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Gefahiime Idole, verganglieMe Ideale

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Braucht der Mensch Ideale, ein Idol, Vorbilder? Ein Thema, dem sich die diesjahrigen Salzburger Hochschulwochen widmen.

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Braucht der Mensch Ideale, ein Idol, Vorbilder? Ein Thema, dem sich die diesjahrigen Salzburger Hochschulwochen widmen.

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Vorbildlich vielfaltig ist die Liste der Referentinnen und Refe-renten, die sich bei den diesjahrigen „Salzburger Hochschulwochen" von 29. Juli bis 10. August dem Thema „Vorbilder" widmen: So wird sich etwa der Munchner Verhaltens-physiologe Wolfgang Wickler dem Thema von der naturwissenschaftli-chen Seite nahern. Die Kolner Erzie-hungswissenschaftlerin Ursula Frost und ihr Heidelberger Kollege Heiner Barz beschaftigen sich mit der Frage der Bedeutung der Vorbilder fur die Erziehung. Gotthard Fuchs von der Katholischen Akademie Rabanus Maurus und Jiirgen Werbick von der Westfalischen Wilhelms-Universitat spiiren im Weltbild dem Gottesbild nach. Uber Vorbilder sprach auch die FURCHE mit den Salzburger Wissen-schaftlern Anton Bucher, Professor fur Kathechetik und Religions-padagogik, und Hans Holler, Dozent am Institut fur Germanistik.

„Vorbilder sind meist Personen der nahen Umgebung, Menschen, mit denen man in einer Beziehung steht". Das Krgebnis einer reprasentativen Umfrage unter osterreichischen Ju-gendlichen habe ergeben, so der Reli-gionspadagoge Anton Bucher, daB viele junge Menschen sich Personen aus ihrer Familie zum Vorbild neh-men. Nur Sportier und Personlichkei-ten der Religion rangieren auf der Liste noch vor innerfamiliaren Vorbil-dern. Ausgesprochen schlecht zu spre-chen seien die Jugendlichen auf Poli-tikerinnen und Politi-ker aller Parteien. Gar nicht hoch im Kurs ste-hen uberraschender-weise auch GroBen wie Michael Jackson, Pop-Gruppen wie ,,1'ake That" oder die „Kelly Family".

„Solche massenme-dialen Vorbilder kon-nen fur Kinder und Ju-gendliche in einer be-stimmten Entwick-lungsphase eine groBe Rolle spielen", erklart Anton Bucher. Trotz-dem seien sie eher sel-ten, denn: „DaB man je-manden nachahmt, setzt voraus, daB man einander kennt. Wir lernen unter Vorausset-zung der Identifikati-on."

Der „Verlust von Vor-bildern" ist also ein natiirlicher Pro-zeB: „Vorbilder, die in einem neuen Lebensabschnitt keinen Sinn mehr machen, werden abgestreift." Eine ei-nigermaBen behiitende Erziehung, die auf die Entwicklung von Selbst-bewuBtsein und Selbstandigkeit hin ausgelegt ist, sei, so Bucher, „die beste Prophylaxe" gegen Vorbilder jenseits „der Grenze zum Pathologischen", wie sie etwa Sektenmitglieder oder -fiihrer darstellen.

Was massenmediale Vorbilder be-trifft, deren Abbilder zeitweise Kin-derzimmerwande tapezieren, rat Bucher verunsicherten Eltern, sich auf ein „gesundes Hinauswachsen durch Plausibilitatsverlust" zu verlassen.

Vorbilder waren zu jeder Zeit ak-tuell, nur sei der Vorbildbegriff im-mer wieder, besonders durch die NS -Zeit, korrumpiert worden, erklart der Religionspadagoge. Selbst die 68-er Bewegung samt der emanzipatori-

schen Padagogik, die massiv gegen Vorbilder aufgetreten sei, hatte, etwa mit Rudi Dutschke, ihre eigenen Vorbilder hervorgebracht.

Ist es nun gut oder schlecht, ein Vorbild zu haben?

„V orbilder"

sind immer ambivalent: Selbst ein Vorbild, das alle humanistischen Werte verkor-pert, kann schad-lich werden.

Dann namlich, wenn sich ein Mensch so mit einem Idol identifiziert, daB seine Identitatund Individuality ver-loren gehen." Prinzipiell aber konn-ten Vorbilder eine „Triebkraft fiir die Individuation" sein. „Schon Marga-rete Mitscherlich hat betont, daB frei gewahlte Vorbilder den Menschen weiterbringen. Der Mensch braucht Ideale. Und Ideale konnen zwar ent-

miindigen, sie konnen aber auch weiterbringen."

Die Grenze zur kritiklosen und ge-fahrlichen Heldenverehrung werde dann uberschritten, „wenn das Be-wuBtsein schwindet, daB es sich bei ei-nem Idol um ein Bild handelt, wenn die Frei-heit, anders zu handeln, einge-schrankt wird."

Eine Quelle, aus der Wider-standskraft gegen die Wirkung „ge-fahrlicher Helden" gewonnen werden kann, ist fiir den Salzburger Hans Holler der moderne Boman: Negative Helden, wie etwa die K-Figuren von Franz Kafka, befahigen die Le-senden, Widerstand zu entwickeln: Widerstand etwa gegen eine Figur, die sich, wie im Roman ,Der ProzeB', blindlings einem undurchschaubaren

Machtapparat ausliefert und seinen Willkiir-Akten unterwirft." Auch mit dem „Verlangen, um jeden Preis ins Zentrum der Macht vorzudringen", wie die Figur im Roman „Das SchloB", konne man sich nicht identifizie-ren. lis wiirden durch die Lektiire dieser Bucher Krafte freige-setzt, die befahigten, sich gegen solche „Helden" zur Wehr zu setzen, Ich-Starke zu entwickeln.

Die Entwicklung des Ich sei, so Holler, „ nur im AViderspruch zur Gesellschaft mog-lich". Das gelte besonders in unserer kommerzialisierten Zeit, in der falsche Vorbilder von jeder Plakatwand und von jedem Fernsehschirm blickten.

Zwar konne uns „die vorbildliche Sozialisation eines Helden", das Ver-folgen einer planmaBigen Entwicklung, wie sie im klassischen Bildungs-roman beschrieben wiirden, auch heute noch etwas sagen. Texte wie Goethes „Wilhelm Meister", bleiben immer aktuell,, denn sie schildern eindrucksvoll, „wie das Individuum auf zivilisierte Weise zeigen kann,

was in ihm steckt", betont der Ger-inanist Hans Holler. Allerdings sei das Bildungskonzept des klassischen Bil-dungsromanes von der Psychologie und der Psychoanalyse widerlegt worden: „Entwicklung passiert nicht or-ganisch-harmonisch. Die Geschichte jedes Ich ist gepragt von Traumata und Briichen."

„Derzeitgen6ssische Roman istda-her mehr am einzelnen Ich interes-siert, als an der Integration dieses Ich in die Gesellschaft." Diese Ich-Iden-titat, die im Widerspruch zu den gel-tenden Werten und Normen steht, mache nun oft die scheinbare Negati-vitat der Gegen wartsliteratur aus. Da-bei sei immer zu beachten, daB fiir den modernen Roman, der Elemente des Bildungsromanes aufweist, „wichtig ist, was vor 1945 passiert ist".

Hans Holler: „Diese Literatur folgt einem Konzept von Bildung nach Auschwitz. Ihre zentrale Frage lautet: Wie muB das

befahigt damit es

Ich

sein,

sich gegen eine derartige Ver-fiihrung auf-lehnen kann?" Der zeit-genossische Roman sei immer auch „Kritik an den Sozialisationsbedin-gungen in einer Geselfschaft". The-men der modernen Padagogik, wie etwa Ich-Autonomie, Ich-Starke oder die Fahigkeit, fragwiirdigen Vorbil-dern widerstehen zu konnen, seien da-her immer auch (iegenstand des Romans.

Geradedie Ambivalenz moderner Texte, die einerseits Vorbilder auf-bauen und sie gleichzeitig in Frage stellen, mache, so Holler, ihre ich-starkende Kraft aus: „Ich gehe davon aus, daB in guter Literatur zusammen mit den Vorbildern die Fahigkeit zur Distanz mitgeliefert wird". Den ma-kellos-stralilenden Helden, der zu kri-tiklos identifikatorischer Lektiire ver-fiihre, gebe es noch in der Triviallite-ratur. „Diese Hefterl-Romane schaf-fen tatsachlich Identifikationsfigu-ren", warnt Holler. So bestiinde die Gefahr, daB die Lesenden das Vorbild zusammen mit all seinen Vorurteilen und Ressentiments iibernehmen. In der „modernen literatur dagegen ist schon in die Vorbilder selbst die Reserve gegen das Vorbild eingebaut."

In den kritischen Tiraden eines Thomas Bernhard etwa stecke, so Holler, „ein Moment der Wahrheit und es ist dem Leser aufgegeben, die-sen Wahrheitskern zu suchen." Fine Aufgabenstellung, die Bernhard in seinem Roman „Die Auslo-

schung" bestatigt: „Um etwas be-greiflich zu machen, miissen wir iibertreiben, hatte ich zu ihm gesagt, nur die Ubertrei-bung macht an-schaulich ..."

In diesem Sinne ist das „Lesen eine Arbeit, die man lei-sten muB". Durch die einfachere Konsumption von Bildern konnten gerade junge Men-schen so verwohnt sein, so Hans Holler, „da6 sie die imaginative Arbeit des Lesens nicht mehr leisten wollen."

Wie man jemanden zum Lesen bringt? „Indem man ihm ein Buch gibt, und das Gliick hat, ihm das rich-tige Buch zu geben."

Die Autorin ist

freie Joiiriialistin.

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