Guatemala - © Foto: iStock/LagunaticPhoto

Geburt ist nicht der Anfang: Nastasja Penzars Roman „Yona“

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Ein lateinamerikanisches Land voll Armut und Gewalt, eine junge Frau auf der Suche nach ihren Wurzeln: Nastasja Penzar erzählt in ihrem Roman „Yona“ das Palimpsest einer Frau und eines Landes.

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Ein lateinamerikanisches Land voll Armut und Gewalt, eine junge Frau auf der Suche nach ihren Wurzeln: Nastasja Penzar erzählt in ihrem Roman „Yona“ das Palimpsest einer Frau und eines Landes.

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Vier Kapitel ist es kurz, das Buch Jona im Ersten Testament, und doch so wirkmächtig über Jahrhunderte. Es erzählt von Jona, der von Gott den Auftrag bekommt, nach Ninive zu gehen und den Bewohnern dort ein Strafgericht anzudrohen. Jona versucht statt dessen zu fliehen und verkriecht sich auf einem Schiff. Um den Sturm zu beruhigen, der das Schiff bedroht, lässt er sich ins Meer werfen. Und dann: Auftritt des großen Fisches, der Jona verschlingt und in dessen Bauch Jona betet. „Du hast mich in die Tiefe geworfen, / in das Herz der Meere; mich umschlossen die Fluten, / all deine Wellen und Wogen schlugen über mir zusammen.“ Bis er vom Fisch – wiederum ein Befehl Gottes, spätestens hier weiß man: er entkommt ihm nicht – ans Land gespieen wird. Es folgt noch einmal der Auftrag, nach Ninive zu gehen, in eine so große Stadt, dass man drei Tage braucht, „um sie zu durchqueren.“ Die Menschen bereuen ihr Tun, sie werden verschont und Jonas Ärger darüber wird ihm von Gott mit Hilfe des Rizinusstrauches, der zunächst wächst und dann verdorrt, als ungerechtfertigt dargestellt.

Eindrücklicher kann eine kurze Erzählung kaum sein, die Bilder sprechen Jahrtausende danach noch unmittelbar an und laden zu Assoziationen ein. Dass der Text auch für Nastasja Penzars Romandebüt eine Rolle gespielt hat, lässt sich nicht nur am Titel „Yona“ erahnen. Die Autorin legt im Text genügend Spuren, um auf diese uralte Geschichte zu verweisen. So ist auch ihre Protagonistin in gewisser Weise auf der Flucht, die zugleich eine Suche und ein Weg der Erkenntnis ist; so taucht das Bild des Wales auf, in dessen Galle sie laut Vater immer weiter hineinschwimmt; man findet die Verderbtheit der Stadt und die Drohung eines Unheils, hier durch den Vulkan, in dessen Schatten sich die Reichen und mehr noch die Armen versammeln. Und wie Ameisen die mörderischen Banden.

Fremde Welt, eigene Geschichte

In das Elend, die Korruption und Gewalt einer lateinamerikanischen Stadt kommt Yona, deren Vater, mit dem sie in enger Zweisamkeit gelebt hat, gestorben ist. Es ist der Ort, wo ihr Vater einmal gelebt hat, von dem sie einiges weiß, vieles aber nicht. Es ist auch der Ort des Todes ihrer Mutter, über den sie bisher nur die dürftige Erzählung ihres Vaters kennt. Etwas Unheimliches begleitet Yona, und es wird hörbar im bedrängenden Ton, der immer wieder aufkommt und sie nicht in Ruhe lässt, ähnlich wie sich Jona im Bauch des Fisches überflutet fühlt.

Wo dieser Ton thematisiert wird, finden sich die wenigen stilistischen Schwachstellen im Roman, wenn etwa „die Starre meines Körpers“ und „die Starre in meinem Körper“ zu oft substantivisch wiederholt statt dynamisch erzählt wird. Yona hat Wege gefunden, den Ton zumindest kurzfristig abzustellen, nämlich mittels emotionslosem und distanziertem Sex mit Männern. Da ist Vergangenheit, die sie nicht kennt, die sie aber auf Schritt und Tritt begleitet: Auch in dieser Stadt, wo ihr eine Finca vererbt wurde und sie nun erstmals Verwandte ihrer Mutter kennenlernt. Stück für Stück erkundet sie nicht nur eine fremde Welt, sondern auch ihre eigene Geschichte.

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