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Gemischter Salat im Kopf

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„Gespaltene Personen" existieren nur in der Phantasie. Schizophrenie ist eine Krankheit, die das Denken durcheinanderwürfelt - das ist schlimm genug.

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„Gespaltene Personen" existieren nur in der Phantasie. Schizophrenie ist eine Krankheit, die das Denken durcheinanderwürfelt - das ist schlimm genug.

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Jeder Hundertste Mensch erkrankt an Schizophrenie; allein in Österreich sind das 70.000 bis 80.000 Menschen, die an jener psychischen Erkrankung leiden, gelitten haben oder leiden werden. „Sie gehören wahrscheinlich zu den Ärmsten unter den psychisch Kranken", erklärt Heinz Katschnig, Vorstand der Universitätsklinik für Psychiatrie in Wien. Der Grund ist jedoch nicht nur die Erkrankung selbst: Vielmehr leiden die Patienten unter dem Vorurteil, bei Schizophrenie handle es sich um eine „Persönlichkeitsspaltung" nach dem Muster von Dr. Jekyll und Mr. Hyde. Schizophrene werden gefürchtet als Menschen, die sich plötzlich in gefährliche Verrückte verwandeln, so wie der angesehene Arzt Dr. Jekyll in den gewalttätigen Mr. Hyde, der schließlich (in der Erzählung von Robert Louis Stevenson) ein armes Londoner Mädchen ermordet.

„Schizophrene haben keine gespaltene Persönlichkeit", bekräftigt Katschnig. Schizophrenie habe nichts mit der multiplen Persönlichkeitsstörung zu tun, einer Erkrankung, bei der viele Personen in einem Körper zu hausen scheinen - Personen verschiedensten Alters, Geschlechts, ja sogar mit verschiedenen Handschriften. (Die Existenz dieser Störung wurde in letzter Zeit jedoch prinzipiell angezweifelt; einiges deutet daraufhin, daß sie lediglich von findigen US-Psychologen für die Verteidigung von Straftätern konstruiert wurde.)

Der Begriff der Schizophrenie, 1911 vom Schweizer Psychiater Eugen Bleuler definiert, ist aus dem Griechischen abgeleitet und heißt so viel wie „gespaltener Geist", aber auch „aufgelockerter Geist". „Bleuler meinte ,aufgelockert"', klagt Katschnig, doch in der Öffentlichkeit habe sich die metaphorische Bedeutung durchgesetzt. „Schizophren" wird im Sinne von „widersprüchlich" und „inkonsistent" verwendet, häufig, um andere zu diskreditieren. Insbesondere bei Politikern ist Katschnig diese Lesart aufgefallen. „Sogar Ärzte, die es im Laufe ihres Studiums richtig gelernt haben, verwenden den Begriff falsch", klagt der Psychiater.

Bei Schizophrenie handelt es sich um eine Störung der Informationsüberträgerstoffe im Gehirn (Neurotransmitter). Laut Katschnig tritt Schizophrenie bei Heranwachsenden oder jungen Erwachsenen auf - in jener schwierigen Übergangsphase, wo sich der junge Mensch vom Elternhaus löst und die ersten Schritte in ein eigenes Leben tut. „Nach 35 erkrankt niemand mehr an Schizophrenie", behauptet Katschnig. Auch bei gleicher Symptomatik handle es sich dann um eine andere Krankheit, etwa um eine Paranoia oder eine Psychose.

„Bei Schizophrenie werden die Gedanken wie ein Salat zerschnitten und durcheinandergewürfelt", vergleicht Katschnig. Schizophrene Psychosen können praktisch alle Funktionen des Gehirns beeinträchtigen. Die Patienten können ihre Gedanken nicht mehr lenken; wie in jener Phase kurz vor dem Einschlafen fließen Assoziationen in das Denken ein. Worte erhalten neue, unbekannte Bedeutungen. Viele Kranke haben das Gefühl, fremde Gedanken würden ihnen eingegeben, und die eigenen entzogen. Daraus entwickelt sich oft ein Wahn: Die Kranken wähnen sich als Opfer einer Verschwörung; von finsteren Mächten gelenkt, beobachtet oder gar vergiftet. Auch Halluzinationen können hinzukommen: Die Kranken sehen nicht existierende Dinge oder hören kommentierende oder befehlende Stimmen. Gewalttätig werden Schizophrene nach Expertenmeinung nicht häufiger als Gesunde.

Die Entstehung der Schizophrenie liegt noch weitgehend im dunkeln. Daß die Krankheit in manchen Familien vermehrt auftritt, deutet auf erbliche Ursachen hin. Auch Schädigungen des Gehirns bei der Geburt können für Schizophrenie verantwortlich gemacht werden. Ebenso können negative Kindheitserlebnisse und problematische familiäre Verhältnisse schizophrene Psychosen auslösen: Viele Patienten „hören" die Stimme eines Elternteils, der sie beschimpft oder ihnen Befehle erteilt. Auch sozialer Streß kann die Ursache sein: Nicht wenige junge Männer packt die Krankheit während des Militärdienstes.

Die Behandlung von Schizophrenen bewegt sich auf drei Schienen:

■ Streßbewältigungstechniken: Schizophrene sind verletzlicher als geistig Gesunde. Aber sie können Techniken erlernen, um jene Situationen zu bewältigen, auf die sie zuvor noch psychotisch reagierten.

■ Psychologische Arbeit mit der Familie. Bestimmte Umgangsformen innerhalb der Familie lösen Bückfälle aus.Vor allem der Ausdruck von Gefühlen - jener des Kranken ebenso wie jener der Familie - wirkt sich positiv auf den Krankheitsverlauf aus.

■ Medikamente (Neuroleptika). Seit kurzem gibt es medikamentöse Therapien ohne nennenswerte Nebenwirkungen. Bei 70 bis 80 Prozent der Erkrankten kann dadurch die akute Krankheitsperiode abgekürzt und ein Bückfall verhindert werden. Allerdings müssen die Medikamente über Jahre hinweg regelmäßig eingenommen werden, um Bückfälle zu vermeiden.

Ein Drittel aller Schizophreniepatienten wird (auch ohne Behandlung, dann allerdings dauert es länger) wieder völlig gesund. Ein Fünftel der Erkrankungen nehmen laut Katschnig einen „schwer beeinflußbaren Verlauf". Der Best kann geheilt werden.

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