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Fontanes Tochter und Muse erlebte das Scheitern weiblicher Hochbegabung.

Eine "literarische" Biografie über eine Frau, die keine Zeile veröffentlicht hat: das ist das Buch Die Tochter. Das Leben der Martha Fontane. Theodor Fontane hat mehr als tausend Briefe an seine Frau und seine vier Kinder geschrieben, die meisten an seine Tochter Martha (1860-1917).

Die Germanistin und Fontane-Kennerin Regina Dieterle hat drei bisher unbekannte Nachlässe aus dem Fontane-Familien- und-Freundeskreis erschlossen. Sie konnte mit dem neuen Material ein reizvolles Doppelporträt des großen Erzählers und seiner Muse, der Tochter, zeichnen. Das Lieblingskind unter seinen Sprösslingen, Martha, inspirierte den Vater, indem sie ihm Intimes aus ihrem Freundeskreis erzählte; sie stand ihm beim Schreiben ermunternd und widersprechend zur Seite und wurde selbst zum Studienobjekt für mehrere Fontanesche Frauenfiguren.

Nach Fontanes Tod im Jahr 1898 setzte sie sich energisch durch die Herausgabe von Briefen für das Weiterleben des bewunderten Erzähler-Vaters ein. Diese Briefe "fontansierten" noch den jungen Thomas Mann, der Fontanes Briefstil wegen seines ironischen Tons besonders schätzte.

Der Apothekersohn und selbst Apotheker wider Willen - Fontane -, der fast bis zum 60. Lebensjahr seine große Familie nebst unehelichen Kindern mit journalistischer Arbeit ernähren musste, ließ der Tochter eine unüblich exquisite Ausbildung zuteil werden. Mit zehn Jahren durfte sie zum Englischlernen nach Großbritannien. Mit 16 ermöglichte der Vater der "aparten Person" die damals einzige höhere Ausbildung für Mädchen: die zur Lehrerin.

Marthas Begabungen - ihre Briefe verraten ein erstaunliches Erzähltalent, sie konnte fließend Englisch und Französisch, spielte gut Klavier -, erkannte Fontane mit Sorge: "Geist und Herz, alles, was über das ganz Alltägliche hinausgeht, ist immer gefährlich", schrieb er seiner Frau. Im Haus ihres armen, aber geselligen Vaters in Berlin verkehrten Musiker, Politiker, Literaten, aufstrebende Fabrikanten. Doch Martha fand keinen Ehemann, wurde keine "Fortpflanzungs- und Familienfütterungs-Maschine". Ihr Platz als Begleiterin und Ansprechpartnerin des berühmt werdenden Schriftstellers hatte den Preis, den Sigmund Freud damals als Hysterie diagnostizierte. Gegen ihre Angstzustände griff Martha Fontane immer häufiger zur Rotweinflasche.

Zwischen 30 und 40 erlebte sie ihre beste Zeit: Selbstbewusst empfing sie im Haus ihres Vaters illustre alte und junge Gäste, unter denen Gerhart Hauptmann herausragte, während sie beobachtete, dass die Ehe ihre Freundinnen bereits ermüdete. Und dann, mit 38, heiratete sie doch, kurz nach dem Tod ihres Vaters: Einen klugen, reichen Architekten, der sie auf Händen trug und aller materieller Sorge enthob. Doch Martha Fritsch-Fontanes Ängste saßen so tief, dass sie vom Alkohol nicht lassen konnte. Als ihr 22 Jahre älterer Mann 1915 starb, verlor sie den letzten Halt und beging Selbstmord, indem sie sich aus dem Fenster ihrer Villa stürzte.

Mit dem Tod Theodor Fontanes war das Leben der Tochter uninteressanter geworden, und das gilt auch für ihre Biografie. Doch der weitaus größere Teil fesselt durch die Einblicke in Fontanes Schaffensweise, die er seiner Tochter gab, in seine Zerrissenheit zwischen der Liebe zur seiner Familie und der Sehnsucht nach schöpferischer Freiheit ohne Brotberuf.

Regina Dieterle zeichnet auch ein anschauliches Bild der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Deutschland und vor allem in Berlin. Die Stadt erschien den Fontanes um 1860 tief provinziell und kleinkariert, denn sie waren erst kurz vor Marthas Geburt aus London zurückgekehrt, wo Fontane als Zeitungskorrespondent gearbeitet hatte. Staunend erlebten sie den Aufstieg Berlins zur mondänen Großstadt.

Die "Doppelbiografie" verschweigt nicht Fontanes antisemitische Haltung, die seine Tochter überhaupt nicht teilte. Schließlich öffnet sie die Augen für das fast unvermeidliche Scheitern weiblicher Hochbegabung. Martha äußerte sich über ihre Schulzeit so: "Der Verstand wurde soweit geschont, dass man ihn nachher noch hatte."

Die Tochter

Das Leben der Martha Fontane

Von Regina Dieterle

Carl Hanser Verlag, München, 2006

432 Seiten, geb., € 25, 60

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