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Gegen die tote christliche Kunst

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M.-A. Couturier (1897-1954) war Wegbereiter des Gesprächs zwischen Kirche und zeitgenössischer Kunst. Sein Anliegen ist auch heute brennend aktuell.

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M.-A. Couturier (1897-1954) war Wegbereiter des Gesprächs zwischen Kirche und zeitgenössischer Kunst. Sein Anliegen ist auch heute brennend aktuell.

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Da kämpft einer fast ein halbes Jahrhundert lang um eine fruchtbringende Begegnung zwischen zeitgenössischer Kunst und Kirche, und als in Assy tatsächlich ein Kirchenbau mit Werken von einigen Meistern des 20. Jahrhunderts fertig ist, rechtfertigt er die Vorgangsweise so: „Wir achteten auf die Tatsachen. Für uns ist es eine Tatsache, daß die christliche Kunst tot ist. In allen Ländern. Tot in der Art, wie zum Beispiel Latein eine ,tote Sprache' ist.” Warum ist der Mann, von dem dieser Ausspruch stammt, derart unbekannt geblieben? Weil er mit seiner Analyse völlig falsch lag, oder weil sie so treffgenau war, daß sie auch seine eigenen Bemühungen ins Leere laufen ließen?

Der Mann, um den es hier geht, Marie-Alain Couturier, kam am 15. November 1897 zur Welt und sollte nach wechselhaften Jugendjahren - mit der Mitgliedschaft in der monarchistischen „Action frangaise” und als Student in den „Ateliers christlicher Kunst” - als Herausgeber der Zeitschrift „Art Sacre” zu einem der Vordenker für den oben angesprochenen Dialog werden. Der erste entscheidende Wendepunkt war sein Eintritt in den Dominikanerorden, der ihm eine solide philosophische und theologische Ausbildung angedeihen ließ und ihn ab 1936 mit der Herausgabe der Zeitschrift „Art Sacre” betraute. Der Künstler, so die damalige Sicht Couturiers, bleibt mit einer Ausschließlichkeit seiner Kunst verpflichtet, die für die Bückbindung an Gott keinen Baum mehr läßt. Couturier glaubte nur, daß Gott am Ende jedes künstlerischen Wegs die Künstler wie lauter verlorene Söhne und Töchter heimholt.

Einen weiteren tiefen Einschnitt für den Werdegang Couturiers bedeuteten die Kriegsjahre, die er im Exil in den USA und Kanada verbrachte. Dort stand er mit vielen anderen Flüchtlingen in regem Austausch, was ihn bewog innerhalb nur einer Woche seine ablehnende Haltung gegenüber der ungegenständlichen Kunst umzukehren. „Vor einigen Jahren dachte ich, daß ein solcher Künstler keinen Bezug zu einer äußeren Bealität haben könne, daß er deshalb nicht christlich sein könne, da jede religiöse Kunst eine innige Beziehung zu einer übernatürlichen Welt beinhalte. Aber ich sehe heute, daß das alles zu summarisch war. Der wesentliche religiöse Wert eines Bildes steht ihm näher als sein eigentliches Thema.” Mit diesem Schritt gelang Couturier die Überwindung des damals gängigen (und heute wieder entstehenden) vulgärchristlichen Verständnisses, das im christlichen Bereich der Kunst nur den Platz der Illustration zugesteht und nichtssagende Mittelmäßigkeit hervorruft.

Von Matisse bis Chagall

Nach Frankreich zurückgekehrt nimmt Couturier die Arbeit wieder auf und bekräftigt seinen Weg, der die Kunst im kirchlichen Bereich auf der Höhe der Zeit halten will, indem er sich unter Berufung auf den französischen Maler Delacroix nur an die „Meister” wenden will. Diese Meister, ob nun gläubig oder nicht, werden von einer unhinterfragbaren Intuition getragen: „Jeder wahre Künstler ist ein Inspirierter. Schon durch seine Natur, sein Temperament ist er vorbereitet für spirituelle Wahrnehmungen: Warum nicht für die Ankunft jenes Geistes, der schließlich weht, wo er will?” Andererseits will Couturier eine bloße „ Kunst-für-die-Kunst” verhindern, er verbindet mit seiner Theorie immer auch ein pasto-rales Anliegen. „Das Ziel der Zeitschrift muß vor allem die Wiederherstellung des Geschmacks der Leute, genau gesagt ihres poetischen Sinns bleiben. Alles andere ist intellektuelle Nachäfferei. Und dieser Wiederherstellung werde ich immer alles opfern. Den besten Dienst, den ich leisten kann, ist bis zum Äußersten meines Glaubens zu gehen.” Die beiden Anliegen der „Beform der Ideen” und der „Wiederherstellung der visuellen Sensibilität” begleiten ihn die restlichen Jahre seines Lebens. Er sieht es als eine Beinigung und Befreiung vom „Zuckerbäckerstil” seiner Zeit. Die vom Evangelium vornehmlich in den Seligpreisungen beschriebene „Armut im Geiste” und „Beinheit des Herzens” verknüpfen sich mit der Schönheit der modernen Kunst. „Bescheidenheit” wird für Couturier zu einem Schlüsselbegriff.

Diese theoretischen Zugänge waren aber immer begleitet von praktischer Arbeit. Teils .durch Couturiers eigene künstlerische 1 atigkeit, teils durch die von ihm angeregte und begleitete Mitarbeit einiger der bedeutendsten Künstler an Kirchenbauten: Im August

1950 wird die Kirche in Assy geweiht, Henri Matisse, Georges Braques, Marc Chagall, Germaine Richiar und andere haben daran mitgearbeitet. Im Juni

1951 wird die von Matisse gestaltete Kapelle der Dominikanerinnen in Vence geweiht und im darauffolgenden September die Kirche in Audin-court mit Glasfenstern von Fernand Leger und Jean Bazaine. Alfred Man-essier ist mit Fenstern für die Kirche in Le Breseux beschäftigt und Le Corbusier baut die Kirche in Bonchamp und den Konvent La Tourette in Arbresle.

Auferstehung der Kunst

In Theorie und Praxis hat Couturier gegen den Umstand „der toten christlichen Kunst” angekämpft und glaubte als Christ auch für diesen Bereich an eine Auferstehung. Man hat den Eindruck, daß einige „gebaute Zeugen” in Frankreich so noch auf ihre Entdeckung warten - als Anregung und Vorarbeit für den Übergang ins nächste Jahrtausend. Selbst wenn Couturier es für „ein Traumgespinst hielt, von einer materialistischen Gesellschaft eine wirklich christliche Kunst zu erwarten”, so formulierte er auf die Zeitschrift „Artsacre” bezogen doch einen Auftrag: „Also gehen die Gedanken weiter. Im Zickzack. Denn es ist eine Zeitschrift der Unsicherheit und der Entsagung. Sie gleicht dem Leben.” Daß Couturiers Gedanken in bezug auf das Verhältnis von Kirche und Kunst weitergehen, bleibt auch heute immer noch eine Hoffnung.

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