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Geistliche Chormusik und Webern

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Im Großen Sendesaal von Radio Wien hörte man als Veranstaltung der Wiener Konzerthausgesellschaft Handels Oratorium „Belsazar“, ausgeführt von der Singakademie und dem Orchester der Wiener Symphoniker unter Leitung von Lovro v. Matacic. Das 1745 uraufgeführte, umfangreiche Werk hat, besonders in seinem zweiten Teü, außerordentlich dramatische Stellen von Händel- scher Größe (die Schrift an der Wand, die im Orchester geschilderte Jagd nach den Weisen, schließlich Daniels Deutung der Schrift), während der erste Teil durch lange Re- zitative an Spannung verliert. Eine festere Hand und noch stärkere Straffung hätten diesen Fehler vielleicht überbrückt. Leider wurde diese kraftvolle Führung vermißt, wodurch das Werk in seine Teile zerfiel, die unterschiedlich in ihrer Darstellung waren. Von den Solisten wurden nur Hilde Zadek, Waldemar Kmentt und Otto Wiener ihrer Aufgabe ganz gerecht, während Ingrid Mayr (Daniel) sehr schön sang, aber doch in der Gestaltung versagte, und die beiden Bässe Kolos Supala und Leopold Spitzer ziemlich farblos blieben. Der Chor machte seine

Sache gut, ebenso das Orchester. Aber die versäumten Möglichkeiten rächten sich, und der geschlossene Eindruck blieb aus.

Ebenfalls im Großen Sendesaal ging das Konzert des österreichischen Rundfunks im Zyklus „Geistliche Musik“ vonstatten, ausgeführt von Chor und Orchester des Rundfunks, Radio Wien. Am Beginn stand die Missa „In illo tempore“ von Claudio Monteverdi für sechs Stimmen a cappella (mit Contdnuo), dirigiert von Gottfried Preinfalk. Die Ausführung war präzise und gleichsam von objektiver Distanziertheit, wenn auch die verschlungene Führung der Stimmen nicht immer klar blieb. Dazu hätten wohl Knabenstimmen besser entsprochen. Nach der Pause dirigierte Carl Melles mit sachter Hand „Vier Gradualien für die Adventsonntage“ von Michael Haydn, leider mit Orchesterbegleitung, was für die Adventzeit liturgisch unmöglich ist. Die Stücke sind dennoch kirchliche Gebrauchsmusik, die im Konzertsaal blaß wirkt. Man wurde indes reichlich entschädigt durch die folgende erschütternd schöne Wiedergabe der Messe in G-Dur von Franz Schubert, für Soli, Chor, Streichorchester und Orgel. Auch diese Messe ist kirchliche Gebrauchsmusik, doch sie wurde zum Erlebnis als Jugendwerk eines genialen Komponisten. Trinidad Paniagua sang die Sopransoli mit klarer, schöner Stimme, leider ohne jedes persönliche Engagement, ohne das man Schubert nicht singen kann. Sehr gut Kunikazu Ohashi in den Baßsoli. Und ausgezeichnet der Chor, mit weicher, echt Schubertischer Tongebung, vom Orchester mit Wärme und Schmelz (bei aller Präzision) sekundiert. Es war zweifellos die schönste Wiedergabe dieser Messe, die man bis jetzt hörte.

Im zweiten Konzert des Bruckner- Zyklus im Großen Musikvereinssaal (Singverein, Tonkünstlerorchester) standen die Große Messe f-Moll und das Tedeum auf dem Programm. Dirigent war Wolfgang Trommer. Um zuerst vom Besten zu reden: das „Tedeum“ fand eine glanzvolle Wiedergabe von stärkster Konzentration und hinterließ tiefen Eindruck. Es gelang dem jungen Dirigenten, die große Linie durchzuhalten. Weniger gelang es ihm bei der (architekto-

nisch weit komplizierteren) Messe. Hier gab es sehr unterschiedliche Wirkungen; auch im Orchester, besonders in den Streichern, fehlte Präzision und vor allem der Bruck- nersche Atem. Man hatte das Gefühl von zu wenig Probenarbeit. Die beste Leistung kam vom Chor und von den Solisten (Gerlinde Lorenz, Pari Samar, Hermin Esser und Ernst G. Schramm), von denen zwar der Baß trotz schöner Stimme nicht durchdrang, der Sopran dagegen vorbildlich war.

Drei konzertante Messenaufführungen in einer Woche. Warum nicht! Aber es darf daran erinnert werden, daß auch lebende Komponisten Messen geschrieben haben und noch schreiben, zum Beispiel Anton Heiller, Johann Nepomuk David, Ernst Krenek und andere; Messen, die ebenso für das Publikum geschrieben sind wie die der toten Meister, und die ebenso das Recht hätten, aufgeführt und einer großen Hörerschaft bekannt zu werden.

Franz Krieg

Nachdem das amerikanische Lasalle-Quartett an seinem ersten Abend Werke von Haydn, Beethoven (Große Fuge op. 133) und Schubert gespielt hatte, war sein zweiter Abend im Mozartsaal ausschließlich Anton von Webern gewidmet. Auf dem Programm standen: ein Streichquartettsatz opus posth. von 1905, das Streichtrio op. 20 von 1927, Sechs Bagatellen op. 9 von 1913, das Streichquartett op. 28 (1938) und Fünf Stücke für Streichquartett op. 5 (1909). Da man also eine Übersicht geben wollte, hätte man noch einen Schritt in der Didaktik weitergehen und die Stücke in chronologischer Reihenfolge spielen sollen (statt in der oben angeführten). Trotzdem war, was wir längst wußten, deutlich zu erkennen, daß der Weg, den Webern im Laufe von 33 Jahren zurückgelegt hat, relativ kurz war und als „eingleisig“ bezeichnet werden muß. Er führte konsequent zu immer stärkerer Komprimierung, was sich äußerlich in einer stetigen Verkürzung seiner Kompositionen ausdrückt: von dem noch in der Lehre Schönbergs geschriebenen Streichquartett-Satz, der wie ein zaghaft-verfeinerter „Tristan“ klingt, einen eigentümlichen weltschmerzlichen Lyrismus ausstrahlt und immerhin fast zehn Minuten dauert, bis zu dem Völlig durchkonstruierten Streichquartett mit der dreiteiligen Reihe, dessen drei Sätze insgesamt sieben Minuten dauern. Die größten Schwierigkeiten beim Hören bereitet aber immer noch das Trio von 1927. Von ihm gilt, was Tucholsky einmal über den „Ulysses“ von James Joyce gesagt hat: „Liebigs Fleischextraktwürfel. Ungenießbar. Aber wie viele werden ihr Süppchen daraus kochen!“ Überhaupt ist an Weberns Werken merkwürdig, daß wir sie (eigentlich sollte der Rezensent in der Einzahl und nur pro se sprechen) heute kaum leichter auffassen als vor 20 oder 30 Jahren. Vielleicht tun sich da Nichtmusiker, wie der Beifall bewies, leichter. Jedenfalls haben diese Konzentrate, Miniaturen, Psychogramme oder wie immer man sie nennen mag, einen hohen exemplarischen, ja musikhistorischen Wert. Das Lasalle-Quartett spielte sie mit bewunderungswürdiger Sicherheit und Transparenz, mit konzentriertem, blitzschnell wechselndem Ausdruck und einem schlanken und kühlen Ton, der jedoch niemals trocken wirkte. Helmut A. Fiechtner

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