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Digital In Arbeit

Geht uns täglich Jux und Gaudi

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Der Kultursoziologe Manfred Prisching über die Auswirkungen der Informationsgesellschaft auf den Menschen: „Alles ist frei und alles egal”.

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Der Kultursoziologe Manfred Prisching über die Auswirkungen der Informationsgesellschaft auf den Menschen: „Alles ist frei und alles egal”.

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DIEFURCHE: Die Welt verschmilzt zu einer großdimensional vernetzten Kommunikations- und Informations-gesellscha.fi. W%s bedeutet das fiir die Entwicklung des Menschen? Manfred Prisching: Die gängigen Vokabel wie Informationsgesellschaft, Kommunikationsgesellschaft, Mediengesellschaft, verkabelte Welt, Satellitenzeitalter bis hin zur virtuellen Realität - sie alle fassen zusammen, was da auf uns zukommt.

Die Reaktionen darauf waren zu erwarten. Es gibt zwei ganz konträre Positionen: Die einen bejubeln diese große Öffnung und weltweite Verfügbarkeit von Daten und Informationen. Sie meinen, daß damit alle Informationsträume erfüllt werden. Die anderen, die Kulturpessimisten, sagen, das sei das Ende des klassischen Menschen wie wir ihn kennen, weil er total überfordert ist.

Wie immer bei so grundlegenden Neuerungen, können wir nichts anderes tun, als ein bißchen wohlinformiert und besonnen darüber zu spekulieren, was das bedeutet, und was da an Tendenzen und Entwicklungen auf uns zukommt.

DIEFURCHE: Und was denken Sie? Gibt es mehr Grund zur Hoffnung oder mehr Anlaß zur Sorge? prisching: Im Zweifelsfall schlage ich mich eher zu den Kulturpessimisten ...

DIEFURCHE: Wird die prognostizierte Daten- und Bilderflut den Menschen so negativ verändern? prisching: Die Menschen werden eine geänderte Wahrnehmung von Wirklichkeit haben, und es wird auch eine Veränderung der Befindlichkeiten der Menschen selbst geben. Dazu kommen noch ganz bestimmte strukturelle und politische Änderungen.

Der wichtigste und entscheidenste Punkt bei der ganzen Entwicklung ist sicherlich der Verlust der Wirk-lichkeitswahrnehmüng. Die zunehmende Konzentrierung auf multimediale Vermittlungssysteme bewirkt, daß nur mehr das als Wirklichkeit und als Welt angesehen wird, was im Fernsehen zu sehen ist. In diese Medien kommen aber nur Geschichten, die fernsehgeeignet sind. Also solche, die einen gewissen Neuigkeits- und natürlich auch einen Unterhaltungswert haben und sich von der Darstellbarkeit her für dieses Medium eignen.

Man meint, es würde nur ein ganz bestimmter Ausschnitt der Wirklichkeit geboten. Aber in Wahrheit handelt es sich gar nicht um einen Ausschnitt, sondern nur um die Aneinanderreihung beliebiger Inhalte, die aber nacheinander präsentiert werden. Das bedeutet aber zugleich die Einebnung dessen, was wichtig und was nicht wichtig ist. Alles wird beliebig hintereinander und nebeneinander gestellt. Die Medien bedienen sich mit Geschichten aus der ganzen Welt, nehmen wichtige und unwichtige und stellen sie mit gleichem Wert nebeneinander hin. Wenn aber alles frei ist, wenn alles offen ist, dann ist auch alles egal.

Ich glaube, daß wir in vielen Bereichen bereits so etwas wie eine Indifferenzreaktion sehen. Wo lösen denn Bücher, Ausstellungen, Theateraufführungen noch Auseinandersetzungen aus? Doch nur mehr, wenn irgendwo die allerletzten Tabus angekratzt werden. Sonst ist ja alles im Prinzip egal.

Das ist eine Indifferenz, die auch so mit der Ungeduld der Unrast einhergeht, die durch diese Medien vermittelt wird. Überall verliert man Zeit, indem man sich mit den Medien anlegt. Wenn man sich etwas anschaut, versäumt man schon wieder viele andere Dinge, die man sich auch anschauen könnte. Es gibt immer so viel mehr an Informationen, als man wirklich zu Gesicht bekommt. Allein dieses Wissen um noch mehr Informationen läßt uns schon nicht mehr gelassen wahrnehmen, geschweige denn besonnen verarbeiten, was wir gerade sehen. Es ist die Schnelligkeit, die Unrast, es sind die kurzen AVege, die raschen Informationen, auf die man gewissermaßen geschult wird.

DIEFURCHE: Eines der tragenden Prinzipien dieser Medien ist das Unterhaltungsprinzip ... prisching: Dieses Unterhaltungsprinzip kriecht allmählich in alle Teile des Lebens vor. Wirtschaft, Politik und Kultur - alles wird als Unterhaltung präsentiert, bis hin zu den zahllosen Talkshows, diesen Karikaturen sprachlicher Kommunikation. Sie verbreiten sich seuchenhaft. Das „Argumentieren” wendet sich gar nicht mehr an die Vernunft, sondern nur an das Bedürfnis nach Unterhaltung. Und da alles im Fernsehen als Wirklichkeit gesehen wird, bedeuet diese Art von Diskussion eben dann: So „diskutiert” man auch in einer wirklichen Diskussion, denn das Fernsehen hat eine Art Vorbildcharakter.

DIEFURCHE: Hat der amerikanische

Medienforscher Neil Postman recht, daß wir uns „zu Tode amüsieren”? prisching: Gesellschaft wird zunehmend als lustige Erlebnisgesellschaft gesehen. In der gibt es so wie am Jahrmarkt viel Heiteres, dem man begegnen kann. Den Mitgliedern einer solchen oberflächlichen Jux-Kultur geht es nur mehr darum, daß sie möglichst viel - eben wie im Fernsehen - hintereinander erleben. Nur wer Sensationen wahrnimmt, spürt, daß er lebt. Dazu braucht man immer wieder Impulse.

DIEFURCHE: Welche Forstellung von einer richtigen Lebensführung herrscht dann in so einer Gesellschaß? prisching: Die Gesellschaft erwartet, daß man prompt auf diese Sensationen und Reize reagiert. Wer das nicht fertigbringt, der hat in den Augen der anderen Probleme mit seiner Befindlichkeit.

DIEFURCHE: Besteht eine Chance, sich dieser Entwicklung zu entziehen, also den Anspruch auf eine eigenverantwortliche Stellungnahme aufrechtzuerhalten?

PRISCHING: Wir sind in diesem Gespräch jetzt ein bißchen zu sehr auf der pessimistischen Seite gewesen. Denn natürlich gibt es auch eine optimistische Seite: In absehbarer Zeit wird alles zusammengeflossen sein. Dann sind Computer, Fernseher und Video eins. Dann habe ich die britische „Herald Tribüne” auf dem PC, auch die ersten wissenschaftlichen Zeitschriften werden auf CD angeboten. Das ist wunderbar, man erspart sich Recherche und Routinearbeit. Da kann man viel rausholen. Es ist auch schön, wenn ich mir die Nationalbibliothek mit ihren Beständen auf den Schirm holen oder im Internet (siehe Seite 12, Anm. d. Red.) herumkurven kann. Nur - im Prinzip ist das keine massenwirksame Angelegenheit.

Es spricht einiges dafür, daß sich die Gesellschaft stärker spalten wird. Auf der einen Seite gibt es die Verfügbarkeit vielfältigster Informationen für Leute, die sich dafür interessieren. Das ist aber eine kleine Minderheit. Auf der anderen Seite wird die nivellierende Wirkung der Massenkultur durchschlagen. Das heißt, daß hier sowohl innerhalb einer Person, aber noch stärker zwischen den sozialen Gruppen, die Entwicklung auseinanderklafft.

Es wird hier die gut Informierten geben, dort die massenmedial Vergnügten. Es ist jedenfalls eine Illusion zu meinen, daß die Informationsgesellschaft eine allgemein hoch informierte Bevölkerung sein wird, die auch politisch hochgebildet ist und sich die verfügbaren Informationen aus allen Teilen der Welt beschafft.

Nur eine kleine Minderheit, die bestimmte intellektuelle Interessen hat, wird das tun. Die anderen werden aus den seichten Stellen des Informationsstromes nicht mehr herrauskommen.

DIEFURCHE: Haben wir dann nur mehr asoziale Stubenhocker, die stundenlang in ihre Bildschirme starren? Werden uns irgendwann die Worte fehlen, wenn wir einem anderen Menschen nicht via Computer, sondern leibhaftig begegnen? prisching: Wir sollten uns davor hüten, uns unsere Vergangenheit zu romatisch vorzustellen. Nehmen Sie beispielsweise die Bauern her: Deren Leben bestand wahrlich nicht nur aus Erntedankfesten und fröhlichen Tänzen. Das Leben dieser Menschen war ziemlich sprachlos. Und auch bei den Arbeitern hat es zwar einige Kultur-Highlights gegeben, aber der intellektuelle Diskurs hat sich auch immer in Grenzen gehalten. Wer meint, daß die Menschen früher so viel miteinander gesprochen haben, während sie heute nur vor den Kästen sitzen, der verfällt in etwas romantische Verklärungen.

DIEFURCHE: Ist ein Romantiker, wer meint, daß das menschliche Bedürfnis nach Kommunikation verkümmern wird?

PRISCHING: Es ist relativ ungeklärt, in welchem Maß diese Bedürfnisse beispielsweise durch das Fernsehen abgedeckt werden. Fernsehen ist für viele Menschen in gewisser Weise eine Art Kommunikation.

Es klingt sonderbar und doch ist es so, daß viele Menschen glauben, sie haben zu den Stars im Fernsehen eine persönliche Beziehung. Die sehen einen Schauspieler oder Moderator auf der Straße und sagen „Ser-vus” oder fragen ihn persönliche Dinge, weil sie den Fernsehfilm als Wirklichkeit nehmen. Man sieht gute alte Freunde in einer täglichen Familienserie und ähnliches. Es ist nicht nur den Kindern nicht klar, daß dies eine Fiktion ist, sondern auch den Erwachsenen.

Die Wirkung ist eine offene Frage. Man kann derzeit noch nichts Vernünftiges dazu sagen. Es ist nicht sicher, ob das Bedürfnis nach Kontakten und Kommunikation durch den Fernseh-Bildschirm befriedigt

werden kann.

Die mediale Wirklichkeitsprägung läßt derzeit noch völlig offen, wie wir miteinander umgehen können. Die älteren Generationen haben das in der Weise ja noch nicht erlebt. Kein Erziehungswissenschaftler kann irgendwie vernünftig Auskunft geben, was das wirklich für Kinder bedeutet, die in dieser Weise aufwachsen. Unsereins weiß ja noch, was wirklich ist, wie die Welt läuft. Die Kinder müssen die Welt kennenlernen. Es ist nicht selbstverständlich für sie, daß vieles, was im Fernsehen möglich ist, in der Wirklichkeit nicht geht. Das trifft auf Erwachsene ansatzweise zu, aber auf Kinder schon pointiert. Die wachsen mit dieser künstlichen Wirklichkeit schon auf ...

DIEFURCHE: ... gefangen im Datennetz und einer künstlichen Bilderwelt?

PRISCHING: Ja. Ich glaube, daß es Abstumpfungsmechanismen gibt und Gefühlsverkümmerung. Wer permanent vor dem Schirm sitzt, stundenlang und jeden Tag konfrontiert ist mit hochkonzentrierten emotionellen Anreizen ...

Man kann mit dem nicht anders umgehen, als daß man seine Sensibilität wesentlich verringert. Wenn sich alle zehn Minuten einiges abspielt auf dem Bildschirm, dann berührt das viel weniger und man kann nicht anders umgehen damit, als daß man da die Schwelle, mit der man derartige Dinge an sich heranläßt, wesentlich steigert. Das heißt natürlich, daß ich auch in der Wirklichkeit, im Umgang mit anderen Menschen, wesentlich unsensibler bin. Dann reagiere ich auf keine zarten Signale mehr, denn ich bin trainiert drauf, nur mehr die ganz harten scharfen Signale wahrzunehmen.

DIEFURCHE: Müssen wir uns damit abfinden?

PRISCHING: Es gibt da manchesmal recht seltsame Entwicklungen. So hat man in der Gruppendynamik in den siebziger Jahren Sensibilisie-rungstrainigs durchgeführt. Dann kam man drauf, die Leute brauchen genau das Gegenteil, nämlich ein Desensibilisierungstraining, um die Wirklichkeit zu bewältigen. Das sind so Pendelschwünge, die die Sozialwissenschaften überhaupt nicht voraussagen können. In welcher Weise Gegenreaktionen ins Laufen kommen, wie gerade eine sehr pointierte und deutliche Entwicklung wieder Gegenentwicklungen hervorruft, ist nicht voraussagbar.

Das Gespräch mit

Dem A.O. Professor am Institut für Soziologie der Universität Graz führte Elfi Thiemer.

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