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Gedanken auf dem Windischberg

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Als ich unlängst meiner obersteirischen Geburtsstadt Leoben einen Besuch abstattete, verlockte ein sonniger Spätnachmittag zu einem beschaulichen Spaziergang auf den am Rande der Stadt gelegenen Windischberg, einen der vielen Zeugen karan-tanischer Vergangenheit in diesem Gebiet. Die wunderbare Aussicht und der langsam hereindämmernde Abend verlockten geradezu, geschichtliche und persönliche Erinnerungen wachzurufen.

Schon in der Volksschule hatten vortreffliche Lehrer uns kleinen Stei-rern die Liebe zur engeren Heimat und ihrer Vergangenheit ins Herz gepflanzt. Keiner von uns hatte sich damals der Kunde geschämt, daß unsere Vorfahren vor tausend Jahren noch slowenisch sprachen; wir waren vielmehr sehr stolz, afs uns der älteste'bekannte Name der Stadt, Liubina, mit „liebliche Stätte“ erklärt worden ist. Später nahm mich dann ein wohlgesinnter Katechet, dem mein Interesse für die Vergangenheit nicht entgangen war und der selbst mit großem Erfolg die frühmittelalterliche Geschichte unserer Gegend aufzuhellen geholfen hat, auf manchen seiner lehrreichen Forschungsgänge mit. Auf diesen lernte ich die richtige Deutung der heimatlichen Flur- und Ortsnamen, die zu einem beträchtlichen Teil (zum Beispiel die Stadtteile Donawitz, Goß, Schladnitz, Melln, der Hausberg Mugel, die Umgebungsorte Proleb, Lainsach,. Lobming, Kraubath, Trofaiach, Edling und verschiedene andere) slawischen Ursprungs sind und mit die Annahme rechtfertigen, daß die in der zweiten Hälfte des sechsten Jahrhunderts in die Ostalpentäler eingewanderten Slowenen, die illyrisch-keltische Kontinuität fortsetzend, auch in unserem Gebiet (vermutlich im heutigen Vorort St. Peter-Freienstein) eine Art regionalen Verwaltungssitz ihres weiträumigen karantanischen Fürstentums errichtet hatten. Nach der zweihundert Jahre später einsetzenden bajuwari-schen Einwanderung hat sich die slowenische (windische) Haussprache, insbesondere bei den Bergbauern („Windischberg“, „Windischbühel“ und so weiter) noch lange erhalten, bevor sie, im Hinblick auf die immer stärker werdende politische, ökonomische und kulturelle Überlegenheit der Bayern, im Spätmittelalter gänzlich aufgegeben worden ist.

Noch ein zweites Mal in seiner Geschichte wurde Leoben das Ziel slowenischer Zuwanderer. Als Ende des vorigen Jahrhunderts der Seegrabner Kohlenbergbau einen beträchtlichen Aufschwung nahm, hat dies auch zahlreiche arbeitsuchende Untersteirer angezogen. Viele verblieben hier, gründeten auch eigene Vereine, und bis zum Ende des ersten Weltkriegs war in den Ortsteilen Judendorf, Seegraben, Münzenberg Slowenisch eine häufig gehörte Sprache. Im Jahr 1893 hatte sich der Leobner Bezirkshauptmann sogar veranlaßt gesehen, eine Versammlung des Arbeitsvereins „Wahrheit“ zu untersagen, da wegen dessen slowenischer Verhandlungssprache „die Versammlung behördlich nicht über-

wacht werden könne“. In diesem Fall waren aber sicherlich nicht nationale Unduldsamkeit, sondern politische Gründe Anlaß des Versammlungsverbotes gewesen. Noch heute zeugen viele slowenische Familiennamen in Leoben von der Herkunft ihrer längst freiwillig assimilierten Träger.

Fruchtbare Wechselbeziehungen

Sicherlich entbehrt es nicht der Tragik, daß das fleißige Bauernvolk der Slowenen, dessen Sprachgebiet vor tausend Jahren vom Westufer des Plattensees bis zum Südabhang des Großvenedigers und von der Donau bis zur Adria reichte, heute auf ein Drittel seines ursprünglichen Volksbodens abgesunken ist — aber es ist vielen Völkern im Laufe der. Geschichte noch schlechter ergangen; und es wäre töricht, über der Vergangenheit die Gegenwart zu vergessen! Der kurze, vom Leobner Windischberg erfolgte historische Rückblick soll daher mit der dankbaren Feststellung abgeschlossen werden, daß es nicht zuletzt das mehrhundertiährige slawische Erbe ist, das den ostalpinen Menschen ihre Musikalität, ihre bäuerliche Frömmigkeit, ihre Gastfreundschaft und ihre Zuneigung zum angestammten Heimatboden vermittelt hat. Dieses Erbe ist es auch hauptsächlich gewesen, das unsere bajuwarischen Vorfahren allmählich zu einem, eigenständigen österreichischen Volk werden ließ, das sich wesensmäßig heute

sogar von den benachbarten Bayern sehr deutlich unterscheidet. Unsere alpenländische Volkskultur kann ihre Verwandtschaft mit der slowenischen nicht verleugnen und hätte wohl auch keinen vernünftigen Grund dazu. Dies um so weniger, als auch das slowenische Volk den bajuwarischen und später österreichischen Einflüssen viel Positives verdankt. Echte, das heißt der Wahrheitssuche wirklich ergebene Wissenschaftler, wie zum Beispiel der Laibacher Literaturhistoriker Slodnjak oder der Grazer Geschichtsforscher Pirchegger, haben sich auch in unserer Zeit nicht gescheut, die fruchtbaren Wechselbeziehungen zwischen unseren beiden Völkern immer wieder hervorzuheben.

*

Bei dieser Sachlage muß man sich mit Recht fragen, wieso es in unserer doch angeblich so aufgeklärten Zeit noch zu keinem echten Freundschaftsverhältnis zwischen den Kärntnern deutscher und slowenischer Muttersprache gekommen ist. Nur durch aufmerksames Lesen und Anhören sowohl der slowenischen (windischen) als auch der österreichischen (einschließlich der deutschnationalen) Stimmen lassen sich die wirklichen Gründe des bedauerlichen Nichtverstehens zwischen Mehrheit und Minderheit feststellen und die auf beiden Seiten begangenen Fehler gegenseitig abwägen.

Als Angehöriger des Mehrheitsvolkes möchte ich zuerst die von meinem eigenen Volk gemachten Fehler kurz aufzeigen. Ich will mit der Südkärntner Volksabstimmung des Jahres 1920 beginnen, nicht nur, weil ich selbst schon ein Kind der Republik bin, sondern weil es auch müßig wäre, heute noch über die ältere Vergangenheit mit ihren gänzlich verschiedenen politischen und ökonomischen Voraussetzungen zu rechten.

Man muß als Österreicher über das Ergebnis des genannten Plebiszits noch heute Genugtuung empfinden. Daß sich damals 59 Prozent der vorwiegend slowenisch. (wiadiscW ^rechenden ^Süd-kärrttner für ihre Zugehörigkeit“ rü der noch kaum lebensfähigen. Republik Österreich ausgesprochen haben, war die Manifestation eines Kärntner Heimatgefühls, die sich nur mit dem Triumph vergleichen läßt, mit dem vier Jahrhunderte zuvor der österreichische Geschichtsschreiber Chri-stalnick in seiner „Historia Carin-thiaca“ den 630 in Osttirol errungenen Sieg ' der Slowenen über die Bayern richtig als einen „Sieg der Kärntner“ feiert. Leider hat es unsere Republik in der Folge verabsäumt, durch eine wirklich großzügige Minderheitenpolitik auch die 41 Prozent projugoslawisch eingestellt gewesener Südkärntner mit ihrem Verbleib bei

Österreich ehrlich auszusöhnen. Durch die stillschweigende Duldung der, durch deutschnationale Vereine sehr geschickt erfolgten Entnationalisierungspropaganda gelang es zwar, die slowenische Volksgruppe bedeutend zu schwächen; gleichzeitig aber bildete sich bei den volkstreuen Angehörigen der Minderheit ein Mißtrauenskomplex.

Für die verbrecherischen Handlungen, die während der deutschen Besetzung gegen die ihrem Volkstum treuen Slowenen erfolgten, trifft die Republik Österreich keine Verantwortung! Dennoch darf und soll nicht verschwiegen werden, daß zumindest ein Teil der Kärntner Deutschnationalen diese nicht nur billigte, sondern sich sogar aktiv an ihnen beteiligt hat.

Die 1945 von der neuen Kärntner Landesregierung einstimmig beschlossene Schulverordnung, nach der in den slowenischen und gemischtsprachigen Gemeinden Südkärntens nach bewährtem Schweizer Vorbild alle Kinder beide Landessprachen zu erlernen hatten, schien endlich einen neuen, wirklich erfreulichen Abschnitt österreichischer Minderheitenpolitik zu eröffnen.

Es kann von volkstreuen Slowenen und österreichischen Patrioten nur gleicherweise bedauert werden, daß aus wahltaktischen Erwägungen die diversen deutschnationalen Schul-, Schutz-, Turn- und Akademikervereine behördlich wieder zugelassen worden sind! Kärnten, wo man bereits auf eine allmähliche Beruhigung in der nationalen Frage hoffen zu dürfen geglaubt hatte, war das erste Objekt, auf dem sich der völkerverhetzende deutschnationale Ungeist erneut auszutoben begann! 1955, als die Grenzen und die nationale Unabhängigkeit der Zweiten Republik endlich gesichert waren, krochen sämtliche deutschnationalen Vereinsmeier wieder aus ihren geistigen Austragstüberln, wohin sie sich 1945 schuldbewußt zurückgezogen hatten, hervor.

Ihrem konzentrischen, in Form von „Protestresolutionen“ eigens von ihnen

gegründeter „Elternvereine“ und zuletzt sogar von Volksschülerstreiks (!) außerordentlich geschickt organisierten Angriff auf der einen und der um Wählerstimmen bangenden oder nach der Landtagsmehrheit schielenden unsicheren Haltung unserer beiden Koalitionsparteien auf der anderen Seite, erlag 1958 die Schulverordnung von 1945.

Das nunmehrige Ziel der durch ihren „Sieg“ ermutigten deutschnationalen Organisatoren ist, durch intensive Propagierung eines konstruierten eigenständigen Volkes der „Kärntner Windischen“, die volkstreuen Slowenen zu isolieren, wobei ein „windisches Volksbekenntnis“ vorderhand als „heimattreu“ akzeptiert, das natürliche „slowenische Volksbekenntnis“ aber in toto als irredentistisch und kommunistisch verleumdet wird.

Es ist unsere österreichische Schuld, auch in der Minderheitenpolitik vielfach Gruppen- vor Staatsinteressen gestellt und den deutschnationalen Organisationen einen Einfluß zugestanden zu haben, der niemals ihrer tatsächlichen Stärke entspricht.

Die andere Seite

Natürlich sind auch auf Seiten unserer slowenischen Mitbürger manche Fehler begangen worden, unter deren Auswirkungen die slowenisch-österreichische Nachbarschaft in Südkärnten noch heute leidet.

So vermochten manche Kärntner Slowenen die 1920 erlittene Abstimmungsniederlage innerlich nie ganz zu überwinden. Mit der hauptsächlich daraus resultierenden unrealistischen Verhandlungstaktik ihrer Sprecher „Alles oder nichts!“ wurde bedauerlicherweise nur erreicht, daß ein Teil der Minderheit, des ewigen nationalen Haders müde, abzufallen begann, assimilationswillig oder zumindest den verlogenen deutschnationalen Parolen (zum Beispiel: „Nur ein Bekenntnis zum .deutschen' Kulturkreis vermag Südkärnten vor einer .großserbischen' Fremdherrschaft zu retten!“) hörig geworden ist.

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