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Vermächtnis einer zum Tod Verurteilten.

Auslöser war ein Überweisungsschein, den ihre Schwester in Wien nicht vernichtet hatte. Er trug Mariannes Unterschrift und wurde im November 1942 bei der Verhaftung eines ihrer jüdischen Bekannten gefunden, denen Marianne Golz-Goldlust zur Flucht verholfen hatte. Noch am selben Tag wurde sie in Prag von der Gestapo abgeholt. Es folgten zwei Monate Einzelhaft, zahlreiche Verhöre durch die Gestapo, im Mai 1943 dann eine Art Schauprozess, bei dem im Gefolge des Attentats auf den Reichsprotektor Heydrich von vornherein die Todesurteile feststanden. Vollstreckt wurde es im Fall Mariannes erst am 8. Oktober 1943.

In dieser unmenschlichen Situation des Wartens ergreift sie noch einmal die Initiative für das Leben und fängt eine Art Liebesbriefwechsel in Kassiberform mit einem ihr unbekannten Häftling in der Nachbarzelle an. Wer ihr antwortet, so schreibt sie, soll ihr Geliebter sein. Es ist der ebenfalls zum Tode verurteilte Risa Macha, der das Angebot annimmt. Vielleicht war es dieser Austausch von Todeszelle zu Todeszelle, der Marianne die Kraft und Energie gab, für ihre Zellenkolleginnen Stütze und Halt zu werden. So zeichnet sie R. Karel, ehemaliger Gehilfe des Gefängnisfotografen, der nicht nur für Marianne illegale Post- und Kassibersendungen erledigte. Karel gab bereits 1946 den Band "Ich klage an" im Prager Orbis Verlag heraus. Die kleine Auflage war rasch vergriffen und blieb es bis heute.

Wie in Platons Höhlengleichnis versucht nun, mehr als 60 Jahre nach Mariannes Tod, Ronnie Golz das Leben der ersten Ehefrau seines Vaters aus den Schatten zu rekonstruieren, die sich in den erhaltenen Briefen, den Erinnerungen der noch lebenden Zeitzeugen und vor allem den Gerichtsakten abzeichnen. Mariannes Briefe sind voll Mut, Lebensenergie und auch Verzweiflung; sie zeigen eine warmherzige, couragierte, aber politisch absolut naive Frau. Geboren 1985 in Wien emigrierte die ausgebildete Operettensängerin 1934 mit ihrem jüdischen Ehemann Hans Golz-Goldlust nach Prag, von wo aus Hans Golz 1939 die Flucht nach London gelang. Marianne blieb und organisierte für jüdische Bekannte die Flucht ins Ausland. Als "Arierin" glaubte sie sich weitgehend ungefährdet. Noch aus dem Gefängnis ersucht sie ihre Schwester, den Schlüssel zu ihrer Wohnung beim Gestapo-Mann Röllich zu holen - da ist die Wohnung schon lange "arisiert".

10 Monate und 19 Tage währte Mariannes Haft, wofür laut Bundesentschädigungsgesetz 1958 exakt 1500 Deutsche Mark veranschlagt wurden. Die Nazi-Richter, die das Todesurteil für Marianne und ihre Mithäftlinge unterzeichnet hatten, bekleideten nach 1945 allesamt honorige Ämter, waren Landtagsabgeordnete der cdu und Landesgerichtsräte. Auch das ein Ergebnis der Nachforschungen von Mariannes Stiefsohn. 1988 wurde Marianne Golz-Goldlust posthum in Jerusalem die Medaille der Gerechten der Völker verliehen.

Ich war glücklich bis zur letzten Stunde. Marianne Golz-Goldlust 1895-

1943. Hg. von Ronnie Golz. Berliner

Taschenbuch Verlag, Berlin 2004.

205 Seiten, m. Abb., e 9,90

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