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Gegen das Verstammen

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Speaker's Corner, eine Veranstaltung im Rahmen der Grazer Ökumenischen Versammlung. Die gute Idee: Es soll geredet werden. Frei von der Seele. Un-zensiert. Der Talkmaster ist aus Wien angereist. Hermes Phettberg. Der vom Fernsehen. Das zieht. Kaum hat er das kleine Podium erklommen, sammelt sich das Publikum erwartungsvoll. Die eine oder andere Pointe im Vorübergehen mitzunehmen, das ist ein wenig Verzögerung des Alltags wohl wert.

Aber er ist diesmal nicht besonders gut drauf, der Hermes. Sagt nicht viel, bietet sofort das Mikrofon an. Er sei nicht zur Unterhaltung engagiert worden, sondern zur Moderation. Einer Diskussion, die aber nicht recht in Gang kommt. Nur ein Betrunkener will das Mikro, schimpft über die Grazer Polizei und schildert sein karges Mittagessen. Das will keiner hören. Phettberg entzieht dem Betrunkenen das Wort. Keiner ergreift es.

Phettberg überbrückt die bedrohliche Stille mit einem Griff ins Bepertoire. Wie schwer es ihm gefallen sei, sich für die Beise nach Graz vorzubereiten. Wie kaputt er sei. Nachdenkliche Stille, aber kein Aufschwung zur Diskussion. Keine Speakers im Corner.

Da spricht Hermes Phettberg einen seiner Sätze, die so präzis ins Wesentliche langen: „Da sind wir umgeben von Tausenden Medien”, sagt er, „aber wir haben einander nichts mehr zu sagen.”

Die Analyse stimmt möglicherweise, leider. Was wird nicht alles geredet, jeden lag? Was klirrt und scheppert und stottert nicht täglich an Wortschrott daher? Was wird nicht alles besprochen, behauptet, gewußt, dementiert, gemutmaßt und vor allem: getalkt? Über alle Tabus hinweg, in greller Veröffentlichung aller Privatheit, in konsequenter Geheimnislosigkeit. So drängt sich der Talk ins Rampen-licht. Was du zu Hause nicht zu erzählen wagst, im Fernsehen wirst du es los. Dort wird lebensnah gesprochen, dort gelingt Versöhnung noch, dort findet der Zuschauer auch noch sein kleinstes Problem wieder, identifiziert sich folgsam und wie vorgesehen.

Trotzdem: Hinter dem unausgesetzt lauten Beden über vorgeblich alles und das ganze Leben ist es still. Dort herrscht Schweigen. Nicht jenes, das als Hören das Sprechen aus sich entläßt, sondern jenes, das als dumpfes Verstummen alles mit sich reißt.

Die Sprache der Kirche hat es schwer, sich Gehör zu verschaffen. Wer hört noch hin, wenn alles gesagt ist? Aber es ist nicht nur das Gehör, es ist beileibe auch die Zunge manchmal, die Schwierigkeiten macht. In der „Sprache der Kirche” (zugegeben, eine Abstraktion) sammeln sich Tausende selbstproduzierter Weghör- und Abschaltimpulse. Die hermetische Insidersprache, die alle Ungewißheit tief in sich verscharrt hat. Das säuselnde pastorale „Wir”, das alle einschließt und keinen trifft. Das ungerührte Hinausposaunen einer Antwort, zu der noch keine Frage paßt. Das ungerührt und un-berührend zitierte Zitat. Der rosarote Sinnspruch zum Tag. Das unpräzise Umtänzeln der Journalistenfrage. Die alles entschärfende Floskel. Die in konsequenter Distanz zur eigenen Existenz vorgetragene Glaubenslehre. Die in die Jahre gekommene Überzeugung. Das Reden am falschen Ort, zur falschen Zeit. Das Schweigen am falschen Ort, zur falschen Zeit. Die wohlvorbereitete Antwort auf die vorweg eingeforderte Reporterfrage. (Und die seltsame Angewohnheit vieler Kleriker, Nachsilben über Gebühr zu betonen: beten, bitten, retten mit überstrapaziertem ,,-ten”: Warum sagt ihnen das niemand?) Die Drohung heißt: Mitten im eifrigen täglichen öffentlichen Reden wird dieses zum pastoralen Betriebsgeräusch, das bestenfalls dann noch wahrgenommen wird, wenn endgültig Stille eintritt.

Nicht die Stille, aus der alles Sprechen kommt, sondern das Verstummen.

Aber wo Gefahr ist, wächst das Bettende auch. Schon springt der Kirche, springt den Kirchen ein Medienprofi bei und erklärt ihnen ohne mit der Wimper zu zucken, wie man es macht. Es wäre auch irgendwie überraschend, käme in Zeiten des allseits verordneten Gequassels der entscheidende Hinweis nicht aus der Welt der Talkshows. Jürgen Fliege heißt der gute Mann, evangelischer Pfarrer a.D.; „verständnisvoller Tröster als Talkmaster”, nennt ihn zurückhaltend der Klappentext seines Büchleins mit dem franziskanischen Titel „Kirchenbeben”. Denn Jürgen Fliege ist vom Fach. Er moderiert eine eigene Talkshow in der ARD. Wer, wenn nicht er, sollte wissen, wie man heute zu reden hat? Und er hat sie umbarmherzig im Visier, die Sprachferne zwischen der Kirche und den Leuten. Die Sprache des Volkes müsse man wiederfinden, sagt Fliege. „Man muß aus der Kirche ausziehen und andere Formen und Worte finden.” Es ist eine stark bereinigte Kirchensprache, die dem Talkmaster vorschwebt: „Das Wort ,Evangelium' darf nicht darin vorkommen. ,Wort Gottes' darf nicht mehr vorkommen, weil die Menschen von diesem Wort die Nase voll haben.”

Die Menschen haben die Nase voll. Die „ganz normalen” zumal: „Gehen Sie mal auf die Straße zu ganz normalen Leuten und reden denen vom Evangelium und vom Reich Gottes. Niemand wird sie verstehen.”

Logo, daß man darauf reagieren muß. Kirche, raus aus den Sakristeien und Studierstuben, hinein ins pralle Leben, hin zu „Spontaneität, Lust und Schutzlosigkeit”. Und zuallererst ist die Sprache mediengerecht zu machen, indem sie sich angleicht an alles andere.

Einspruch. Selbstverständlich, Übersetzung tut not. Tradition muß neu formuliert werden, sonst stirbt das Gespräch. Aber das Heil liegt nicht in der Verwechselbarkeit des Boulevards. Nicht in der Anbiederung an das Allgemeine, nicht im Verbergen des Eigenen und Wesentlichen, weil die „normalen Menschen” vielleicht schon die Nase voll hätten. Das Wort der Kirche darf und soll querliegen. Es darf herausfordern, es soll zumuten, gegenüber sein. Schutzlos, da hat Fliege recht, schutzlos soll es sein. Nicht bewahrt hinter den Schilden der Gelehrsamkeit und ihren ewig ausgleichenden Belativsätzen. Nicht eingezwängt hinter den Labyrinthmauern der Diplomatie. Gerade, gewagt, vollmächtig soll es sein. Engagiert gesprochen, mit dem eigenen Leben unterschrieben. Dazu ist Voraussetzung, daß die Begriffe nicht lügen. Daß, zum Beispiel, „Dialog” nur heißt, was Dialog ist. Ein Wort wäre das, das keiner Interpretation bedarf, weil es selbst die Situation erhellt und interpretiert. Das in die Zeit spricht, die Zeit ansagt. Ein Wort, das in Tiefendimensionen trifft, das Grundsituationen des Menschen erhellt. Wo Sprache sorgfältig ist, mit Liebe gewählt, behutsam und deutlich, kräftig und mit viel Raum für Stille versehen, dort findet sie ihre Hörer. Wo sie deutlich macht, welchem Ereignis sie sich verdankt, gewinnt Kirchensprache Kanten und Konturen. Dann trifft das Wort der Kirche Maßnahmen gegen das Verstummen. Dann wachsen vermutlich auch mediale Präsenz und Kompetenz.

Das gelingt nicht immer. Aber seit jeher lebt die Kirche vom Vertrauen auf das Unverfügbare. Im Menschen-wort hat sich das andere Wort geschenkt, schenkt sich vielleicht auch heute. Das „Wort Gottes”. Die andere Stille, das andere Schweigen. - Und Pfarrer Fliege würde sagen: Das können die Menschen nicht mehr hören.

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