7102947-1995_18_23.jpg
Digital In Arbeit

Geranien-Jane kommt leider nicht zur Ruhe

Werbung
Werbung
Werbung

Sollten Sie, hochverehrter und geneigter Leser, demnächst England bereisen und die Grafschaft Dorset im Programm haben - vergessen Sie bitte nicht, einen Abstecher nach Dorchester einzuplanen. Fünf Meilen nördlich der Stadt erhebt sich Athelhampton House, das sich hervorragend dazu eignet, im Umgang mit Geistern unerfahrene Touristen ins Metier einzuführen. Im 16. Jahrhundert schlich eine junge Dame aus dem Geschlecht derer von Martyn in ein geheimes Gelaß über der großen Halle, wo sie sich wegen Liebeskummers entleibte.

Was ihr in ihrem Gram entging: Ihr Affe war ihr nachgeschlichen und mußte nun elendiglich verhungern. Der Geist des verzweifelten Tieres kratzt, fallweise, noch heute wie rasend an der Täfelung. Anfänger werden dem Kratzen eines armen Äffchens an der Täfelung nervlich eher gewachsen sein als den noch immer durch die Hallen hallenden Todesschreien des Lords Sou-lis alias „Terrible William” im schottischen Hermitage Castle, der Kinder entführte und für dämonische Rituale mißbrauchte und unter Zuhilfenahme eines Kessels mit siedendem Blei ins Jenseits befördert wurde, da Missetätern, die mit dem Teufel im Bunde sind, weder Stahl noch Strick etwas anhaben.

Auch eine Stelle in Longridge, Lancashire, acht Meilen nordwestlich von Blackburn, sollten nur Fort-

geschrittene aufsuchen. Den Unerfahrenen kann der Anblick der alten Frau, die plötzlich neben ihm geht und sich ihm zuwendet, worauf er erkennt, daß sie unter der Haube kein Gesicht hat, zu sehr belasten.

„Die Geister Großbritanniens”, John Brooks' handlicher Führer zu tausend Spukorten, registriert Gespenster für Schreckhafte wie für Abgehärtete, subtile und eher grobe Geister, freilich auch so manchen, der Touristen nicht erscheint. So zeigt sich in Cuckfield, West Sussex, Geranium Jane lediglich männlichen Mitgliedern des Personals bei deren Seitensprüngen. Sie wurde von einem herabfallenden Geranientopf erschlagen, angeblich mit aktivem Zutun des damaligen Wirts, von dem sie ein Kind erwartete.

Der Geisterführer des Eulen-Verlags will ernst genommen werden. Leider können Autor und Verlag keine Garantie für das Zustandekommen einer Begegnung übernehmen oder gar für die Folgen haften. Da es sich um ein Taschenformat handelt, eignet sich zur Einstimmung auf das Thema der Bildband „Im Reich der Geister - Eine Reise zu mysteriösen Orten auf den Britischen Inseln” von Simon Marsden (gleicher Verlag) besser. Der Autor bedient sich einer Technik, die Unheimliches noch unheimlicher erscheinen läßt, nämlich des Infrarotfilms mit Spezialentwick-lung. Dabei entstanden nicht nur unheimliche Bilder, sondern auch solche von eigentümlichem Reiz, voll von einer Atmosphäre der Unwirk-

lichkeit.

Auch dieses Buch liest man besser nicht allein oder, wenn schon nachts, dann im Bett bei guter Beleuchtung und geschlossenen Fenstern (denn in vielen Geschichten kündigen sich die Geister mit einem kühlen Luftzug an). Wenn man es nicht überhaupt strikt als Tagbuch betrachtet. Die

f)lötzliche Begegnung mit den über-ebensgroßen steinernen Skeletten des Sir Edward Golding und seiner Gemahlin, die bei einem Bootsunfall ums Leben kamen, in natura auf dem Friedhof von Drogheda in Irland, im Buch auf Seite 51, könnte sich als dem Einschlafen nicht förderlich erweisen.

Abgesehen davon sind Marsdens Fotos vor allem stimmungsvoll. Die Infrarottechnik läßt sie wie eine Mischung von Positiv und Negativ aussehen, dunkle Türen und Fenster

bleiben dunkel, der Rasen wirkt wie die Wolkendecke unter einem hoch fliegenden Jet oder wie Schnee.

Auch für Marsden scheint die Realität von Geistererscheinungen ganz selbstverständlich zu sein, und an manches der alten Schlösser, die er besuchte, knüpfen sich schlimme Geschichten. So wurde im irischen Leap Castle die Geschichte tradiert, in einer bestimmten Wand seien Skelette eingemauert - der Vater des jetzigen Besitzers (er zieht es deshalb vor, anderswo zu wohnen) erlebte, daß dem damaligen Lord Darby die Sage schließlich so auf die Nerven ging, daß er die Wand niederreißen ließ. Wobei tatsächlich drei aufrecht stehende Skelette zum Vorschein kamen. Der Lord erklärte, wenn einer seiner Ahnen Menschen einmauern ließ, müsse er einen guten Grund dafür gehabt haben und ließ die Ske-

lette sofort wieder einmauern.

Viele Schloßbesitzer nehmen die Sagen, die sich um ihre Häuser ranken, ernst und manchem Ausländer, der ein romantisches Gemäuer erworben hat, zerren sie ganz schön an den Nerven. Dem Touristen verschafft der Geisterführer ein schöneres Gruseln als Rafting. Er meide aber die A45 sechs Meilen südlich von Coventry. Dort kann ihm ein Geister-LKW begegnen, der kurz vor dem Zusammenstoß verschwindet. Wenn es wirklich der Geist ist.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung