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Gaullismus an der Wende

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Die verschiedenen Phasen des gaullistischen Regimes sind an der Verschiedenartigkeit der Motive ablesbar„ welche jeweils die Mehrheit der Franzosen bewogen haben, sich zu de Gaulle zu bekennen. Im letzten Frühjahr hatte der General die Mehrheit seiner Landsleute für sich, weil er dem Land den Bürgerkrieg erspart zu haben schien. Im Herbst legten vier Fünftel der Franzosen ihr Schicksal in seine Hände, weil sie von ihm erwarteten, daß er nun alle ihre Probleme — angefangen beim Algerienkrieg — lösen werde. Dieser etwas naive Wunderglaube ist inzwischen längst verflogen. Aber immer noch dürfte eine Mehrheit der Franzosen zu de Gaulle halten. Was diese Mehrheit zusammenklammert, ist etwas Negatives — nämlich die bange Frage: „Was kommt nach de Gaulle?“

Man ist zwar enttäuscht, daß die Fünfte Republik bisher nichts von dem gebracht hat, was man von ihr erhofft hatte. Aber die Person de Gaulles wird vorerst meist noch aus dieser Enttäuschung ausgeklammert. Es ist nicht seine Schuld, wenn es zum tristen Alltag der Fünften Republik gekonftnen ist, der sich so sehr von jenem permanenten 14. Juli unterscheidet, den man von ihr erwartet hatte — es ist die Schuld der „Gaullisten“, die ihren Idealen nicht treu blieben, oder diejenige der „alten Politiker“ der Vierten Republik, welche den General in ihr Netz gelockt haben, oder die der „Technokraten“, welche das Werk des Generals auf ihre Bahnen abgelenkt haben. Kurzum: man hält an General de Gaulle fest, denn nach ihm kann nur das Chaos kommen.

MANGELNDE „PUBLIC RELATIONS“

Es gibt allerdings Leute, die der Meinung sind, daß ein Gutteil jener Enttäuschung mit ein bißchen psychologischer Geschicklichkeit zu vermeiden gewesen wäre. Bei den Artisten der Kleinkunstbühnen kommt es bekanntlich nicht allein darauf an, ob sie ihre Kunststücke können, sondern fast ebensosehr darauf, „ob sie sich gut verkaufen können “i- d.; h.,;ob ?ie dent- uneingeweihten Zuschauer unaufdringlich die Schwierigkeit und1 Kunstfertigkeit' ihrer Prodiik- tionen zu Bewußtsein bringen können. Das gaullistische Regime hat sich als ein Regime erwiesen, das sich in diesem Sinne „nicht zu verkaufen versteht“ — oder nicht bemüht.

Bei de Gaulles bekannter Fähigkeit, oratorisch weit ausholend dem Lande „psychologische Schocks“ zu versetzen, mag diese Feststellung vielleicht überraschen. Aber erstens einmal steht er mit dieser Gabe unter seinen Gefolgsmannen völlig allein. Und zweitens ist er selbst zu sehr geneigt, diese Gabe ausschließlich für die ihn allein interessierenden Ziele, die der „grandeur“ Frankreichs, einzusetzen. Als die Franzosen Ende Dezember plötzlich den Gürtel enger schnallen mußten, hatte sie niemand auf die bitteren Wäh- Tungsmaßnahmen vorbereitet, und es machte sich auch niemand daran, sie ihnen nachträglich verständlich zu machen. Der Blitz schlug einfach aus dem Verwaltungshimmel ein.

Und welche Ungeschicklichkeit war doch die Streichung der kargen Frontkämpferrenten! Gewiß, diese Sparmaßnahme hat zusammengerechnet eine erkleckliche Summe in die Staatskasse eingebracht. Aber es wäre zu fragen, ob nicht andernorts noch wirkungsvoller hätte gespart werden können. So kam es auf jeden Fall zu dem grotesken Zustand, daß die französische Regierung, der es mehr als jeder anderen seit Kriegsende um die „grandeur" geht, gerade jene vor den Kopf stieß, die 1914 an der Marne den letzten großen Beitrag zu dieser „grandeur" geliefert hatten ... Und überall tauchte über Nacht der Spruch auf, mit dem sich seinerzeit ein Clemenceau vor jene „Poilus“ gestellt hatte: „Sie haben ihre Rechte auf uns.“

GESTEIGERTE FREMDHEIT ZWISCHEN VOLK UND VERWALTUNG

In dem zentralistischen Obrigkeitsstaat Frankreich war allerdings die Vorstellung, daß die Bürger oder ein Teil der Bürgerschaft Anspruch auf Entgegenkommen hätten, von jeher etwas Vermessenes. Und es muß festgestellt werden, daß sich das in der Fünften Republik noch gesteigert hat. In der Vierten Republik strich man wenigstens dem Bürger noch ein wenig rhetorischen Honig um den Mund. Jetzt, mit dem Ende der Parlamentsherrschaft, ist er vollends zum Objekt geworden, das zu parieren hat (und das von Zeit zu Zeit in Plebisziten die absoluten Vollmachten an die Staatsspitze erneuern soll).

Der Bürger ist damit das Opfer der Fehler von anderen geworden. Während der Vierten Republik hat bekanntlich das Parlament geherrscht und diese Herrschaft bestand weniger in praktischen Handlungen als darin, daß die überkomplizierte Legislaturapparatur die Verwaltung blockierte. Der Machtantritt de Gaulles und die Vorliebe des neuen Herrn für „unpolitische Fachleute“ hat nun in einem erheblichen Teil der Verwaltung — vor allem in den de Gaulle fremden Sektoren von Finanz und Wirtschaft — jene „Manager“- Schicht ans Ruder kommen lassen, die bisher sich den „Politikern“ unterordnen mußte. Diese Männer haben nun ihre Dossiers geöffnet, in- die sie jahrelang all ihre Reformvorschläge versenken mußten, und sie sind gewillt, sich nun für einige Zeit nicht mehr „dreinreden“ zu lassen.

Das ist menschlich verständlich — insbesondere für den, der weiß, wieviel hervorragende Verwaltungsbegabungen sich innerhalb dieser höheren Beamtenschaft finden. Aber diese „Manager“ übersehen etwas: die Parlamentsherrschaft hatte nicht nur s i e blockiert — sie hatte auch auf der anderen Seite den Bürger eifersüchtig von jeder direkten Einwirkung auf die Politik ferngehalten. Es läge darum im Interesse dieser Schicht kluger Verwalter, direkt die Verbindung mit dem Volk zu suchen, das ihnen mit seinem Referendumsentscheid gegen die „alten Politiker“ ja überhaupt erst die Bahn geöffnet hat. Nur so könnten diese „Manager" oder „Technokraten" (wie man sie in Frankreich häufiger nennt) ihre Stellung gegen eine Rückkehr der Parlamentsherrschaft wirksam abstützen.

DE GAULLE

„EIN GEFANGENER DER BANKEN“?

Zu Anfang der Fünften Republik hatte es übrigens so ausgesehen, als würde sich nur eine bestimmte Schicht der „Technokraten" en- gagieren: Ji nįgen & de herąg okijąįįfc Die Elite.der Technokraten,jedoch auf de?..Ebene, der internationalen Verflechtungen —'etwa- Leute wie Wilfrid Baumgartner, der Gouverneur der Bank von Frankreich, oder Etienne Hirsch, der Generalkommissar vom Plan, oder der Finanzsträtege Bloch-Lainė — schien sich in sehr reservierter Distanz zum Gaullismus zu halten. Das wurde aber bald anders, als sichtbar wurde, daß de Gaulle keinen der gaullistischen „Stürmi" auf einen wirklich wichtigen Posten setzte, und vor allem, als der General im Dezember den von Jacques R u e f f mit acht anderen Experten ausgearbei teten „Rueff-Plan" zur Sanierung der französischen Finanzen ohne irgendwelche „politischen Abschwächungen" durchführen ließ. Von diesem Zeitpunkt an scheint auch der bisher abwartende Flügel der „Technokraten“ in die Fünfte Republik eingeschwenkt zu sein.

Heute kann man auf jeden Fall sagen, daß Frankreich zum erstenmal seit langer Zeit ein Regierungssystem besitzt, das den alten Zwiespalt zwischen „Politikern" und „Fachleuten“ in starkem Ausmaß überwunden hat. Tragisch ist nur, daß dafür der Spalt zwischen Exekutive und Volk breiter denn je ist. Das wird vor allem daran sichtbar, daß es de Gaulle nicht gelungen ist, sich im Herz der Franzosen zu verwurzeln. Er war schon immer eine Figur, die respektiert, nicht geliebt wurde. In den letzten Wochen ist er nun zu einer immer ferneren Figur geworden, die hie und da von weit oben etwas über Frankreichs Sendung sagt, deren Audienzlisten veröffentlicht werden und von der man im übrigen weiß, daß sie am liebsten aus dem Elysėe-Palast im Herzen von Paris wegzöge, um sich im frostigen, aber großen Schloß von Vincennes draußen niederzulassen.

Der „Franęais moyen", der spürt, daß der Stromkreislauf zwischen ihm und dem General nicht mehr so funktioniert wie noch im letzten Herbst, sucht den Staatspräsidenten zu entschuldigen: „Die Bankiers haben ihn eingefangen. Und es zirkulieren bereits jene Schematas, auf denen die Umgebung de Gaulles nach den in ihr angeblich vorherrschenden Finanzeinflüssen aufgeschlüsselt wird. Die Banken Lazard, Worms und Rothschild tauchen darin ebenso auf wie die Erdölfirmen oder die Industriegiganten ä la Schneider-Creusot und de Wendel. Wollte man diesen Schemata glauben, so hätten also die Kräfte, die Frankreich bisher indirekt regiert haben sollen, nun zum erstenmal unverhüllt zum Steuer gegriffen."

DER FALSCHE PARTNER

.. Solche’,. Planzeichnungen wirken künstlich in einem Lande wie, Frankreich, in dem trotz allem ’immer’ ‘hoch der Mittelstand dieausschlaggebende Kraft geblieben ist. Sie sind jedoch als Symptom wichtig: sie zeigen nämlich, daß de Gaulle es versäumt hat, sein Regime auf Gedeih und Verderb mit dem „Franęais moyen" zu verschmelzen und so jenes Loch in Frankreichs Mitte zuzuschütten, das alle Stürme anzieht. Das aber dürfte die Schwäche sein, an der die Fünfte Republik zugrunde gehen wird. Daß de Gaulle wie kaum ein anderer Regierungschef vor ihm die „Technokraten“ auf seiner Seite hat, ist schön. Aber er hat einen zu hohen Preis dafür gezahlt: er entfremdete sich dafür jene Mittelschichten, gegen deren Schwerkraft die Technokraten bei aller Intelligenz und Tüchtigkeit nichts zu bestellen haben.

Das zeigt sich ja auch schon daran, daß der Hauptblock des „Gaullismus“ heute de Gaulle fernsteht und eine so exzentrische Position eingenommen hat, daß er bereits beim ersten großen Sturm in den Sog extremistischer Kräfte geraten könnte. Wir haben bereits des öfteren darauf hingewiesen, daß die LINR (Union für die neue Republik) als die Organisation des Rechtsgaullismus heute die eigentliche, wenn auch noch latente, Opposition darstellt und keineswegs eine Regierungspartei ist, auf die sich de. Gaulle blind verlassen kann. Es sind ja ganz andere Kräfte, die in de Gaulles Umgebung den Ton angeben. Neben den bereits geschilderten „Technokraten“ und jenen „alten Politikern", die sich vor den antiparlamentarischen Stürmen unter de Gaulles Schirm geflüchtet haben, sind es als dritte Gruppe vor allem die sogenannten „Linksgaullisten" : eine Camaraderie, die durch ihre gemeinsamen Abenteuer in Resistance und Liberation zusammengehalten wird. Der überwiegende Teil der Massen aber, die für den Gaullismus ansprechbar waren, ist disponibel. Und die Slogans liegen schon bereit, mit denen sie in Bewegung gesetzt werden können. Es kommt dabei ziemlich aufs gleiche hinaus, ob es heißen wird „de Gaulle hat uns an die Banken verraten" jeder vielmehr ,-,wir müssen de Gaulle äüs deti Fesseln der Banken befreien ..." ’ - ' r

So hat sich in Frankreich ėfne gefährliche Sl- - tuation herausgebildet, die bedenklich an gewisse Züge der sterbenden Weimarer Republik erinnert. Während auf der Rechten und der Linken explosive Konzentrationen festzustellen sind, dörrt die staatstragende Mitte aus. Wer repräsentierte heute in Frankreich die republikanische Mitte?

Um diese Frage beantworten zu können, muß man sehen, welche Kräfte auf der Rechten und der Linken schon recht unverhüllt zum Bürgerkrieg aufmarschieren. ,

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