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Gaste und Feste im Streicherhof

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Die nachfolgenden Erinnerungen aus Alt-Wien verdanken wir Frau Maria Streicher, der Witwe des Verfassers, der, ein Urenkel von Schiliers Jugendfreund, Andreas Streicher, im Vorjahre, 86 Jahre alt, in Wien gestorben ist. Ein ganz eigenartiger Reiz geht von diesen Plaudereien aus, die vom alten Streicherhof und seinen berühmten Gästen (von Grillparzer und Beethoven bis Liszt und Brahms, von Laroche und Laube bis zum Grandseigneur Graf Esterhazy und dem Biergewaltigen Dreher) im frischen, schlichten Ton des Tagebuches erzählen. Alt-Wiener Geselligkeit und Geistigkeit offenbart sich hier in einer überreichen Fülle fesselnder Gestalten und Begebenheiten, verklärt durch einen Kranz liebenswürdiger Anekdoten vom Menschlichen im Hohen, vom Kleinen im Großen. Wir glauben, mit dieser Veröffentlichung einen weitere Kreise ansprechenden Beitrag zur richtigen Würdigung einer Zeit zugänglich zu machen, die wir die gute alte nennen, weil wir noch keine bessere neue gefunden haben. ; Die.Redaktion

Mein Urgroßvater war der Jugendfreuni Friedrich Schillers, Andreas Streicher. E: begleitete im Jahre 1782 den Dichter au: seiner Flucht aus Stuttgart nach Mannheim

Ia späteren Jahren verkehrte 'Beethovet in meines Urgroßvaters Haus im 3. Bezirk Ungargasse 46. Der heutige Streicherhof Ungargasse 27, wurde erst von Johant Baptist Streicher, dem Sohn des Andreas erbaut. Er war mit Nanette Stein, dei Tochter des berühmten Klavierbauers Steir in Augsburg, verheiratet. Nanette, die vor Jugend auf in der Werkstatt ihres Vaten mitgearbeitet hatte, war im Klavierbau sehi bewandert. Daher begann das Ehepaar nad seiner Übersiedlung nach Wien begreiflicher weise mit der Klaviererzeugung und hatt schöne Erfolge. Aber erst ihr Sohn Johanr Baptist, mein Großvater, war es, der di Klavierfabrikation in größerem Stil betrieb Er erfand viele Verbesserungen im Klavier bau und verstand es, durch seine TüchtigkeM und seinen Unternehmungsgeist die Klavierfirma Streicher bekannt und weltberühml zu machen.

Johann Baptist hatte drei Söhne. Meir Vater, namens Carl, war der zweite Sohn Der dritte und jüngste, Emil, war der Vatei Theodors, des bekannten Komponisten, dei also mein Vetter war. Er ist bekanntlich vor einigen Jahren gestorben.

Meine Eltern hatten ein Landhaus in Pötzleinsdorf. Sie zogen meist schon im April hinaus „aufs Land“, wie man damals in . Wien sagte. Sie vertrugen nämlich im Sommer die Luftlosigkeit der engen Kochgasse in der Josefstadt nicht, wo wir wohnten.

Der Schule wegen, die damals erst End Juli abschloß, durfte ich zunächst nicht mit aufs Land hinaus. Ich kam \u meinem vielgeliebten Großvater Johann Baptist in die Ungargasse 27 „in Versatz“. Damals war die Klavierfirma Streicher eine der ersten am Wiener Platz. Es kam die ganze große Welt in den „Streicherhof“, wo zur damaligen Zeit auch die meisten Klavierkonzerte stattfanden. So lernte ich als Knabe vom Jahre 1866 bis 1871, in welchem Jahre Großvater starb, eine Menge hervorragender Industrieller, Künstler und hoher Offiziere kennen, da ich, wenn schulfrei war, Großvater n.cht von der Seite ging.

In erster Linie will ich Franz Liszt erwähnen. Er war ein guter Bekannter der zweiten Frau meines Großvaters, die eine Klaviervirtuosin war. Sie hieß mit ihrem Mädchennamen Friederike Müller und war eine Lieblingsschülerin Chopins in Paris. Dieser hatte ihr sein Opus 46 gewidmet. Liszt nannte sie deshajb oft scherzweise „Mademoiselle Quarante-six“ Als Liszt nach Wien kam, machte er ihr einen Besuch im Streicherhof und seither kam er häufig zu uns in den „Streicherbof“, wo er im Klaviersaal mit Vorliebe die Konzertflügel versudite. Dabei nahm er mich oft auf den Schoß, hielt mich mit einer Hand und spielte mit der anderen Klavier. Am liebsten wir er mir, wenn er mein Leiblied, den „lieben Augustin“, mit Variationen spielte. Er kam immer :m „Unnümmerierten“, einem feschen Fiaker, der keine Nummer führte: im damaligen Wien das höchste an Eleganz. Häufig lud er mich ein und führte mich gewöhnlich zum Hof-zuckerbäcker Demel am M;chaelerplatz auf ein „Gefrornes“. Dort trafen wir fast immer eine feine Dame, die Liszt duzte und mit Francois ansprach. Daher nahm ich die Gewohnheit an, dasselbe zu tun. Obwohl es mir Großvater * strenge verbot, tat ich es immer wieder, wenn es dieser nicht hören konnte. Liszt war es scheinbar recht.

An einem wunderschöner Maientag kam Liszt wieder und holte mich ab, um mit mir nach Schönbrunn zu fahren und den Affen einen Besuch abzustatten, wie er lächelnd zu Großvater sagte. Wir kauften in Hietzing Brot und Zucker, dann ging die Fütterung los in der Menagerie: Elefanten und Bären, Federvieh und Affen bekamen ihren wohlverdienten Anteil.

Als wir aus der Menagerie in den Schönbrunnerpark einbogen, kam ein Offizier auf uns zu. Er sprach Liszt an, der eine tiefe Verbeugung machte. Ich erkannte ihn gleich, es war Erzherzog Rainer, ein Vetter Kaiser Franz Josephs, damals der volkstümlichste Erzherzog. Ich hatte den Erzherzog bei Großvater öfter gesehen. Erzherzog Rainer interessierte mich besonders deshalb, weil jeder Arbeiter, der im Klaviersaal an ihm vorbeikam, dem Erzherzog die Hand küßte, oft mit halber Gewalt, wenn dieser eine Abwehrbewegung machte.

Er- schaute mich an, und ich muß ihm bekannt vorgekommen sein, denn er sagte zu Liszt: „Den Knaben kenne ich“ — und machte ihm, der mich jedenfalls vorstellen wollte, eir ablehnendes Zeichen. Dann fragte er mich: „Wer bin ich?“ Ich antwortete: „Erzherzog Rainer“. „Kaiserliche Hoheit“, besserte Liszt mahnend aus. „Pardon“, sagte jener, „der Knabe hat richtig geantwortet, ich fragte ihn nur um meinen Namen und nicht um meine Titel!“ „Jetzt weiß ich auch, wer du bist“„ wandte er sich zu mir, „der Enkel vom Klaviermacher Streicher“. Wie ich später erfuhr, war es Erzherzog Rainers Stolz, ein gutes Physiognomiegedächtnis zu haben.

Dann erkundigte sich der Erzherzog, ob wir schon in der Menagerie waren. Auf unsere Bejahung fragte er mich: „Welches Tier hat dir denn am besten gefallen?“ Der AfP mit dem roten Po ..“ war meine etwas vorschnelle Antwort. Der Erzherzog stutzte einen Moment, dann schüttelte er sich vor Lachen und auch Liszt lachte ein wenig verlegen, so wie man in Krakau weint. loh wurde feuerrot, merkte ich doch, daß ich etwas Unpassendes gesagt hatte. Der Erzherzog aber, dem meine Verlegenheit jedenfalls leid tat, legte mir tröstend die Hand auf die Schulter und sagte: „Mach' dir nichts draus, naturalia non turpia!“

Als wir zu Hause angekommen waren, (ragte mich Großmutter wie immer dei langen und Weiten aus, was ich mit Liszt erlebt hatte. Ich erzählte wohl von der Begegnung mit dem Erzherzog, verschwieg aber die unschickliche Antwort, die ich ihm gegeben hatte. Als aber bald danach Liszt wieder erschien', erzählte er Großvater lachend die Episode vom Mandrill. Als er sah, daß ich mich meiner Antwort an den Erzherzog schämte, tröstete er: „Jetzt ist alles wieder in Ordnung. Damit du aber auf andere Gedanken kommst, werde ich dir den Rakoczy-marsdi vorspielen.“ Sprachs, saß schon am Flügel und spielte, wie eben nur Liszt spielen konnte. Als er in Feuer kam, konnte man glauben, ein ganzes Orchester zu hören. Er hatte enorm große, namentlich lange Hände und spannte gut eineinhalb Oktaven. Ähnliche Hände sah ich nur noch bei Clara Schumann, die auch zu den ständiger Gästen des Hauses Streicher gehörte.

Für sie stand ein eigener Konzertflügel bereit, ebenso für Johannes Brahms, der fast täglich vormittags erschien und bis Mittag spielte. Ob er komponierte oder nur übte, weiß ich nicht. Es kümmerte mich damals wenig. Eines Morgens kam Brahms und sagte zu Großvater, er könne heute nicht spielen, weil er sich in einen Finger der linken Hand geschnitten hätte. Plötzlich stutzte er und fragte: „Wer spielt denn da Klavier, das muß die Clara Schumann sein,“ Auf Großvaters Bejahung sagte'er: „So schön spielt niemand anderer! Herrlich, herrlich!“ Dann erklärte Großvater: „Sie spielt ihr Konzertprogramm vom morgigen Tag durch, sie konzertiert nämlich morgen bei mir im Saal.“ Brahms meinte: „Ich möchte ihr gerne guten Tag sagen, befürchte aber, sie zu stören.“ „Warten Sie“, erwiderte Großvater, „ich werde meine Frau hineinschicken, die wird diplomatisch vermitteln“, und mir befahl er: „Hole rasch Großmutter herbei!“ Ich lief zu Großmutter und kam bald mit ihr zu den Herren zurück. Sie begrüßte Brahms, man erklärte ihr die Situation und bat sie, die Schumann auf den Besudi von Brahms vorzubereiten. Dann ging Großmutter mit mir zur Schumann.

Diese sagte gleich auf Großmutters schüchterne Anfrage: „Natürlich soll Brahms hereinkommen. August lauf und bring ihn herbei!“ Ich nahm den Auftrag wörtlich, lief zu Brahms hinaus, packte ihn bei der Hand und zog ihn zu Clara Schumann hinein. Nachdem sie sich begrüßt hatten, erzählte ihr Brahms unter anderem, daß ich mit Liszt in Schönbrunn gewesen sei. Großvater hatte es ihm wohl mitgeteilt, während ich Großmutter holte. Die Schumann meinte, ich sei direkt zu beneiden und ich sollte nun genau erzählen, wie und wo überall ich mit Liszt schon gewesen sei. Namentlich über die ' geheimnisvolle Dame bei Demel wollte sie alles wissen. Ich selbst wußte aber gar nichts weiter von dieser Dame, konnte also mit bestem Willen nichts erzählen. Nun sagte Brahms zu Clara Schumann: „Spielen Sie August den Schönbrunnerwalzer vor„ vielleicht fällt ihm dann etwas ein!“ Sie erwiderte: „Ich würde ihn gerne spielen, aber ich kenne ihn ja gar nicht.“ Brahms beugte sich nun übers Klavier, an dem Clara Schumann saß, und spielte mit der rechten Hand den Walzer im Violin. Dann bat er die Schumann, ihm ein wenig im Baß auszuhelfen, worauf sie die Begleitung spielte. Da sagte Brahms: „Jetzt haben wir das Dreihändigspielen erfunden, welch schöner Erfolg!“

Johannes Brahms war eine interessante Erscheinung, die jedermann auffallen mußte. Er trug immer bodensdieue, das heißt zu kurze dunkle Beinkleider und einen lichten Rock. Das Haar hing ihm aber bis auf die Schultern herunter. Er war übermittelgroß und ziemlich beleibt. Für ihn stand ein Flügel im Zimmer neben der Großeltern Speisezimmer. Eine Zeitlang spielte er den ganze Vormittag darauf und manchesmal spielte er noch, wenn wir uns schon zum Mittagmahl setzten. Wenn er nun aufhörte, mußte er durchs Speisezimmer gehen. Da passierte es ihm einmal, daß er im Vorbeigehen mit seinem fliegenden Überrock einen Stuhl um-wariT Seine Verlegenheit darüber wirkte sehr komisch, um so mehr, als ich ungezogener Range laut herauslachte. Er schaute mich strafend an und redete eine Zeitlang nicht mit mir. ,

Clara Schumann hatte damals große finanzielle Sorgen. Sie mußte die Anstaltskosten s für ihren kranken Gatten, den großen Musikromantiker Robert Schumann, aufbringen und hatte überdies eine große Kinderschar zu erhalten. Daher gab sie so viel Konzerte wie irgend möglich. Großvater korrigierte bei der Konzertabrechnung Clara Schumanns den Saldo immer zu ihren Gunsten. Das war ein Tropfen ins Meer. Sein größeres Verdienst war aber wohl, daß er Brahms damals auf die Notlage voq Clara Schumann aufmerksam machte. Das erzählte mir Brahms selbst nach Jahren in Ischl, wo die fröhlichen Frühschoppen mit Professor V o k n e r und gelegentlich auch mit Johann Strauß staufanden. Der Walzerkönig war aber kein, Frühaufsteher und kam lieber zu einer Jause nach „Laufen“, ins „Pfandl“ oder auf „Sofiens-Doppelblick“, wo dem Tarockspiel gehuldigt wurde.

In Laufen spielte sich einmal die folgende Episode ab. An einem schönen Sommernachmittag machten Professor Vokner, Brahms und idi uns auf den Weg nach Laufen. Als wir die Straße kreuzten, kam gerade Johann Strauß in seiner Equipage daher Sobald er hörte, daß wir auf dem Wege nach Laufen seien, daß dort tarockiert werden sollte, und wir ihm lockend ganz neue Tarock-karten zeigten, stieg er aus seinem Wagen und schloß sich uns an. Als wir in die Nähe der Gaststätte kamen, hörten wir schon fröhliche Stimmen und sahn, daß. eine größere Gesellschaft von Bauern und Bäuerinnnen da versammelt war.

Brahms wollte umkehren und anderswohin gehen. Im selben Moment hatten uns die Leute umringt, denn sie hatten uns erkannt. Es war eine Hochzeitsgesellschaft, die wtr mehr oder weniger alle kannten. Sie luden uns ein, an dem gleich beginnenden Hochzeitsmahl teilzunehmen. Schließlich konnten wir, ohne die Leute zu kränken, nicht ab; lehnen.

Endlich stellte sich heraus, warum, die Leute uns so dringend eingeladen hatten. Der bestellte ZiehharmoTiikaspieler haue abgesagt. Es fehlte die Musik. Natürlich setzte sich der gutmütige Professor Vokner gleich ans Klavier' und spielte auf. Er wurde aber zu Hause um acht Uhr. erwartet und machte um sieben Uhr Schluß. . Da befahl Brahms mit lauter Stimme: „Schani ans Klavier!“ Aber der gute Johann Strauß hatte sich schon gedrückt und, wie die Wirtin alsbald bekannt gab, zwanzig Liter Wein gespendet, die auf des Brautpaares Wohl geleert werden sollten! Er ließ sich entschuldigen, weil er auf ärztliche Anordnung früh ins Bett müsse. Strauß spielte nämlich sehr ungern zum Tanz auf.

Jetzt mußte Brahms, ob er wollte oder nicht, ans Klavier. Er war einer der besten Walzerspieler und spielte auch mit dem richtigen Schmiß. Endlich um zehn Uhr machten wir Schluß, er mit dem Klavierspiel und ich mit dem Tanzen. Des süßen Weines voll, zogen wir den häuslichen Penaten zu.

Brahms hatte es im Laufe der Jahre zu großer Wohlhabenheit gebracht. Er folgte nun dem guten Beispiel Franz Liszts, der sein Rieseneinkommen fast zur Gänze für wohltätige Zwecke verausgabte. So übersandte Brahms alljährlich an Clara Schumann anonym größere Beträge, die ihr schweres Los jedenfalls erträglicher gestalteten. Oh sie es je erfuhr, wer der unbekannte Wohltäter war, weiß ich nicht.

(Schluß folgt.)

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