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Geistiges Leben als Denkmal

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Die geistige Welt, die sich in der Staatlichen Studienbibliothek in Salzburg den Bücherfreunden darbietet, hat im Jahre 1932 eine höchst kostbare Bereicherung erfahren. Anna Bahr-Mildenburg, die große Musiktragödin und einzigartige Gesangspädagogin, war es, auf deren Veranlassung ihr Gemahl Hermann Bahr seine Bibliothek als Geschenk Salzburg gewidmet hat. Am 19. Juli wurde die Bahr-Bibliothek durch den Landeshauptmann Dr. Franz Rehrl zum 70. Geburtstag Hermann Bahrs der Öffentlichkeit feierlich übergeben. Damit hat die Salzburger Studienbibliothek ein ganzes Zeitalter, das vorher nur kümmerlich vertreten gewesen, gewonnen: denn Hermann Bahr war einer der wirksamsten Herolde der damals modernen Dichtung, wie sie im letzten Drittel des neunzehnten Jahrhunderts aufgeblüht ist und die in ihren Gestaltungen vorzugsweise aus dem tatsächlichen Erleben und seinen Konflikten schöpft. Außer der „Moderne“ reichen aber die zwölftausend Bände der Hermann-Bahr-Stiftung zurück bis in die Antike und umfassen fremdsprachliche Literatur, französisch, englisch, italienisch und spanisch. So ist diese Stiftung ein unerschöpfliches geistiges Land. Hermann Bahr hat Kunst und Literatur nie um ihrer selbst willen erfaßt und beurteilt, es war ihm stets darum zu tun, durch sie die Wege zur Wirklichkeit Mensch zu finden und anderen zu zeigen und so ihre helfenden Werte zu deuten und zu erhellen. Zeugen dafür sind insbesondere die in der Bibliothek vorhandenen Bände seiner Tagebücher, wie „Kritik der Gegenwart“, „Der Zauberstab', „Labyrinth der Gegenwart“, „Inventur“, vor allem aber sein „Selbstbildnis“, lauter wichtigste Autobiographien, die zur Weltliteratur gehören, die den Leser fesseln, weil sie aus leidenschaftlicher Verbundenheit mit den geistig-seelischen Bereichen unseres Lebens entstanden sind. Die philosophische und religionsgeschichtliche Abteilung trägt das stärkste persönliche Gepräge des Stifters: die zahlreichen Unterstreichungen und Randbemerkungen sprechen für die intensivste Auseinandersetzung mit den Gedanken der Autoren, sprechen von Zweifeln, von Zustimmung und beglücktem Finden.

Die Hermann-Bahr-Stiftung — die Welt der Kunst ist reich vertreten, aber auch die Soziologie und die Wirtschaftslehren — stellt einen mächtigen geistigen Organismus dar, sie ist das Monument einer reichsten österreichischen Persönlichkeit. Es muß aber gesagt werden, daß sie ihren sicheren Halt und ihre schenkende Fruchtbarkeit der weisen, stillen Mitwirkung seiner Frau verdankt: Anna Mildenburg. Wie sie als Künstlerin groß ward, weil sie als Mensch sich zu gestalten wußte, so war sie auch imstande, dem Leben einer höchst eigenwilligen Persönlichkeit, die schon auf dem Wege war, sich selber zu verlieren, zur sicheren Gestaltung aus den Tiefen des Wesens heraus zu verhelfen. Mit ihrem klaren, nüchtern sachlichen Blick wußte sie ihm Ruhe und Stille in seinem täglichen Leben zu verschaffen. Sie hielt alle Störung fern, bewahrte ihn vor Aufregungen, vor Ablenkungen auf Nebendinge, sie ließ — staunenswerte Beherrschung der künstlerisch drängenden Kräfte in ihr! — als Hausfrau eine musterhafte Behaglichkeit, tadellose Ordnung um ihn entstehen, sie gab seinen Kräften neue Freiheit zum Schaffen. Und ohne daß er es wußte, sammelte und ordnete sie Jahr für Jahr nicht nur, was die jeweilige Gegenwart an Arbeitsergebnissen und an Briefen einbrachte, sondern auch, was längst vor ihrer Ehe — ja, was seit seiner Kindheit über sein Leben irgendwie schriftlich oder gedruckt niedergelegt war. Sein „Selbstbildnis“ wäre nicht zustande gekommen, wenn ihm nicht zur eigenen Überraschung seine Frau einen wohlgeordneten Koffer voll Belegmaterial bereitgelegt hätte als die notwendige Unterlage für die große Arbeit eines geistigen Selbstporträts.

In seiner zweiten Lebensperiode erfuhr jene geniale Lebendigkeit, mit der def Redner und Schriftsteller und der echt österreichische Lustspieldichter Hermann Bahr das Publikum in seinem Bann hielt, durch die Mildenburg neue Erstarkung. Denn da ihm die Geschäftlichkeiten des praktischen Lebens, denen gegenüber er immer wie ein hilfloses Kind gewesen, abgenommen waren, da er nun nicht mehr, wie es in der Natur des „Impressionisten“ Bahr gelegen, all die Dinge, wie sie der Tag heranbrachte, auszugeben brauchte, wuchsen nun erst die geklärten Wesenskräfte in sein Schaffen hinein. Der Hermann Bahr, dessen Forum einst die Welt gewesen, die Welt der großen Städte mit ihren sozialen und literarischen und künstlerischen Problemen, mit ihren aufdringlichen Auseinandersetzungen, dieser Hermann Bahr, der einst neuen Kunstprogrammen und Kunstgrößen ein werbender Verkünder und faszinierender Interpret gewesen, der den heftigen Pulsschlag dieses uferlosen Getriebes brauchte, um schaffen zu können, der schrieb nun In sein Tagebuch über seine Frau: „Ohne sie kann ich mir mein Leben gar nicht mehr vorstellen ... die Stunden mit ihr sind doch die schönsten ...“ — Er beschließt den Tag mit einem Gebet für sie, dankend für all die Mühe und Sorgfalt, mit der sie wieder für ihn gesorgt. Er empfand sein Leben mit ihr als schönstes Fest, und zu ihrem Geburtstag schreibt er im November 1927: „Bleib mir, was du bist: das Wunder meines Lebens.“

Hermann Bahr und Anna Mildenburg: zwei österreichische Menschen, die als solche wesenhafte Künstler waren, zueinander eine geistige Einheit aus reinsten Kräften, und aus dieser edlen Einheit schönste, hohe Werte spendend an die menschliche Gesellschaft in aller Welt. Ihre Stiftung der herrlichen Bibliothek an Salzburg' ist ihr Denkmal, dauernd in geistiger, immerwirkender Lebendigkeit für alle.

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