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Geburtenrate sinkt mit Industrialisierung

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In den USA wuchs die Geburtenrate nach dem Krieg zwischen 1947 und 1954 zwar an, sank aber seit damals wieder. Dieser Trend ist in allen industrialisierten Ländern vorhanden, einschließlich Rußland. Während der letzten zwölf Jahre ist also die Geburtenrate in den industrialisierten Ländern gesunken, und doch glaubt man, das Hauptproblem sei das Bevölkerungswachstum. Der Grund für das Anwachsen der Bevölkerung ist natürlich, daß mehr Leute länger leben. Aber die zugrundeliegende Tatsache des Bevölkerungsproblems — wenn es ein solches Problem gibt — ist, daß mit der Industrialisierung die Geburtenrate zurückgeht. Wir sehen das ganz deutlich am Beispiel der Vereinigten Staaten, wo die frühen Siedler durchschnittlich dreizehn Kinder hatten und die Uberlebenschancen gering waren. Vergleichen wir das Sinken der Kinderzahl in den Familien mit den Verbesserungen der technischen Ausrüstung, der Hygiene, der Wasserversorgung, Badezimmer, Kühlschrank, mit der allgemeinen Steigerung der Lebenserwartung usw. Es ist klar, wenn durch die Industrialisierung die Überlebenschancen besser werden — was immer die Motive oder Kontrolleinrichtungen der Natur sein mögen —, sie braucht dann jedenfalls weniger Geburten „am Start“.

Wir sollten auch die Geschwindigkeit der Industrialisierung in den verschiedenen Ländern bedenken. England brauchte zweihundert Jahre, um auf den gegenwärtigen Stand zu kommen. Die Vereinigten Staaten konnten das übernehmen, was in England bereits errichtet war, und schafften es in hundert Jahren. Rußland begann noch später und brauchte dazu nur fünfzig Jahre. Die neuen Länder fangen dort an, wo die anderen aufgehört haben. Japan begann nicht mit Doppeldeckern zu fliegen, sondern mit „Zero“- und „Spitfire“-Typen; China flog überhaupt nie mit etwas anderem als Jets. China trat in die Welt der Industrialisierung ein, nachdem Transistoren, Computer und Atomspaltung verfügbar waren — deshalb wird es den Westen in etwa fünf Jahren erreicht haben. Indien wird wahrscheinlich noch schneller sein. Die Beschleunigungen der Leistungsfähigkeit, die bei China und Indien zum Tragen kommen, sind die höchsten. Soweit man sehen kann, wird um 1985 die ganze Welt industrialisiert sein.

Zu diesem Zeitpunkt, wenn die Industrialisierung ihrer Vollendung entgegengeht und die Geburtenrate sich senkt, wird noch immer jeder Mensch etwa fünf Hektar trockenes Land und zehn Hektar Ozean, durchschnittlich eine halbe Meile tief, zur Verfügung haben. Für eine fünfköpfige Familie sind das fünfundzwanzig Hektar Land und fünfzig Hektar Meeresfläche — 75 Hektar „Ländereien“ pro Familie. Die Nahrungsversorgung wäre ausreichend.

Wir bemerkten, daß mit höherer Lebenserwartung weniger Geburten „notwendig“ sind. Betrachten wir das auch im Zusammenhang mit unserer zunehmenden Fähigkeit, Teile unseres Körpers auszutauschen, künstliche Organe zu erzeugen. Wir haben immer weniger menschliche Organismen zu ersetzen. Der Antrieb, sich möglichst verschwenderisch fortzupflanzen, schwindet beachtlich. Das kann sich auch in sozialen Verhaltensweisen ausdrücken — wenn die Mädchen wie Burschen aussehen und Burschen und Mädchen die gleichen Kleider tragen. Das könnte mit dem Abnehmen der Vorstellung zusammenhängen, man müsse viele Kinder hervorbringen.

Wir werden aufhören müssen, Sexualität nur als Fortpflanzungsfähigkeit zu sehen. Die Gesellschaft wird ihre Einschätzung menschlicher Neigungen ändern müssen.

Ein neues Verhältnis zwischen den Menschen

Der Mensch ist nicht nur die physische Maschine, die er zu sein scheint. Er ist nicht bloß die Nahrung, die er zu sich nimmt, das Wasser, das er trinkt, oder die Luft, die er atmet. Seine körperlichen Reaktionen sind nur ein Aspekt eines totalen Bewußtseins, das das Körperliche transzendiert. Wie ein Knoten in einem Bündel Fäden aus Hanf, Baumwolle oder Nylon durch alle Veränderungen des Materials in Dichtheit und Struktur hindurchgehen kann und doch eine identifizierbare Gestalt bleibt, so ist der Mensch eine abstrakte Ganzheit, die sich durch alle körperlichen Prozesse und Veränderungen erhält.

In der Wissenschaft werden wir uns der Einheit im Universum immer mehr bewußt. Alle die verschiedenen Spezialgebiete entdecken, daß ihre scheinbar entlegenen Studien und lokalen Aspekte der Natur in immer einfachere und verständlichere Bilder konvergieren. Wenn wir von Computern und Automation sprechen, meinen wir in Wirklichkeit die Veräußerlidhung von inneren, organischen Funktionen des Menschen zu einem totalen organischen System, das wir Industrialisierung nennen. Dieser verwandlungsfähige, sich erneuernde, automatisierte Organismus wird das Leben außerordentlich unterstützen können. Die Maschinen werden zunehmend verschiedene spezialisierte Funktionen übernehmen. Der Mensch, der ursprünglich umfassend gewesen ist, aber durch Lebensnotwendigkeiten in die Spezialisierung gedrängt wurde, soll wieder umfassend werden.

Eine große Anzahl von Menschen wird die Möglichkeit zu Bildung und Forschung haben, und ihre Beschäftigung mit der Natur wird immer umfassender werden; so wird ein allgemeines philosophisches Bewußtsein von der Bedeutung des menschlichen Lebens entstehen. Es wird wiederentdeckt werden, was Einstein 1930 in einem Artikel über den „kosmischen religiösen Sinn“ als die intellektuelle Ganzheit des Universums und eine Ordnung der Natur a priori beschrieb. Eine Epoche von außerordentlicher Redlichkeit und Rechtschaffenheit könnte daraus entstehen.

Das wäre für mich der wichtigste und aufregendste Aspekt der Zukunftsschau: daß 2000 n. Chr. die Redlichkeit der Menschheit von unglaublich hohem Rang sein wird. Was ein Mensch zu einem anderen sagen wird, sei es, was er denkt oder was er beobachtet hat, wird vertrauenswürdig sein. Es wird Verstellung geben, aber es wird durchschaubare Verstellung sein.

Wir werden neue Bilanzbegriffa für unseren Reichtum schaffen. Unseren Erfolg in Gold oder irgendwelchen traditionellen Praktiken des Bankgeschäftes anzugeben, ist irrelevant. Wirklicher Reichtum ist organisierte Fähigkeit. Eines seiner wichtigsten Kennzeichen ist, daß er irreversibel ist — egal, wie reich du bist, du kannst kein Jota von gestern ändern. Reichtum ist nur jetzt oder in Zukunft von Nutzen. Die Basis unseres Bilanzsystems wird sein: „Wie viele Tage organisierter Fähigkeit haben wir zur Verfügung zur Versorgung wie vieler Menschen.“ Wir werden die Arbeitsannahme treffen können, daß es nicht nur normal ist, Erfolg zu haben, sondern auch, daß jedermann sich völlig frei und unbehindert auf der ganzen Welt bewegen kann.

Das Wichtigste und Aufregendste an der Zukunft ist nicht die Technologie und die Automation, sondern daß der Mensch in ein völlig neues Verhältnis zu seinen Mitmenschen treten wird. Er wird im täglichen Leben mehr von der Naivität und dem Idealismus des Kindes behalten. Das wird gerechtfertigt sein, denn er wird nicht fürchten müssen, ausgenützt zu werden. Um zu erfahren, wie die Zukunft aussehen wird, braucht man deshalb, glaube ich, nur unsere Kinder anzusehen.

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