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Geistige Krise des Theaters

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In vielen ..Theatergesprächen“ debattieren Dramaturgen, Regisseure und Schauspieler mehr oder weniger geistreich über Themen, wie n Gibt es noch eine gültige Form der Schauspielkunst?“, „Episches oder poetisches Theater“ ... Wenn auch diese Unterhaltungen innerhalb der Fachkreise sicher interessant sein mögen, so beweist doch die geringe Anteilnahme des Publikums an diesen Gesprächen, daß sie für Theaterleute nur theoretischen Wert haben. Denn die praktische Auswertung solcher Gespräche, die etwa eine Meinungserforschung des Publikums sein könnte, bleibt aus. Oder sollten diese Gespräche nur zur Mode geworden sein? (Man ist anscheinend in ein Zeitalter der „Gespräche“ gekommen.) Oder haben sie wirklich eine tiefere Ursache? Dann müssen diese Themen an einem anderen Platz erörtert werden. Dieser Platz ist die Direktion des Theaters, die den Spielplan entwirft, die Schulbehörde, die den Theaterbesuch des Jugendlichen organisiert, ist die Leitung der Besucherorganisationen, die Leitung der Kulturämter. Diese Stellen sollten aus ihrer Verantwortlichkeit für das Kulturschaffen einer Stadt, eines Landes, die Themen diskutieren, die nach dem Sinn und Zweck des Theaters fragen.

Doch versuchen wir zunächst einmal die Ursache der Gespräche und ihre Notwendigkeit zu analysieren. In Zeiten eines Zwischenstadiums — und offenbar befinden wir uns in einem solchen, denn es ist in der gesamten Weltpolitik und Weltwirtschaft noch nirgendwo eine konstante Währung zu erkennen — bestehen viele Fragwürdigkeiten. Fragwürdigkeiten, die meist dadurch entstehen, weil eine Lebensform, ein Kunststil, schal geworden ist, als „konventionell“ und unmodern bezeichnet wird. Es ist nun aber nicht damit getan, die Wesensform einer vergangenen Epoche stillschweigend abzulegen, wie man etwa einen unmodernen oder abgenutzten Anzug ausrangiert, sondern man muß sich doch wohl damit auseinandersetzen, warum eine in ihrer Zeit bewährte Form nun nicht mehr gilt. Hier tauchen dann oft die kühnsten Argumente auf, die allerdings nur sehr wenig geeignet sind, aus dem Herkömmlichen das Kommende zu formen. Das Zwischenstadium breitet sich aus! Da es aber in der Natur des Menschen liegt, zu „ergründen“, so versucht er, die Unsicherheit und Hilflosigkeit, in die ihn dieses Zwischenstadium zieht, mit Gesprächen und Diskussionen zu bewältigen. Das Theater aber war und ist Spiegel der Zeit, und die erwähnten „Theatergespräche“ könnten nur einen wirklichen Sinn haben, wenn über das Theater eine Zeit geformt werden könnte Diese Möglichkeit ist aber mehr als fragwürdig und erscheint jedem, der die komödiantische Welt des Theaters kennt, absurd. Darum sollte man sich seitens des Theaters nicht soviel in die Zeit hineindiskutieren, denn man wird dann immer in einen echolosen Raum hineinrufen, sondern das, was die Zeit aufgibt, spielen Dann wird das Echo nicht ausbleiben. Macht man sich aber Sorgen seitens des Theaters darüber, was die Zeit zu spielen aufgibt, dann vertraue man nur getrost den Autoren, denn die sind immer da. Vielleicht bringt eine Zeit nicht viele oder wenig bedeutende Dramatiker, aber die d a sind, sind immer unmittelbar in ihre Zeit verwoben und sprechen das aus, was die Zeit meint und aufgibt

Fragt man nun nach der Regel, w i e man spielen soll, so gibt es darauf nur eine Antwort, die seit jeh d i e Antwort ist, wenn man auf das Wie in der Kunst zu sprechen kommt: Ueber allen Stilfragen steht die Forderung nach der Wahrhaftigkeit. Es ging am Theater der vergangenen Epochen nicht um die Frage, ob Pathos oder nicht, sondern höchstens um echtes oder falsches Pathos. Die Entscheidung, die fällig ist, wird sein: Erfüllt das Theater noch seinen kulturell-bildenden Auftrag, ist es in diesem Sinne noch die „moralische Anstalt“ oder hat es nur noch unterhaltenden Wert? Entscheidend in dieser Frage wird die Stellungnahme des Publikums sein.

Wie der Krise zu steuern ist, hat mancher Theaterdirektor gerade in den letzten Jahren gezeigt, indem er von einem planlosen Umhertasten mit mittelmäßiger, wirksam aufgemachter Konfektionsware zu einem konstanten, der Niveaumöglichkeit seines Publikums entsprechenden Spielstil überging Unkontrolliertes Komödiantentum ist noch heute oft der Grund, weshalb an mancher Bühne Lein einheitlicher Spielstil entstehen kann. Die Homogenität ist aber die erste Voraussetzung für die Bildung eines Ensembles. Die Basis, auf der dies erreicht werden kann, ist: eine gesunde Ethik den Schimären entgegenzustellen. Mit dieser Einstellung der Komödianten zu ihrer Arbeit werden sie ihre Darstellung geistig durchglühen können und damit das Publikum in der Tiefe seines Empfindens treffen, statt nur eine oberflächliche Reaktion bei ihm hervorzurufen, die niemals zu einem wirklichen Kunsterlebnis führen kann. Zu welcher Höhe schauspielerischer Darstellungskunst diese Einstellung führen kann, hat uns in der Vergangenheit Friedrich Kayßler gezeigt und beweist uns heute noch die Kunst Erich Pontos.

Die Mühe, die sich das Theater mit den erwähnten „Theatergesprächen“ macht, wäre nützlicher angewandt, wenn es Aufführungen produzierte, die sachlich von allen Beteiligten durchdacht und verstanden sind. Weiß der Darsteller, was er tut, so wird dieses Wissen seinen Gestalten geistige Transparenz geben, das Publikum kann ihm folgen, und das Theater hat es nicht nötig, sich in theoretischen „Gesprächen'' zu erklären. Es ist nicht wahr, daß es keine Autoren mehr gibt, die die dramaturgischen Gesetze der Bühne beherrschen, wohl aber, daß sie diese Gesetze so anwenden, wie es der Zeitgeist erfordert, was übrigens die Dramatiker in allen Zeiten mehr oder weniger taten. Vielleicht ist es richtig, daß der zeitgenössische Dramatiker kaum noch ein Romantiker ist und in seinem Werk mehr eine geistig-sachliche Auseinandersetzung mit seinem Thema anstrebt. Aber gerade das ist es ja. was unsere Zeit verlangt, die voll ist von Fragen in jenem echolosen Raum, aus dem dem Menschen, außer durch die Gnade des Glaubens, keine Antwort kommt.

Der Dramatiker, der sein Thema dem Zeitgeist entsprechend angeht, und das tut doch wohl das Gros der zeitgenössischen Autoren, wird also all die in der Zeit stehenden Fragen in seinem Werk behandeln. Wählt er dabei die geistige Auseinandersetzung, so sicher deshalb, um seinem Mitmenschen Antworten auf seine Fragen zu suchen. Er erfüllt also gerade in unserer Zeit des Atoms, der Auflösung, der Zerfahrenheit und hektischen Hilflosigkeit die Erwartung, die das Publikum in das Theater setzen darf und muß: Anteilnahme und Einsicht in die drängenden Fragenbezirke der Gegenwart.

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