6715837-1964_42_05.jpg
Digital In Arbeit

Geld verdirbt die Landschaft

Werbung
Werbung
Werbung

Wer immer Geld hat — es muß allerdings sehr viel Geld sein —, kann heute in nahezu allen österreichischen Bundesländern nahezu alle Arten von Bauten aufführen, mögen sie in die Landschaft passen oder nicht, mögen sie volkswirtschaftlich von Nutzen sein oder nicht.

Gewiß, es gibt Ausnahmen: Am westlichen Ufer des Irrsees (auch Zeller See genannt) in Oberösterreich dürfen keine Bauten errichtet werden (der Dichter Adelbert Muhr war der letzte, der noch eine solche Erlaubnis bekam und ein übrigens höchst stilvolles Häuschen mit eigener Hand dort errichtete). Die Uferbesitzer, die mit ihren Grundverkäufen zurückhaltend waren, in der Hoffnung, die Preise würden ins Astronomische steigen, wurden erfreulicherweise damit arg enttäuscht. Am Bodensee ist im Bereich von Rohrspitz und Rheinspitz jede Uferverbauung verboten, unld in 500 Meter Tiefe darf auch der freie Zugang zum Ufer nicht versagt werden.

Handgreifliche Beispiele

Leider sind das Ausnahmen. Mit viel Geld ist in Österreich praktisch alles an Landschaftszerstörung, aber auch an Besitzverfremdung möglich, was normalerweise nicht zulässig zu sein scheint. Beispiele? Vor schon etwas längerer Zeit befand sich ein Warenhauskönig aus Rheinland- Westfalen unterwegs am Südufer des Wörther Sees (ausnahmsweise nicht im Privatflugzeug, mit dem er in Pörtschach um dieselbe Zeit von sich reden machte). Am Ufer fiel ihm in der Nähe von Maiernigg ein schloßartiges Haus direkt am See auf. Er wollte es haben. Am nächsten Tag erschien bereits sein Vertreter bei dem Villenbesitzer, um das Haus zu kaufen, das keineswegs feil war. Bald aber war es feil, denn die Millionen spielten keine Rolle. Der Kauf kam zustande. Der Warenhauskönig hat anerkanntermaßen auch viel Geld für humanitäre Stiftungen zur Verfügung gestellt. Dennoch: Wie ist es möglich, daß ein solcher Ausverkauf Österreichs toleriert wird?

Oder: In St. Michael im Lungau, eine der wenigen noch naturbelassenen Gegenden in den österreichischen Alpen, fand ein amerikanischer Millionär die „ideale“ klimatische Gegend für ein Asyl für amerikanische Millionäre. 40 Millionen Schilling wurden (1t. „Salzburger Nachrichten“ vom 25. August 1964) für den Bau dieses Asyls, das sich natürlich Sanatorium nennt, flüssiggemacht, und alles war begeistert. Kein Österreicher wird dort Heilung oder Altersfürsorge genießen, und die Tiroler Gesellschaft „Pro Senec- tute“ wird ihre alten Leute weiter hin nirgendwo halbwegs ordentlich unterbringen können, weil dafür das Geld fehlt.

Oder: Der Klopeiner See, als wärmster Badesee Österreichs bekannt (bis zu 28 Grad Celsius), ist heute rundum verbaut, so daß man zwischen den Ufenhotels kaum noch das Wasser durchschimmern sieht. Dieser idyllische Badesee ist etwas vom Abschreckendsten geworden, das es in Österreich gibt, und kein vernünftiger Mensch geht mehr dorthin. In- und ausländische Geldbesitzer haben sich den See, wie man in Westdeutschland sagen würde, „unter den Nagel gerissen“. Auch der nahe Thumer See, noch vor rund zehn Jahren völlig unberührt und ein Eldorado echter Naturfreunde, ist durch Geld, diesmal durch slowenisches Geld (angeblich aus Laibach), „erschlossen“ worden.

Flucht in die Anlage

Nicht nur die österreichischen Seen werden auf diese Weise höchst unvernünftig erschlossen. Wenn genug Geld da ist, läßt man Appartementhäuser erstehen, nur damit einige wenige noch mehr Geld verdienen können. In Lech, das heute so etwas wie ein zweites St. Moritz (aber nicht in gutem Sinne) wird, jenem Arlbergdorf, wo einst ein Pfarrer Jehly, eine der ehrwürdigsten Priestergestalten Österreichs, wirkte und nach ganz Österreich ausstrahlte (seine Freundschaft mit dem jüngst verstorbenen Dr. Rudolf in Wien war bekannt), baut man mit viel Geld ein Appartementhaus ums andere einschließlich eines Eigentumsparkhauses.

Geld auf der Straße?

Aber auch die Industrie hat Österreich als Kapitalanlage entdeckt. Für das Burgenland sind derzeit zwölf Projekte von Fabriksbauten ausländischer Industrieller angemeldet, die dort die letzten Arbeitskräfte „ausschöpfen“ wollen und dabei weitgehende Begünstigungen steuerlicher Art und auf dem Ge biet der Energieversorgung angeboten bekommen. Büstenhalterfabriken haben sich im Raum Wiener Neustadt diesseits und jenseits der burgenländischen Grenze angesiedelt und produzieren „auf Teufel komm raus“, obwohl es in großer Zahl österreichische Erzeugerflrmen auf diesem Sektor gibt.

Eine amerikanische Betriebsberatungsfirma aus San Franzisko biedert sich, von Mailand aus, österreichischen Unternehmungen für betriebliche Reorganisation an, verlangt phantastische Honorierung und verkauft Erkenntnisse, die jeder Welthandelshochschüler schon im dritten Semester längst von österreichischen Hochschullehrern vermittelt bekommen hat. Holländische Spaltgasunternehmer haben in Österreich nun schon etliche Gaswerke entkommunalisiert und in Betrieb genommen. Während der österreichische Kommunalbetrieb passiv war, geht der holländische Privatbetrieb im selben Gaswerk ausgezeichnet.

Auch die Ostblockindustrie ist auf das gefundene Geld aufmerksam geworden, das man in Österreich nur aufzuheben braucht. Assemblingbetriebe verschiedener Maschinen- und Fahrzeugbranchen, mit Blickrichtung auf Reexport und Embargoüberwindung nach Weststaaten, haben sich teils bereits hier niedergelassen, teils sind sie im Begriffe, dies zu tun.

Wo alles liebt

Da auch in Österreich selbst viel Geld verdient wird, die verstaatlichte Industrie natürlich ausgenommen, die ihre Proporzschäfchen mästen und in Wolle bringen und jeden Direktorposten doppelt besetzen muß, beteiligt sich allerdings auch die österreichische Industrie an dieser Neu- und Ausbautätigkeit, wobei uralte bäuerliche Siedlungsgebiete dem historischen Landschaftsbild entfremdet und schlechthin verschandelt werden.

Da in all diesen Fällen nur das Geld eine Rolle spielt und leider auch die Gemeinden nichts anderes sehen als die Gewerbesteuererträge, allenfalls die Lahnsummensteuer und die Getränkesteuer, erfolgt eine unwiederbringliche systematische Verformung der dem ganzen Volk gehörigen Landschaft zugunsten der Gewinne einiger weniger, die zu dieser Landschaft nicht die geringste innere Bindung haben.

Gewiß, der Kapitalzufluß ist wichtig, Kultur ohne florierende Wirtschaft kaum möglich. Aber einfach jeden, der Geld hat, wild in die österreichische Landschaft bauen lassen, die auch unseren Kindeskindern noch eine Kraftquelle sein soll, das sollte doch überlegt werden.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung