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GENOVEVA

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1. Fortsetzung

Das war ein bitteres, wehes “Wort, aber unabänderlich. Kein Bruder werkte auf diesem Hofe, Fremde waren es, die die vertrauten und liebgewordenen Äcker und Leiten bebauten, Fremde in den Stuben ihrer Kindheit, am Herd ihrer Mutter. Es tat immer weh, daran denken zu müssen, und sie ging .nie gerne diesen Weg, es geschah nur dem alten Vater zuliebe. Schweigend kamen sie langsam höher. Simonlehner blieb ab und zu einige Schritte zurück und langte nach der Flasche. Er schämte sich ein wenig vor Genoveva. Genoveva wußte, warum der Vater öfter zurückblieb; auch ihr war es recht, mit ihren Gedanken so ganz allein zu sein. Galten sie doch alle nur dem einen, dem ihr Herz entgegenschlug:- Veit. Vieles wollte sie mit ihm besprechen, nicht fragen, nicht drängen, nein, nur so über alles reden wollte sie, und ihm sagen, wie sehr sie ihm vertraue.

„Schön bist heut wieder“, hatte er ihr gesagt, und sie hätte ihm so gerne geantwortet: „Für dich, Veit, nur für dich.“

-Als sie aus dem Graben, dessen Wasser-lauf von den Almböden bis ins Tal alle zum Hofe Simonlehner gehörigen Felder, Wälder und Weidegerechtsame begrenzte, kamen, und vor sich den Hof auf dem Riegel liegen sahen, da blieb der Vater stehen, stützte sich auf seinen Stock, und sah zu Vevi. Sein Mund war schmarund hart, sein weißes Haar vom Bergwind bewegt. Die sonst so hellenj ein wenig Trauer und ein wenig Sorglosigkeit spiegelnden Augen irrten von Vevi drohend zu den Wäldern, über die Leiten zum Hof, vom Hof ins Tal und vom Tal zum Hof. Hart griff er nach ihrem Arm: „Vevi, der Hof muß zurück! Der Hof ghört uns. Hörst Vevi, das ist unser HofJ Abgegaunert hat er ihn mir, der Schleicher, der Teufel...“ „Aber Vater! Versündigt euch nidn, ihr habt ihm doch, selbst. alles verschrieben.“ Der alte Simonlehner stieß mit der Stockspitze auf einen Stein. „Das ist mein Grund, verschrieben oder nicht, das ist' unser Hof, ja, verstehst denn das nicht, Vevi, oder meinst wohl gar, ein anderer hätt ein Anrecht drauf? Da schau, wo er den Hafer hinbaut und den Roggen, da„ schau, das Futter längst verblüht und holzig und noch steht es. Das muß anders werden, Vevi, der Hof muß zurück. Und wenn der Hof nidn zurückkommt, dann gehe ich mit meinen sechzig Jahren zurück, und fang noch einmal an, und jag sie alle vom Hof, die da nichts zu sudien haben.“ Drohend- schwang er seinen Stock. „Es ist de“)*5 EftfW';, seufzte Vevi, „von“ “Zeit zu Zeit überkommts ihn halt“, und sie hatte Mitleid mit dem Vater. Sie redete ihm gut zu, daß er doch selber habe wählen können, als die Schuldenlast ihn nicht mehr aufkommen ließ.

Er habe doch seinen Auszug, was wolle er für seine alten Tage noch mehr. „Ich will keinen Auszug, kein Gnadenbrot von fremden Leuten. Ich will den Hof zurück, der Hof ist unser! Verstehst denn das nicht, Vevil?“ „Schon Vater, ich begreif es wohl, daß ihr euch erzürnt, aber es ist nichts mehr zu ändern.“ Plötzlich wurde er wieder ruhig, in seine Augen kehrte die stille Traurigkeit. „Nichts mehr zu ändern, sagvst, wird wohl so sein, Vevi, nichts mehr zu ändern.“ Sie gingen weiter. Der Wind kühlte die in der Mittagsonne welkenden Eschenblätter, er wiegte über die ungemähten Wiesen zu Tale. Beschämt und unfroh betrat Genoveva neben ihrem Vater den Hof. Erst als sie ihren Fuß auf die vom Tritt ihrer Ahnen gewölbte und in seltsamen, kaum noch erkennbaren Ziffern die Jahreszahl 1701 tragende Steinplatte vor der Türe des alten Hauses setzte, fühlte sie wieder die alte Heimat um sie her.

Dieses niedere Haus mit den verdorrten und bemoosten Schindeln, den kleinen, winzigen Fensterchen, ym die sich' der Hol-lunder zweigte, schwarz von außen und verrußt von innen, mit den ärmlichen Stuben und der offenen Feuerstelle, das dem ersten Simonlehner auf diesem Hang als Wohnstätte diente, war auch dem letzten als Auszug zugestanden worden. Drüben aber stand, untermauert und zwei Stock hoch der später erbaute, verlorene Hof. Als Kind schon liebte Genoveva diese alte Stätte voll der Geheimnisse und Wunder. Was gab es da für uralte, schön geschnitzte und buntbemalte Truhen, Spinnräder, über die nun : die Spinnen ihre Netze spannten, Geräte, die in ihrer Schlichtheit und Zweckmäßige i keit erkennen Heßen, wie auch der einfache' Mensch ohne Technik und Maschine sich zu helfen wußte. Und alles war wieder da, als sie in des Vaters Stube trat, die alte Uhr mit den schweren Eisengewiditen, Muttcrs■ Hausrat und wie eh und jeh der Blick ins tiefe Tal.

Am Anfang des Weges, der durdt ein enges“ Hochtal mit dürftigen Schafweiden zum Bergsee inmitten der Unholden führte, stand das Marterl. Immer, solange die Bergwiesen blühten, waren frische Blumen am Marienbilde. Ein jeder, der vorbeikam, verweilte gerne hier, ob er nun betete, oder auf der rohen Holzbank rastete und zurückschaute in das weit unten liegende TäL Es ,w#r um diese Stätte ein Friede ganz anderer Art als unten. Ein Friede, der aus dem Rauschen der Wälder und Wasser, aus den nahen, schroffen, schnee- und eisglänzenden Kämmern der Unholden und aus der Geborgenheit des längst verblaßten Marienbildes aufstieg, und die Seele aus den Nichtigkeiten der Zeit emporhob zum Ewigen und Göttlichen. Genoveva kniete, so wie sie es als Kind getan, nieder und legte ihre vom Wege aus gepflückten Blumen durch das verrostete Gitter. Da kam auch sdion Veit mit der Büchse auf der Schulter, groß, stattlich, und noch ehe sie ihn so recht betrachten konnte, hatte er sie an sich gerissen, es verging eine Weile, ehe sie wieder zu sich selber kam, denn nimmer kann die Liebe eingeordnet werden in den bewußten Ablauf dieses Erdendaseins. Sie kommt von weit her, aus anderen Bereichen und bringt die Seligkeit und Schönheit dieser fernen Welt mit sich. Sie ist überirdisch in ihren tiefsten und erhabensten Regungen, irdisch nur als Werkzeug der Natur. Dodi solange sie nicht Werkzeug ist, ist sie das Schönste, das je der Mensch geschautj und ersehnt. Niemals aber kann sie jene von den Menschen erträumte Erfüllung bringen, denn sie ist ein Bereich des Herzens, das irdische Dasein aber ein Bereich naturgewollter Handlungen. Und wie sich das Dunkle und das Helle in der Dämmerung scheiden, so steht auch die Liebe nur als verdämmernder Abglanz im Leben der Menschen.

Daran dachten und davon wußten Veit und Genoveva noch nichts. Für sie stieg ja erst die zarte Morgenröte in den jungen Tag, für sie wurde es erst hell und der Stern ihrer Liebe ^stand am noch blauen Himmel über den Bergen. „Warst wieder beim Vater, Vevi, weilst so spät kommst?“ „Freilich, er hat mich mitgenommen und ich hab ihm allerhand nähen und richten müssen. Du weißt ja, es kümmert sich niemand um ihn, - er ist wunderlich geworden und erbarmt mir. Weißt, Veit, eigentlich war es nidit recht von deinem Vater, ihn so abzuhausen und den Lenz auf den Hof zu setzen. Schau, wie jetzt alles verwahrlost ist.“ Ja, auch davon wollte Vevi reden. Aber die Liebe, was kümmert sie sich um die Sorgen der Menschen. Sie ist eine Flamme, in der alles scheinbar Nichtige erstirbt. Was war der ■Hof, der Vater, gegen eine Umarmung Veits, gegen einen Blick aus seinen Augen. Würde nidit Veit, wenn er einmal selber Herr war, alles friedlich zum besten ordnen? Ja, vielleicht selbst mit ihr auf den Hof ziehen und den Päditer Lenz, wie der Vater es wollte, zum Teufel jagen. Wozu heute schon darüber sprechen? War es nicht berauschender für ein armes, in Demut dienendes Herz, um sich her das unvergleichlich liebliche Bild der heimatlichen Landschaft Zu schauen, zu wissen: es ist schön, daß ich lebe. Wie hoben sich die weißen Berge aus den weiten Tälern in den abendlichen Himmel, wie schmiegte sich der Klang der Herdenglocken in die Stille des Abends. „Du,' Vevi, lang wart ich nimmer. Ich red jetzt bald mit dem Vater. Entweder er übergibt oder er gibt mir euren Hof oder ich werd ein Holzknecht und wir ziehn in die Bergkeusche.“ Ja, so .spricht die Jugend, die sich in Hütten ihr Glück bewahren und erhalten will, die der Väter nicht achtet and meint, die Liebe sei alles, alles andere wird schon werden. Gewiß, der Veit meinte es mit seinem Vorsatz, Holzknecht zu werden, ehrlich. Der Vevi wäre es so am liebsten gewesen, er wäre überhaupt nicht des reichen Wirtes Sohn, sondern nur ein Holzknecht. Da wäre alles so einfach gewesen, und als solcher hätte er wohl am besten zur armen Magd gepaßt. Aber noch schöner wäre es, wenn sie ihre verlorene Heimat übernehmen könnten, da würde der Vater wieder was mitzureden haben und wieder froh sein. Am schlimmsten schien es ihr, als Wirtin' in diesen fremden Lebenskreis der Taferner einzudringen, und immer als die arme Magd, die nichts mitbrachte, angesehen zu werden. Doch sei es wie immer, Veit wird schon das Richtige treffen, und wie ers wollte und tat, so wars ihr recht. Während sie darüber sprachen und mit ihren Herzen die sonnigen, freudigen Bilder kommender Zeiten schauten, wuräe'1esNÄbehd. Sie waren weit'weg ¥öfn Marterl, wo ja öfter Leute vorbeigingen, in den Wald gegangen, um auf einer Bergwiese, deren Heu eben eingebracht war, allein zu sein. Da zeichnete die Dämmerung mit sanften Linien den heimatlichen Rahmen zum ewiggleichen Bilde menschlicher Zuneigung, die ja immer wieder von den zarten Regungen ' eines keuschen Herzens der Gesetzmäßigkeit alles Lebenden folgend, ihren Kreis beschließt. Selig und weltentrückt schritten sie talab, bereit, die Zukunft zu bezwingen. Zwei Menschen, die von den Höhen ihrer Heimat und ihres Glücks kamen, entschlossen den gemeinsamen Weg zu erkämpfen.

Der alte Taferner saß allein in seiner Wirtsstube. Die letzten Gäste waren gegangen. Er schenkte sich ein Glas von seinem besten Roten voll und sann. Er hatte wieder gute, gewinnbringende Geschäfte vereinbart, die Sümpfwiesen des Aumüllers erhandelt, eine Waldparzelle und die Hube des Bistumer gekauft. Zwar pfiff er auf diese windschiefe verlotterte Hube, ihm war nur um die Wiesen und um den Wald zu tun. Die Wiesen, die würde er zur benachbarten Simonlehnerhube geben, da konnte er für alles einen guten Pachtzins einnehmen, und der Wald würde ihm das einbringen, was er für den Bistumerhof auslegte. Taferner trank in einem Zuge und fühlte sich als der eigentliche Herr des Dorfes. Es war ihm recht, wenn diese armen Bergler in seinem Krämerladen kauften und in seiner Gaststube tranken und alles schuldig blieben. Je mehr, je lieber. Einmal kam der Tag, da er sagen konnte: „So, jetzt will ich mein Geld!“ Und das war dann meistens soviel, daß es niemand bezahlen konnte. So blieb nichts übrig, als die Hand auf die Höfe, Wälder und Wiesen zu legen, und im Grundbuch den Namen des Eigentümers streichen und den Namen Taferner eintragen zu lassen.

Veit hatte auf die Gelegenheit, mit dem Vater allein zu sein, gewartet. Er sagte kurz und bestimmt, daß er heiraten wolle und wie sein Vater sich dazu stelle. „Zuerst will ich wissen, wen, dann reden wir weiter.“ „Die Vevi.“ „Was für Vevi?“ „Die vom Simonlehner.“ Der Alte nickte, als ob er es so erwartet hätte. Also doch die Dirn vom Simonlehner. Die wollte wohl über den Veit wieder zu ihrem Hof kommen. Schlau, diese Weiber. „Und wennst gheiratet hast, was willst dann machen?“ „Ja, deswegen red ich ja mit Euch, Vater, ihr werds mir wohl was übergeben.“ „Meinst vielleicht das Wirtshaus, die Sag und das alles?“ Veit schwieg. Er kannte seinen Vater. Der Dackel kam unter dem Tisch hervor, gähnte, und stellte sich zwischen beide. Er wollte an diesem wichtigen Gespräch teilhaben. „Oder meinst vielleicht, ich soll dir die Simonlehnerhube geben, damit sie gleich einihciratn, und noch einmal ab-hausen kann?“ Da wurde der Veit zornig. „Die Vevi hat noch nie abgehaust, die ist eine Brave. Was kann sie für ihren Vater dafür?“ Der alte Taferner stand auf und schob den Dackel weg. „Du weißt, der Apfel fallt nicht weit.“ Er sdienkte ein zweites Glas voll. „Da trink, Veit, schlag dir das Mensch aus dem Kopf, ist nichts für dich.“ Er machte eine wegwerfende Gebärde. „Es gibt andere für dich, ganz andere. Solche, die etwas mitbringen, aber nicht so abghauste Schlucker wie die Simonlehner. Sei gscheit, ich war a amal so wie du, aber ich hab mirs beizeiten überlegt. A guts Gschäft, a volle Brieftaschn und a Ansehn, dös ist das Leben, die Liab, Veit, is a Spinnerei, weiter nix, geht vorüber. Wird nie was Gsdieits draus, was davon bleibt san hungrige Kinder. Trink Veit, .laß dir was sagen. Ich tls dein Vater meins dir gwiß nit schlecht. I waß, es ist so a Krankheit über didi kommen, so a Vevifieber. Geht vorüber. Trink!“ Veit aber war noch beim Marterl, noch im Bereidie der Seligkeit, die es zu wahren und zu erhalten galt. Nein Vater, von der, Vevi laß ich nicht, und wenn ich mir mei Sad: selber als Holzknecht schaffen muß. Die Vevi heirat ich, und ich frag dich noch einmal, willst mir wirklich gar nichts geben?“

Da stand der alte Taferner wieder auf, ging zur Sdiank, kehrte aber wieder um und schlug mit der Faust auf den Tisch, daß es im ganzen Hause dröhnte: „Zum Abhausn kriegst nichts, aber damits nicht sagen kannst, dein Vater hat dir nichts gegeben, kannst den verluderten Bistumerhof, von dem ja auch deiner Vevi ihre Mutter abstammt und den ich heut erstanden hab, übernehmen. Alle die bisher oben waren, haben abghaus't, das ist so der rechte Hof für deine Vevi, und“ — ein boshaftes, schadenfrohes Lachen, mit dem er beim Kartenspiel seine letzten Trümpfe auszuspielen pflegte, breitete sich über sein schwammiges Gesicht — „da ist sie in der Nachbarschaft von ihrem Vater, beinahe wieder daheim, und doch nicht daheim, Das wird ihr zeiBkbens-#tit tur*,'*etnwsie jntoer-1 vor Augen hat, wohin das Abhausn führt.“ Er pfiff dem Dackel und ging, denn es war immer so gewesen, daß ihn der Dackel in seine Stube geleitete und dort für das Bewachen seiner Brieftaschen ein warmes Plätzchen erhielt.

Veit war allein. Was sie nur alle gegen die Vevi haben möchten? War sie nicht brav? War eine Magd denn nichts und niemand? Er war weder zornig noch erregt, die Liebe zu Genoveva gab ihm Ruhe und Besonnenheit.

(Fortsetzung folgt)

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