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Gefahrliches Zwischenspiel

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In den letzten Tagen haben sich in den Parteilagern der Linken erstaunliche Dinge zugetragen. Noch vor wenigen Tagen erhielten die Wähler von den zuständigen Dolmetschern der kommunistischen Auffassung schwarz auf weiß die sehr bestimmte Versicherung, daß der sozialistische Präsidentschaftskandidat Körner und seine Partei zu den .Handlangern und Helfershelfern der amerikanischen Millionäre und Kriegstreiber gehören, gleichermaßen beteiligt an den Korruptionen und Skandalaffären, an der Teuerung, an der Entwertung des Schillings und der Ruinierung unserer Wirtschaft“ und ähnlichen bösen Dingen. „Sinnlos“ sei es deshalb, einem solchen Kandidaten die Stimme zu geben. Noch war die Woche nicht um, seit diese wilde Anklage in das Land hinauskreischte, als durch dieselben Dolmetscher kommunistischer Überzeugung, die Wähler aufgerufen wurden, demselben Handlanger und Helfershelfer der Kriegstreiber in vierzehn Tagen bei der Stichwahl zuverlässig ihre Stimme zu geben. Eins, zwei, drei — die Zauberei. Was eben noch sinnlos“ war, hat plötzlich tiefen Sinn erhalten. Die Hexenmeister, die diese Verwandlung vollzogen, wissen, warum sie den kommunistischen Wählern heute einhämmern, für weiß zu halten, was ihnen noch gestern schwarz sein mußte, für Vertrauens- und wahlwürdig, was gestern noch verrucht und verflucht war. Das Abstimmungsergebnis vom 6. Mai hat sie eine Chance erkennen lassen, auf die sie seit Jahren vergeblich gewartet haben, öffnete sich nicht ein Spalt, durch den man in das Haus des marxistischen Nachbarn eindringen, sein Zellengebilde unter dem Titel „Einigkeit der Arbeiterschaft“ durchsetzen kann, ist nicht die kostbare Gelegenheit da, mit einer scheinbaren Hilfeleistung auf sein Anwesen eine Hypothek zu legen, für die man zur rechten Zeit Wucherzinsen einfordern wird, bis ihm der Atem ausgeht? Jawohl, jetzt war die Stunde gekommen, da man, gedeckt durch einen guten Anlaß, als Geschenkgeber verkleidet, nach erprobtem Rezept und mit geschulter Routine die Partei des österreichischen Sozialismus zu infiltrieren vermag, um schließlich das verhaßte Geschöpf mit Haut und Haaren zu verschlingen. Deshalb, Kommunisten!, auf zur Stichwahl für Theodor Körnerl Gehen wir's an! Gelingt es, mit unserer Stimmenhilfe ein österreichisches Staatsoberhaupt einzusetzen — laßt es gut sein —, dann weiß unsere Propaganda, was sie daraus zu machen hat, und dann ist's zur Volksdemokratie zwischen Stephansplatz und Bodensee nicht mehr weit!

Im sozialistischen Hauptquartier verstand man nach der ersten Überraschung ob der also bescherten 220.000 kommunistischen Stimmen für die Stichwahl und nach dem ersten eigenen noch etwas mehrdeutigen Kommentar, was von dem unerwünschten Gönner gespielt wird. Anweisungen des Parteivorstandes an die sozialistischen Organisationen suchen den Tricks des bösartigen Anverwandten in der Vorbereitung der Stichwahl zu begegnen. Sie werden die Uberhäufung Körners mit ein paar hunderttausend kommunistischen Stimmzetteln nicht hindern können, und das kann unter Umständen hinreichen, das kommunistische Manöver gelingen zu lassen. Das einzige Mittel, wirksam diesen Einstiegsversuch zu durchkreuzen, die nach der Verfassung zulässige Ablösung der Kandidatur Körners durch eine entsprechende andere Nominierung für die Stichwahl, ist nicht angewendet worden.

Und doch sollte man meinen, Name und Person des Wiener Bürgermeisters sollten seinen Parteifreunden zu gut dünken, um für kommunistische List mißbraucht werden zu dürfen. Wäre zum Beispiel für die sozialistische Bewerbung der Name Helmer eingetauscht worden, so wäre zuverlässig der kommunistische Anschlag vereitelt gewesen. Man hat es für zweckmäßiger gehalten, schöne Augen nach bürgerlichen Wählern zu machen. Man versichert ihnen, daß man im Kommandoturm der Parteipresse nur „zwei Lager“ kenne — das sozialistische und das nichtsozialistische? — bewahrel —, das marxistische und das bourgeoiskapitalistische? Auch nicht. Man sieht vielmehr nur .eine Entscheidung zwischen grundsätzlichen Lebensauffassungen“„ zwischen .Fortschritt und der Starrheit einer toten Vergangenheit“. Man versteht. .Leise flehen meine Lieder.“ Unter dem Fenster 6teht der Troubadour mit der Klampfen. Sein Liedertext kam zwar schon vor einhalb-hundert Jahren aus der Mode eines des altliberalen weltanschaulichen Freisinns überdrüssig gewordenen Zeitalters, und seitdem ist er nicht schöner geworden. Aber zu Wahlzeiten werden selbst abgebrühte Parteizeitungen sentimental und dichten über gemeinsame „weltanschauliche Gesinnungen“. Also nichts mehr von Faschisten, Kapitalisten, Nazisten. Nur mehr Liebe. Bis zum 27. Mai inklusive.

Geht die Rechnung schon auf? Sie ist darauf abgestellt, daß die Zahl sozialistischer Stimmen, durch die kommunistischen, für Körner nicht abzuschüttelnden Stimmen auf rund 1,900.000 vermehrt, den Sieg dieses sozialistischen Kandidaten ergeben müßte, wenn freundlich „willkommen“ geheißene nichtsozialistische Wähler bei der Stichwahl in das sozialistische Lager auf Gastrollen übersiedeln würden: wenn aus der großen Masse von 740.000 zersplitterten oder ungültigen abgegebenen Stimmen, die alte In Leer gefallen sind, eine erhebliche Zahl durch Wähler bestimmt würde, die nach dem kommunistischen Vorstoß, dem bisher gefährlichsten und zielbewußtesten gegen die innerpolitische Ordnung, noch nicht wissen, welche Stunde es geschlagen hat, sich nicht Rechenschaft geben würden, was es für Volk und Staat zu kritischer Zeit bedeuten mag, daß in die Hand des Bundespräsidenten im 29. Artikel der Verfassung sogar der Bestand der obersten gesetzgebenden Körperschaft, der freigewählten Volksvertretung, gelegt Ist. Das Leben Österreichs, unsere Freiheit sind seiner Kraft, seiner nie schwankenden Unbeugsamkeit und Wegsicherheit anheimgegeben. Dieser Bundespräsident sollte keine, heute auch nur imaginäre Hypothek mit sich schleppen. Von jedem einzelnen ist jetzt Bescheid

abgefordert, wie er rot den klarliegenden Tatbeständen seiner Verantwortung entsprechen will. Die Führung der Volkspartei hat recht getan, mit ihrem Beschluß, jeden Wähler zur persönlichen Entscheidung aufzurufen, sie hat der Versuchung widerstanden, .Bindungen einzugehen“, Anerbietungen zu machen, Pakte einzuleiten, die in parteipolitische Entwicklungen unglückseligster Art ausmünden können. Vor jedem Verantwortungsbewußten mit gesunden Sinnen liegen die Lose ausgebreitet, die dunklen und die weißen. Täuschen wir uns nicht und lassen wir uns nichts vormachen: Am letzten Maiensonntag wird nicht über eine Parteisache abgestimmt, sondern in dieser labilen Welt, in diesen nur mit größter Umsicht zu durchsteuernden irdischen Gewässern — vielleicht über unser aller Zukunft. f.

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