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Gegen das große Morden im Meer

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Paul Watson, der mit Gewalt gegen Walfänger, Seehundmörder und Raubfischer, die mit verbotenen Mitteln das Meer zur Wüste machen, mit Gewalt vorgeht, war kürzlich in Wien.

„Die letzten drei Jahrzehnte unseres Jahrhunderts sind zum Schauplatz des dramatischsten inneren Konflikts geworden, der je die Spezies Mensch gespalten hat. Es ist nicht der Kampf zwischen Kapitalismus und Kommunismus oder irgendwelchen anderen Ismen, auch nicht der zwischen Überfluß- und Armutsgesellschaften. Und es geht auch nicht um die Konfrontation zwischen Kriegstreibern und Kriegsgegnern. Es ist der Konflikt zwischen jenen, die über die Mittel und den Willen verfügen, die belebte Welt bis zu ihrer Zerstörung auszubeuten, und jenen, die sich in einem letzten verzweifelten Versuch zusammentun, um den neuen Moloch an der Vernichtung unseres kleinen Planeten zu hindern... Siegt die falsche Seite - dann wird es keine zukünftigen Generationen geben.” Mit diesen Sätzen beginnt das Nachwort von Farley Mowat zum Buch „Ocean Warrior” von Paul Watson.

Länger als eine Stunde kann ein Pottwalbulle unter Wasser bleiben; er taucht bis auf tausend Meter hinab. Mit je zehn Meter, die er an Liefe gewinnt, lastet eine Atmosphäre Überdruck mehr auf seinem Körper. Delphine können nach der Ansicht des Mediziners John Stutphen mit ihrer dreidimensionalen Echopeilung gar eine Art Röntgenbild von ihren Artgenossen machen. Sie „sehen” nicht nur die Außenkonturen, sondern auch Körperhöhlen, Organe, Knochen. Er meint, daß „Delphine über das allgemeine Befinden von Artgenossen in ihrer Umgebung Bescheid wissen. Tumore müssen für sie so sichtbar sein wie für uns ein Leberfleck.”

Diesen hochintelligenten und sanften Meeressäugern widmet Captain Paul Watson sein Leben und seinen Kampf. Auf seine eigene Art und Wei -se. Er war Gründungsmitglied von Greenpeace, trennte sich jedoch 1977 von der Organisation und rief die Sea Shepherd Conservation Society ins Leben: „Diese Organisation hat es sich zum Ziel gesetzt, die Einsatzbereitschaft engagierter Einzelpersonen in direkte Aktionen zu kanalisieren.” Im Juli 1979 rammte er mit seinem Schiff den berüchtigten Piratenwalfänger „Sierra”. Seither unternahm er zahlreiche weitere Aktionen zum Schutz vieler verschiedener Arten von Meeresbewohnern.

Von seinem oftmals als zu radikal und abscheuerregend abgelehnten Kampf berichtet er in seinem Buch. In einer Vorbemerkung heißt es: „Meine Kampagnen wie auch die Aktionen der Sea Shepherd Conservation Society haben in der Öffentlichkeit weit weniger Aufsehen erregt als die anderer Gruppen, insbesondere die von Greenpeace. Zumindest teilweise liegt dies daran, daß wir unsere Mittel lieber für weitere Aktionen als zur Selbstdarstellung einsetzen. Ich hoffe, es gelingt mir, den Lesern dieses Buches überzeugend klarzumachen, was die Piratenwalfänger Norwegens, die Delphinmörder Japans, die gesetzlosen Treibnetzfischer Taiwans und die Walschlächter der Färöer bereits wissen: daß die Sea Shepherd Conservation Society die agressivste, sachlichste und entschlossenste Umweltorga-nisation der Welt ist.”

Die Beschreibung seiner Aktionen

dürfte dazu wohl mehr als ausreichend sein: 1981 drang er in sowjetisches Hoheitsgebiet ein, fotografierte eine russische Walfangstation mit direkt angeschlossener Pelztierfarm und entkam wie durch ein Wunder. Alsein russisches Kriegsschiff ihn eingeholt hatte und zum Entern übergehen wollte, tauchte ein Grauwal zwischen den beiden Schiffen auf. Dadurch und durch die Riesenfontäne des Wals waren die Russen so perplex, daß sie abdrehten und Watson sein Schiff wieder in amerikanische Hoheitsgewässer bringen konnte. Er schreibt, er würde sich nicht trauen, dies zu erwähnen, hätte es nicht so viele Augenzeugen gegeben.

Er bewies mit dieser Aktion, daß die Angaben der Russen gegenüber

der Internationalen Walfangkommission (IWC), die Wale würden für den Eigenbedarf der sibirischen Einwohner erlegt, falsch waren.

Watson bekämpfte die Massenschlachtung von Delphinen auf der japanischen Insel Iki und hinderte die Faröer wochenlang erfolgreich an der traditionellen Abschlachtung von Grindwalen, indem er an den Küsten patroullierte und die Tiere vertrieb. 1986 versenkten zwei Mitglieder der Sea Shepherd Conservation Society zwei isländische Walfänger im Hafen von Rejkjavik. Sie unternahmen auch Aktionen gegen die internationale Treibnetzfischerei, indem sie Thunfische jagende Seiner (Fahrzeuge, die Helikopter und Schnellboote mitführen) rammten oder deren Netze kappten. Zuletzt gründete er die O.R.C.A.FORCE (Oceanic Research and Conservation Action Force), eine Unterorganisation der Sea Shepherd Conservation Society, die mit möglichst geringen Mitteln, nach dem Vorbild von Rejkjavik, agieren soll. Ein Freiwilliger dieser Organisation versenkte einen taiwanesischen Treibnetzfischer im Hafen von Kao-hsiung.

Bei allen Aktionen Watsons wurde nie ein Mensch ernsthaft verletzt oder getötet, die Schiffe wurden nur versenkt, wenn sich niemand an Bord befand. Trotzdem und trotz der Wirksamkeit seiner Vorgangsweise verurteilt Greenpeace Watson als Terrorristen und will, so zumindest Watson, schonungslos seinen Buf zerstören. Er wiederum klagt Greenpeace vehement an, korrupt zu sein und wesentlich mehr Geld einzunehmen, als für Aktionen und Organisation nötig sei. Er meint, Greenpeace habe sogar vor seiner Ankunft in den Häfen die Mannschaften der Walfänger gegen ihn aufgehetzt und jemanden als ersten Ingenieur auf seinem Schiff eingeschleust, der die Maschinen durch Fehlbedienung beschädigte.

Wegen der starren Struktur seiner Organisation geriet er mehrfach ins Kreuzfeuer der Kritik von Greenpeace. Watson sieht sich als Chef und Kopf seines Schiffes und seiner Organisation. Oft scheint sein Kampf gegen die Demokratisierung der Organisation fanatisch. Er begründet seinen Führungsstil damit, daß er die Beduktion seiner wirksamen Aktionen auf solche nach dem Greenpeace-Schema verhindern wolle, die nicht in seinem und im Sinne seiner Organisation wären.

Tatsache ist, daß er sich offen zu allem bekennt, was er tut, und auch bereit ist, sich eventuellen Anklagen zu stellen. Doch wurde bisher noch keine erhoben. Die versenkten, gerammten oder vertriebenen Schiffe

verstießen nämlich nachweisbar gegen die Begeln des IWC, weshalb die Eigner der Schiffe wohlweislich auf eine rechtliche Verfolgung Watsons verzichten. Die „Sierra” zum Beispiel, der erste Walfänger, den Watson rammte, fuhr seit 1968 unter verschiedenen Namen, verschiedenen Flaggen und verschiedenen Besitzern kreuz und quer über den Atlantik und jagte unkontrolliert und ohne Pause. Watson zitiert eine seriöse Schätzung, wonach allein mit diesem Schiff bis 1979 mehr als 25.000 Wale getötet wurden.

Der charismatische Kapitän präsentiert sich wie ein altmodischer Seebär. Hart, aber gerecht. Ein bedingungsloser Charakter. Gegen Ende des Buches schreibt er: „Ich bin kein Kandidat in einem Beliebtheitswettbewerb. Im Gegenteil: es ist meine Aufgabe als Umweltaktivist, Dinge zu sagen, die keiner hören will, und Dinge zu tun, die keiner getan sehen will. Ich versuche so zu sein, wie ich mir meine Vorfahren gewünscht hätte. Ich wünschte, damals wäre jemand dagewesen, um den Riesenalk zu retten, die Labradorente, den Nordwal in der Bis-caya - die alle längst ausgestorben sind. Ich bin hier, um die Arten zu schützen, die sonst denselben Weg gehen würden, und ich tue es um meiner Kinder und Kindeskinder willen.”

Watson steht auf dem Standpunkt, daß alles Leben denselben Wert hat. Genau diese Einstellung war es, die ihn bei Verhandlungen mit den Fischern von Iki zum Erfolg führte. 1982 plante er eine Fahrt seines Schiffes nach Japan, um vor Ort gegen die Abschlachtung von Delphinen vorzugehen. Er ließ die Regierung und die Medien Japans wissen, er werde sich nicht durch Drohungen von seinen Plänen abhalten lassen. Dadurch entstand ein solcher öffentlicher Druck in Japan, daß sich die Regierung und die Fischer gesprächsbereit zeigten. Watson schaffte es in diesem Fall durch seinen Ruf, ohne jede gewaltsame Aktion, das Schlachten der Delphine auf Iki weitgehend zu stoppen.

Vieles, was Watson schreibt, ist von tiefer Liebe zum Leben im Meer geprägt: „Diese Hunderte Wale rings um die Sea Shepherd auftauchen zu sehen, wie ein Schwärm von Wesen, die uns Glück wünschten, war um so ergreifender, als wir mit eigenen Augen beobachtet hatten, wie endzeitlich öde und verlassen die Golfe und Meerengen des Pazifik geworden waren. Südlich der Aleuten hatte einst eine breite, zweispurige Walstraße vorbeigeführt, ein Wanderpfad, dem Finnwale, Blauwale und Buckelwale wie auch Grauwale gefolgt waren. Sie waren die größten Erdbewohner, die Könige der Meere gewesen. Aber jetzt waren die Meere leer.”

Aus der Tatsache, daß Watson über Mittelsmänner auch bereits finanzielle Unterstützung angeboten wurde, schließt er, daß er, der als radikal abgetane Watson, längst nicht mehr allein steht, sondern auch andere gewillt sind, nicht nur mit Ermahnungen, sondern auch auf wirkungsvolle Weise etwas gegen das große Morden an den Meeresbewohnern zu unternehmen. Letztlich, meint er, sammeln sich vielleicht die Bemühungen zu einer ernstzunehmenden Kraft: „Vielleicht bedeutet meine Arbeit nicht mehr als ein Kräuseln auf dem Wasserspiegel des Ozeans. Aber es haben schon andere vor mir das Wasser gekräuselt. Rachel Carson und John Muir, Jules Verne und Farley Mowat, Dian Fossey und Richard Leakey haben alle zu ihrer Zeit kleine Wellen geschlagen. Zusammen mit dem ihren wird mein eigenes Kräuseln Wellen und Wogen bilden und am Ende vielleicht die donnernde Sturmflut, die über den Felsen menschlicher Ignoranz und Selbstsucht hereinbricht.”

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