Gebrauchsanweisung für das Leben

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Der französische Philosoph Luc Ferry sollte einen Philosophiekurs für Kinder und Erwachsene improvisieren - daraus wurde ein Bestseller.

Von Fremden lasse ich mich nicht duzen, doch keine Regel ohne Ausnahme: Der preisgekrönte französische Philosoph Luc Ferry (geb. 1951), von 2002 bis 2004 Erziehungsminister, duzt seine Leser in seinem neuen Buch "Leben lernen: Eine philosophische Gebrauchsanweisung". Dass diese Vertraulichkeit nicht stört, liegt an der Entstehungsgeschichte des Buches: "Während der Ferien in einem Land, in dem es früh dunkel wird, baten mich Freunde, einen Philosophiekurs für Eltern und Kinder zu improvisieren. Die Aufgabe zwang mich - wie nie zuvor - zum Kern der Sache zu kommen, ohne Fachbegriffe, gelehrte Zitate oder Sekundärliteratur …"

Übersetzungen in 14 Sprachen zeigen, dass es dem gelehrten Mann gelungen ist, den Nerv der Sinnsuche heutiger Menschen zu treffen. Philosophie ist für ihn nicht nur Erziehung zum kritischen Denken und zur Autonomie, nicht nur strenge Denkmethode und Kunst der Reflexion, denn auch Journalisten, Physiker, Romanschriftsteller und (hoffentlich!) auch Politiker denken nach. Europäische Philosophie bemüht sich seit 2600 Jahren, als sich in Griechenland ein Wunder - die "Erfindung" des ersten großen philosophischen Systems ereignete - Antworten zu suchen auf die Frage: Wo kann der Mensch, das einzige Wesen auf Erden, das um die Sterblichkeit weiß, sein Heil finden? Ferry besteht auf dem Wort Heil. Daher grenzt er die Philosophie zunächst von den Religionen ab: "Wenn die Religionen sich selbst als, Lehren zur Erlangung des Heils' durch einen anderen, nämlich Gott, verstehen, so könnte man die großen Philosophien definieren als Doktrinen zur Erlangung des Heils durch sich selbst, ohne die Hilfe Gottes."

Philosophie Christentum?

Großartig waren die Antworten der griechischen Philosophen auf die Angst des Menschen vor dem Tod. Doch das Christentum bot, so Ferry, eine "leistungsstärkere Heilsdoktrin", ein "Mehr an Überzeugungskraft". Sie gipfelt in dem Versprechen, dass der Gläubige nicht, wie es sich die Stoiker vorstellten, mit dem Tod in den großen, wohlgeordneten "Cosmos" zurückkehrt, anonym und unpersönlich, sondern leiblich aufersteht wie Christus. 1500 Jahre wurde damit die Philosophie, die nicht mehr als Heilslehre angesehen wurde, zur Dienerin, zu einer schulischen Disziplin, zur Scholastik. Ist das Christentum eine Philosophie? Ja und nein, meint Luc Ferry. Ja insofern, als ein Platz für die Tätigkeit der Vernunft bleibt, die im Wesentlichen die Schriften interpretieren und die Natur verstehen soll. Nein, indem im Christentum alles Wesentliche durch den Glauben entschieden wird und das Heil nicht durch eigene Kraft, sondern durch die Gnade eines Gottes geschenkt wird.

Spannend wie in einem Krimi geht es weiter: Mit Kopernikus, Descartes, Galileo und Newton bricht die Vorstellung eines geordneten Kosmos zusammen und erschüttert die letzten Reste der griechischen Vorstellungswelt und auch die Prinzipien der christlichen Religion. Die vertrauten Autoritäten verlieren an Glaubwürdigkeit; damit wird die moderne Philosophie zur Philosophie des Subjekts, anthropozentrisch. Die Frage nach dem Heil verschwindet für die Philosophen aus dem Bewusstsein.

Spannend wie ein Krimi

Welche Wege Rousseau, Kant, Nietzsche und Heidegger beschritten, schildert Luc Ferry so anschaulich, dass der Leser freiwillig zum Mitdenker wird. Und schließlich bekennt der Agnostiker Ferry selbst Farbe: Sein Ziel ist die "Weisheit der Liebe", die ein jeder in aller Stille erarbeiten muss: "Wir müssen endlich lernen, als Erwachsene zu leben und zu lieben, indem wir, wenn es sein muss, jeden Tag an den Tod denken. Nicht aus Faszination für das Morbide. Ganz im Gegenteil - um herauszufinden, was hier und jetzt zu tun ist, und zwar freudig, gemeinsam mit denen, die wir lieben und die wir verlieren werden - wenn sie uns nicht vorher verlieren. Und ich bin sicher, dass eine solche Weisheit, auch wenn ich noch sehr weit von ihr entfernt bin, tatsächlich existiert, und dass sie die Krönung eines endlich von den Illusionen der Metaphysik und der Religion befreiten Humanismus darstellt."

Ein wunderbar klares Buch - mit einer unübersehbaren großen Schwachstelle. Ferry berücksichtigt kaum, dass die Abfolge von Denksystemen nicht alle Denkenden erfasst, dass also parallel zu "neuen Erkenntnissen" die "älteren Systeme" durchaus noch lebendig sind. Man denke nur an die Milliarde Christen auf der Welt …

Leben lernen: Eine Philosophische Gebrauchsanweisung

Von Luc Ferry

Aus dem Franz. von Lis Künzli

Verlag Antje Kunstmann, München, 2007. 318 Seiten, geb., € 20,50

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