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GENOVEVA

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Veit langte nach dem vollen Glas, doch er trank nicht. Der väterliche Wein war herb und schwer. Er war zufrieden, wenn er den Bistumerhof, die alte Heimat von Genovevas Mutter, übernehmen und heiraten konnte. Später würde sein Vater sicher versöhnlicher und milder denken, wenn er sah, wie sie rechtschaffen lebten, und wie tüchtig die Vevi war. Der eigene Hof und die erworbenen, die blieben ja doch, und wen würde er in alten Tagen lieber um ihn sehen und auf seinem Hofe wissen, als Veit, seinen Sohn. Veit war zufrieden, zu sein wer er war: er selber mit seiner Liebe zur armen Magd Genoveva. Gerne wollte er sich in den Willen seine* Vaters fügen, und durch Arbeit und Verzicht auf manches Gewohnte, Genoveva wieder ein Heimstatt schaffen. Ihm fehlte der Ehrgeiz mehr zu sein als die andern rundum am Berg, der Wunsch nach Reiditum und Besitz verlockte ihn, nicht von Genoveva zu lassen. Es dauerte auch nicht lange, da verkündete der Pfarrer den Veit Taferner und die Genoveva Simonlehner.

Zwischen den glatten Abstürzen der Bretterwand, nur durch einen schütteren Lärchenbestand von ihr getrennt, und den steilen, sich im jäh abfallenden Wald verlierenden Leiten, hing, in die abschüssige Erde hineingebaut, der Bistumerhof. Steinmauern bewahrten die mit jedem Frühling und jedem Gewitter sich lösende Erde vor dem Abschwemmen. Und doch mußten immer wieder in stiller, emsiger Arbeit, Erde und Dünger in Körben auf die kahlgeschwemmten Steinböden getragen werden. Denn nur aus der Demut des Sichfügens in die Allmacht der zerstörenden und schenkenden Natur, aus der Demut der die Schwere dieses Lebens am Berg und die jahreszeitlichen Lasten tragenden, gebeugten Menschen reifte, oft nodi von einem Hagel oder frühen Sdinee vernichtet, das täglich Brot am Berg.

Um dieses tägliche Brot mühte sich am Steilhang mähend der alte Simonlehner, der zwischen den beiden Höfen die Wahl hatte, und nicht mehr recht wußte, wohin er eigentlich gehöre. Wenn ihn sein Gewissen mahnte, eine Schuld, ein Versäumnis wieder gutzumachen, dann kam er und half, seiner nun Bäurin gewordenen Tochter. Tief unten, in der Kühle des Waldgürtels begann Genoveva die Sdiwaden auszubreiten, im Schatten einer Esche stand der Korb mit den Zwillingen. Der Bergwind, der mit den Blättern spielte, hatte sie eingeschläfert. Sie tranken den Atem der Höhe, die durch die Zweige zitternde Sonne, und manchmal eifrig an den Fingern saugend, träumend, die mütterliche Nahrung. Schwaden um Schwaden breitete Genoveva mit dem Stiel des Rechens auf den moosigen Boden aus, keinen Augenblick rastete sie, mußte die Arbeit doch heute noch getan werden. Nur der alte Simonlehner hielt immer wieder inne, bezwungen von der Müdigkeit seiner Jahre, von den Gedanken und Fragen, die verworren wie die Halme zusammenstürzten, und doch immer wieder neu vor ihm standen. Warum mähte er auf fremdem Grund? Da war doch sein Grenzstein, über den er nie die Spitze der Sense schwang, und da stand, ungemäht sein Grummet. Ebensooft als er mit einem Grasbüschel die Sense abstreifte, fuhr er mit der Hand über die Stirne, um endlich doch zu erkennen und zu verstehen, daß da nidits mehr zu ändern sei.

Die Sonne stand über der Mocharmauer, es war die Zeit, da seine Frau, die Philomena, immer die Jause brachte. Genoveva durfte noch nicht daran denken, die Jahre, da auch der Bistumerhof den Schweiß um seine Leiten mit einer Jause belohnen wird, waren noch ferne. Und audi die Blätter seiner spärlichen Tabakstauden waren noch zu zart und zu grün, um ihn zu trösten. Nur das Grummet konnte nicht warten, wie der Mensdi es wohl immer wieder mußte. Zurückschauend lobte er für sich den Fleiß der Tochter. Als der letzte Halm im Gestrüpp des oberen Waldrandes fiel, setzte er sich zu den erwachten Zwillingen, und streckte seine gichtigen Glieder in die Sonne. Ein Sdinäpschen wäre gut gewesen, ja, ein Schnäpschen! Die Zwillinge lenkten ihn von derlei begehrlichen Gedanken ab, sie turnten sich am Rand des Korbes hoch, und schauten mit verwundert glänzenden Augen hinab in den Wald. Im Glanz ihres kindlichen Blicks lag noch die Klarheit und Schönheit des Himmels, der in edler Größe das Kleine schuf, und sich selbst unvergänglich in seine Seele prägte. Stumm staunten sie in die Welt um sie her, schweigend, wie es ihnen im Blute lag. Genoveva kam immer höher, und als die Sonne im Mittag stand, schob sie ihr Kopftuch zurück, und trrxknete mit der Schürze den Sdiweiß von- der Stirne. Sie nahm auf jeden Arm einen der Zwillinge, die selig lächelnd an ihren Haaren zausten, und ging, gefolgt vom Vater, zum Hof. Sie war zufrieden. Die Kinder, der Hof, das Vieh, die Leiten und der goldene Boden, eine zum Hof gehörige Alm, alles bereitete ihr Freude, lag doch über allem der Segen ihrer Liebe und ihrer Arbeit. Glück war es, diese beiden Knaben in ihren Armen zu wiegen, auf eigener Erde zu stehen, und ins Tal zu schauen, Glück, dem Manne, den sie liebte, wie nur ein einfaches gläubiges Herz es vermag, in seinem Ringen um das bitterharte Leben zur Seite zu stehen. Hell klangen aus dem Hochwald die Axtschläge, von den Wänden widerhallend, es war Veit, der dort um Taglohn arbeitete, denn vieles mußte auf dem verlotterten Hofe noch angeschafft und gerichtet werden.

Eilig bereitete sie das Mahl, und wieder rief die Scholle, das Korn war gereift, das Heu war zu wenden. Wohl murrte der alte Simonlehner manchmal über die ewige Schinderei ohne Jause, ohne Tabak und ohne Branntwein, aber, war er nicht auch selbst schuld daran?

Still und unabänderlich, wie die Gestirne ihre Bahnen zogen und der Erde die Jahreszeiten zumaßen, von den föhnschweren Tagen, da die winterstarren Krumen dem Licht zugewendet wurden, bis zum Heimholen des Bergheus, da der Himmelswagen funkelnd über den verschneiten Höhen stand und im Blick in die Unendlichkeit alle Tiefen der Erde und des Lebens versanken, rundeten die Tage die Jahre am Berge. Zwölf Jahre! Die Knaben Peter und Paul ersetzten das noch immer fehlende Gesinde, denn trotz allem Fleiß und wenn auch nur kargen Lohnes der Dienenden, der Bistumerhof war noch zu arm, um einen Knecht, eine Magd zu ernähren. Zwölf Jahre! Zwölf Jahre Glück, das wie eine verborgene Blume aus der dürftigen, steinigen Erde, aus der Bescheidenheit und Arbeit aller blühte, das sich nie in Worten, in überströmenden Gefühlen i? k.ium im Leuchten eines frohen Blickes widerspiegelte, wohl aber im stillen Gebet seine Verjcltung fand. Glück waren die Wochen des Spätsommers, wenn sie mit Veit auf den unter kahlem Fels blühenden Bergwiesen des goldenen Bodens das Heu einbrachte, wenn sie, was so selten war, tagelang mit ihm beisammen sein durfte. In dieser Zeit lebten sie beide nur für einander. Die Tage der wiedererstandenen Jugend lagen über der Landschaft ihrer Liebe. In diesem Rahmen schaute Veit eine andere, lieblichere Genoveva, die, ob arbeitend oder mit ihm zur Hütte schreitend, leicht und losgelöst von aller Bürde über die weichgepolsterten und steinbesäten Matten schwebte. Lag auch der Schatten einer Sage, einer Verdammung, die sich im ersten Jahre nahezu an ihr erfüllte, auf dieser Alm, so blieb sie doch ihre eigentliche, ihr allein zu eigene Welt.

Sie hatte ihren Namen nicht vom Gold, das in den verborgenen Adern der Berge ringsum gleißte, sondern von der Fülle des Segens, der einst Jahr für Jahr in schweren Körben zu Tal getragen wurde. Niemand mochte wohl je geahnt haben, daß sich dort oben zwischen den kahlen, selbst im Sommer schneeigen Bergen, nach einer mühsam zu ersteigenden Höhenstufe plötzlich, statt der erwarteten düsteren Kare und Steinhalden, eine fast ebene, vor Zeiten üppig grünende Weite auftat, von einem klaren Bächlein, das in vielen Windungen dem Bilde einen sanften Frieden verlieh, durchflössen. Bis hinauf in die Felsen grünte das würzige Gras, und rund um die Hütte soll es einst so hoch gewesen sein, daß man diese kaum sah.

Einmal, vor Hunderten von Jahren, so berichtete die Sage, kam ein Wanderer von weit her über die Berge in diese Hütte. Er sprach nichts, denn er war stumm, und seine Augen waren fast blind von der grellen Sonne ferner Länder und Meere. Er war müde, setzte sich an die Feuerstelle und wärmte seine Hände, weiß doch das Alter nimmermehr um die belebende Glut jugendlichen Blutes. Es war Abend. So saß er am Feuer, schweigsam, und schaute in die knisternden Flammen, die aus den Lärchen-scheiten auflohten. Und die Sonnen, die über die Berge seiner wiedergefundenen Heimat kreisten und all die Wärme und den Frieden längst vergangener Tage bargen, durchglühten noch einmal den Raum und gaben dem Wanderer in einer Stunde wieder, wa er ein Leben lang versäumte und ersehnte. Er hörte die Fragen nicht und konnte nicht Anwort geben. Er achtete der Menschen nicht, denn er trug ein Leid, Gott weiß, worum. Der Bogen seiner Sehnsucht, den er spannte, um des Lebens LInrast zu erjagen, war zerbrochen. Aber die Menschen, eine Dirn und ein Bursche, belustigten sich über sein seltsames Wesen, sie lachten zu den Torheiten ihrer Scherze. Niemand dachte daran, dem Alten ein Stück Brot und eine Schale Milch zu reichen, denn wer im Überfluß lebt, dem mangelt das Verständnis für die Not der andern. Sie ließen ihn am verglimmenden Feuer sitzen, als die Nacht aus den Tälern kam, und dachten vor lauter Scherzen und eigener Wünsche nicht daran, ihn ins Heu zu betten. Am Morgen war er fort. Doch dort, wo er gesessen war, lag ein Stein und ein Häufchen Asche. Seit diesem Jahre lösten sich von den Höhen die Felswände, die, zertrümmert, die Alm mit Steinen übersäten. Die Quellen rundum versiegten. Kurz und hart wuchs das Gras, spät reifte es. Wo einst eine ansehnliche Herde sich nährte, reicht das Futter nicht mehr für die paar Kühlein des Bistumer.

An eine muldige Bodenwelle hingeschmiegt wie ein Tier, das sich vor dem Drohenden duckt, ganz flach gebaut, daß, wenn der Schnee die Mulde verwehte, die Lawinen darüber hinwegrollen konnten, überstand die Hütte die Jahrhunderte, die Schneeverwehungen und die sommerlichen Hochgewittcr, gleich der alcen Lärche, die am Rücken des Hannes ihre treue Nachbarin blieb. Es war im ersten Jahre ihrer Ehe, als Genoveva mit Veit in diese Hütte einzog.

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