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Gereimtes und Ungereimtes

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Wie schnell sich der „Phänotyp” ändert, nämlich schon innerhalb von 30 bis 50 Jahren, ist auch am Kinderbuch abzulesen, da man wohl mit gutem Grund voraussetzen kann, daß die Autoren sich dem Geschmack und den Bedürfnissen, fast möchte man sagen: den Ansprüchen ihrer jungen Leser anpassen. „Leser” will hier heißen Zuhörer, Publikum, denn die im folgenden angeführten Kinderbücher sind für eine Altersstufe bestimmt, da mit dem Selbstlesen noch nicht gerechnet werden kann. Am deutlichsten exemplifiziert dies das reizende und gescheite Büchlein von Susanne Ehmke mit dem Titel „Der Reimallein” (Atlantis-Zwergenbücher, Preis 4.20 DM). Die bunten Bilder sind ganz und gar „kindertümlich”, wie wir es gewohnt sind. Aber die Verslein haben einen unüberhörbaren surrealen Zug. Daß sie trotzdem gut „ankommen”, weist auf eine Änderung des geistigen Klimas hin, in dem unsere Kinder aufwachsen („Er zählte bis acht, da war’s Nacht. / Da ritt er ganz leise und sacht / um niemand zu wecken doch hat — oh Schrecken — / das Steckenpferd plötzlich gelacht.” Oder: „Er entdeckte im Sand eine Spur / lauter winzige Tüpfelchen nur. / Die verfolgt er und fand / ganz einsam am Strand / eine kleine, gehende Uhr!”).

Von ähnlicher skurriler Art sind die lustigen Geschichten und Bilder, die unter dem Titel „Frau Sonne” aus dem Nachlaß des bekannten Struwelpeter-Autors Dr. Heinrich Hoffmann veröffentlicht wurden (Atlantis-Zwergenbücher, Preis 3.50 DM). Die ersten Blätter dieses Büchleins entstanden im Winter 1870/71, wurden aber, bezeichnenderweise und mit gutem Grund, erst 1924 in einmaliger Auflage veröffentlicht — und gerieten dann in Vergessenheit. Heute dürften sie fröhliche Urständ feiern.

Die Vorteile von Strophe und Reim weiß auch Vera Ferra Mikura in ihrem neuen Buch „Lustig singt die Regentonne” (Verlag Jungbrunnen, Preis 54.— S) aufs anmutigste zu nützen. Wieder hat sie als Partner Romulus Candea, dem das Meisterstück gelingt, in seinen originellen, teils farbigen, teils schwarzweißen Bildern eine Synthese von kindertümlich und abstrakt zu realisieren. Das ist keineswegs Snobismus, da die Kleinsten in ihren eigenen zeichnerischen Versuchen die erstaunlichsten abstrakten Sachen fabrizieren — und da ihnen später, schon auf den modernen Plakaten, solche Kompositionen tagtäglich vor Augen kommen.

Wesentlich „konkreter” geht es bei den „Leuten aus Sonnenstadt” von Rudolf Stibill (Text) und Otto Gallian (Bilder) zu. Auch hier: Verse und Reime, teilweise Strophen oder gereimte Erzählungen, bei denen freilich nicht immer unkindertüm- liche Worte und Wendungen vermieden sind. Aber gereimt zu „dichten” ist eben schwerer, als einfach in Prosa zu erzählen (Verlag für Jugend und Volk, Preis 65.— S).

„Schrumpumpel” von Guido Fuchs (Union-Verlag, Stuttgart, 3,95 DM) berichtet die Abenteuer des kleinen Michael und seines Hundes, der sogar in die Zeitung kommt. „Die Männchen”, ein „Roman für kluge Kinder” von Hilde Janzarik, hat einen eigenen Humor, dem die wirklich lustigen upd. originellen Zeichnungen von Paul Flora, die auch eine Freud .-für Erwachsene sind, bestens entsprechen (Diogenes- Verlag, Zürich, Preis 14,80 sFr).

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