbereitung: Italienische Lieder und Variationen über ein karibisches Thema.

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