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Eine Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager.

Absolute Macht tobt sich aus, wann immer sie will. Sie will Freiheit nicht beschränken, sondern zerstören. Sie zehrt die Menschen aus, durch nützliche und sinnlose Arbeit. Sie setzt ökonomische Ziele, von denen sie sich selbst emanzipiert. Sie befreit sich von ideologischen Überzeugungen, nachdem sie die Lagergesellschaft nach ihrem ideologischen Klassenmodell organisiert hat."

So hat Wolfgang Sofsky in seinem Buch "Die Ordnung des Terrors: Das Konzentrationslager" die totale Machtstruktur des kz-Terrors beschrieben, in der nichts die Gefangenen vor der entfesselten, enthemmten Gewalt schützen konnte. Das Konzentrationslager ist das Sinnbild der nationalsozialistischen Herrschaft. "kz" ist die Metapher für Schrecken, für Ausbeutung, für Folter, Qual und Mord - für massenhaftes, planmäßiges, maschinelles und industrielles Morden.

Von der britischen Kanalinsel Alderney bis zur früheren Sowjetunion, vom Baltikum bis nach Griechenland gab es an die tausend Außenlager. Heute erinnert nur noch wenig an diese "Orte des Terrors"; die Spuren wurden getilgt, aus der Erinnerung verdrängt.

Sechzig Jahre nach Kriegsende und der Befreiung der Konzentrationslager erscheint unter dem Titel "Der Ort des Terrors" eine Gesamtdarstellung der Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager, herausgegeben von Professor Wolfgang Benz, dem Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung der tu Berlin, und Barbara Distel, der Leiterin der kz-Gedenkstätte Dachau. Das auf sieben Bände angelegte wissenschaftliche Großprojekt richtet sich gegen das Vergessen und Verdrängen der Vergangenheit.

Der erste, nun vorliegende Band versucht Struktur und System der Lager zu erklären, begreifbar zu machen. In ihrem Beitrag schildert Angelika Königseder beispielsweise die Entwicklung des kz-Systems: anfangs wurden die Konzentrationslager häufig in leer stehenden Fabriken errichtet, in Gefängnissen, bevor das kz als Lagersystem nach dem Vorbild Dachau ausgebaut wurde. Bereits 1933/34 existierten in Deutschland mindestens 70 Konzentrationslager und 30 so genannte Schutzhaftabteilungen - wenn zum Teil auch nur für wenige Wochen oder ein paar Monate.

Kollektive Ausrede

Den Schluss, den die Untersuchung von Königseder nahe legt, zieht Jürgen Matthäus etwas später ganz ausdrücklich: dass es nur eine kollektive Ausrede ist, dass die Menschen in Deutschland nichts von den Konzentrationslagern wussten. Der Historiker weist anhand von Akten aus den jeweiligen Stadt- und Regionalarchiven nach, wie eng eingebunden das Lagersystem in den Alltag war - von der Ausschreibung von Bauaufträgen bis zur Suche nach entflohenen Häftlingen waren ganz normale Menschen am Betrieb der Konzentrationslager beteiligt. Zumeist als Zuschauer, aber eben auch als Profiteure und sogar als Mittäter.

Der Wert des geplanten Werkes ist darum wohl kaum zu überschätzen. Diese Dokumentation wird ohne Zweifel einen zentralen Beitrag zur Annäherung an die Geschichte des Dritten Reiches leisten - welche Rolle das kz für das Herrschaftsmodell der Nazis spielte, und welchen Stellenwert das kz im öffentlichen Bewusstein der Bevölkerung tatsächlich hatte. Demnächst wird der zweite Band erscheinen, der die frühen Lager und das Modell-kz Dachau genauer untersuchen wird.

Der eigentliche Verdienst dieses ehrgeizigen Projekts liegt aber sicherlich darin, sich ganz bewusst gegen das Vergessen zu stemmen: dass das kz ein Ort des Terrors war - und als solcher auch ein zentraler Ort des Erinnerns ist und bleiben muss.

Der Ort des Terrors

Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager,

Bd. 1, Die Organisation des Terrors

Hg. von Wolfgang Benz und Barbara Distel

C. H. Beck Verlag, München 2005

394 Seiten, geb., e 61,60

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