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Ein reicher Pakistani in New York und die sozialen Gegensätze in Pakistan. "Nachtschmetterlinge": Ein nachhaltiger Roman.

Wer hat sie, wer hat sie nicht? Was ist, wenn die Nachbarn sie haben, wann können wir mit ihr rechnen? Wenn wir sie haben, dann sind wir stolz, dann freuen wir uns alle und feiern auf den Straßen. Die Rede ist nicht von einem begehrten Konsumartikel, die Rede ist von der Atombombe, und die so denken, sind die Pakistani in Mohsin Hamids Roman "Nachtschmetterlinge". Nicht, dass die Bombe das Leben der einfachen Leute bestimmen würde, doch ein heimlicher Fluchtpunkt ist sie, diese Bombe, die für Selbstbewusstsein steht und für die Nation, die Reichen wie die Armen, fast so viel wert ist wie es der Weltmeistertitel im Fußball für die Franzosen war.

Während Bush und seine Militärs darüber nachdenken, ob Saddam nun über die Atombombe verfügt und wieviel Biowaffen er hat, bekommt dieser Aspekt im Roman Hamids, der in Lahore aufgewachsen ist, nach Amerika zog und in New York und London lebt, eine aktuelle, bedrohliche Bedeutung. Wie es dem Autor gelingt, dieses Denkmuster beiläufig in Nebensätzen und andeutungsweise in seinem Roman zu platzieren, das ist eine Stärke dieser Geschichte. Dass es ihm überdies gelingt, die gesellschaftliche Situation in Pakistan Ende der neunziger Jahre und die Kluft zwischen der reichen Oberschicht, deren Kinder in New York und London studieren, und den "Daheimgebliebenen" zu vermessen und dies auch noch in stimmungsvollen Bildern umzusetzen, lässt den Roman zu einem eigenartigen Fremdenführer werden für ein Land, das bei uns meist nur als Konfliktpartner Indiens, als Zufluchtsort von Terroristen oder als das Land, das die Bombe nun auch hat, geschildert wird.

Die Hauptfigur ist ein "Daheimgebliebener", der Autor freilich nicht. Er arbeitet bei McKinsey in New York als Unternehmensberater, geht auch nach dem Erfolg seines viel beachteten Debütromans weiter seinem Beruf nach und sieht die Literatur als Korrektiv an. Ein "Daheimgebliebener" ist die Hauptfigur, der 28-jährige Daru, ein Bankbeamter, der seinen Job nur der Korruption und den guten Beziehungen des Militärfreundes seines verstorbenen Vaters verdankt. Daru ist nicht begütert, doch zuhause hat er einen Diener namens Manucci, den er so herrisch behandelt, wie man sich die schlimmsten Kolonialherren vorstellt. Darus snobistisches Versagen reflektiert letztlich auch den Verlust einer gesellschaftlichen Moral. "Die Menschen glauben nicht mehr an Konsequenzen", meint eine Hauptfigur des Buchs.

Erst als die Bombe gezündet wird, sind alle Gegensätze verschwunden, dann reicht Daru dem Diener sogar die Hand: "Wir haben die Bombe gezündet. Ich habe das Gefühl, dass mich etwas aufrichtet, eine seltsame Erregung, eine Art Stolz, der mir im wahrsten Sinne des Wortes das Rückgrat stärkt. Manucci sieht mit schmutzigem schweißüberströmten Gesicht zu mir hoch und grinst. Wir schütteln uns die Hand wie zwei alte Kameraden, Spätheimkehrer, und ich möchte eben etwas sagen, eine selbstzufriedene kleine Rede vom Stapel lassen, als ein Geräusch mich jäh aus meinem Taumel reißt."

Daru verliert seinen Job. Drogen, die als Aufputschmittel zum guten Ton gehören, bestimmen zusehends sein Leben. Zu seinem Freund Ozzi, der über eine schöne Frau, Geld, ein tolles Auto, gute Beziehungen und jede Menge Einladungen zu tollen Parties verfügt, kann er nur aufblicken. Dass er sich in Mumtaz, die Frau seines Freundes, verliebt und sie seine Berührungen erwidert, eröffnet ein weiteres Feld. Wie Motten umkreisen beide das Licht des Ehebruchs. Nicht nur Daru beginnt ein Doppelleben, sondern auch Mumtaz pflegt eines, als Journalistin, die unter einem Pseudonym die Gegensätze der pakistanischen Gesellschaft anprangert. Daru lebt zwischen Tag und Nacht, als Drogenhändler, als Kleinkrimineller, der mit dem Besitzer einer Rikscha-Werkstatt Überfälle auf Boutiquen plant: "Günstige Lage, leicht zugänglich, selten mehr als nur ein Wachmann, solvente, risikoscheue Kundschaft, geringe Ladengröße, mithin hervorragende Bedingungen für eine Geiselnahme, wenig Konkurrenz. Und, quasi als kleine Dreingabe, Symbolik: Boutiquen sind so etwas wie der wunde Punkt der oberen Zehntausend, der Gipfel der Heuchelei in einem Land mit Mehlknappheit. Sie sind mit einem Wort perfekt."

Pakistans Gesellschaft ist in Auflösung begriffen. Die Armut verschiebt die Grenzen dessen, was erlaubt scheint und gerechtfertigt werden kann. Religiöser Fanatismus und nationalistische Hysterie drohen das Land endgültig zu zerreißen. Untergangsstimmung in Lahore, das im Regen versinkt, in der Sonne verbrennt, dazwischen der Gestank. Von diesem Gesicht Lahores sind jedoch nicht alle, die dort leben, betroffen: "Sehen Sie, der Elite ist es gelungen, sich den Lebensstandard eines Landes wie sagen wir Schweden anzueignen, ohne die staubigen Weiten des Subkontinents verlassen zu müssen. Diese oberen Zehntausend sind ein bunt gemischter Haufen - Punjabis und Pathanen, Sindhis und Belutschen, Schmuggler, Mullahs, Soldaten, Industrielle -, geeint allein durch den Umstand, dass sie sich in einer künstlich gekühlten Welt aufhalten." Die Klimaanlage als Ausdruck der Gegensätze.

Der einzige Schwachpunkt des Romans ist seine Struktur. Das Problem liegt nicht darin, dass Hamid anstatt eine Geschichte zu erzählen vielmehr die agierenden Personen zu Wort kommen lässt, sondern in der mangelnden Konsequenz bei der Durchführung dieses Vorhabens. Die Einschübe zum Beispiel über den Wirtschaftsprofessor Superb, bei dem Daru studiert hat, und die Durchbrechung der Chronologie wirken gekünstelt. Der Bezug, gleich am Beginn, zwischen den Mogul, der das Taj Mahal bauen ließ und dessen Söhne Aurangzeb und Dara sich blutig bekriegten, und dem Bruderhass zwischen Indien und Pakistan, mag zwar gut gemeint sein, wirkt aber aufgesetzt.

Der überraschende, illusionslose Schluss des Buches macht aber vieles wett. Daru wird der Prozess gemacht, doch nicht wegen seiner begangenen Taten, sondern wegen einer Tat, die sein Freund begangen hat, der einen toten Jungen über den Haufen fuhr. Ozzi rächt sich damit für den Ehebruch, die Ungerechtigkeit regiert die Zukunft. Etwas ist dem Leser gewiss: Die Stimmung, die Hitze und Aussichtslosigkeit der Situation, gesellschaftlich wie auch persönlich, halten vor, sind auch lang nach der Lektüre noch präsent. Nicht Menschen, sondern Liebe, Armut, Drogen und Ungerechtigkeit sind die Drahtzieher in Mohsin Hamids Roman.

Nachtschmetterlinge

Roman von Mohsin Hamids

dtv, München 2002

279 Seiten, brosch., e 15,-

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