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Gertrucd von Le Fort: Gecliclite

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GESANG AUS DEN BERGEN

I

Hier läuft die Grenze des Menschen — jenseits heginnen

Die einsamen Königreiche der letzten Tannen,

Von keiner Axt mehr gesucht, nur unterworfen

Dem Blitz, dem gottunterworfnen.

Hier liegen die wilden Schlösser der Hochgewitter,

Die brausenden Horste des Sturms und die weißen

Der regierenden Wolken,

Hier steigen die Stufen an zum nackten Hochsitz der Felsen:

Hier ragt die Erde ins All,

Hier grüßt sie feierlich den ewigen Nachbar —

Ueber den Felsen gebieten

Nur noch die Throne des Lichts.

II

Wüßt ich denn um die Sonne, bevor ich hier oben Ausgesetzt ward am strahlenden Ufer des Aethers, Im überwältigten Auge

Immer und immer diesen leuchtenden Schmerz. Als lautre in meinen Augen schäumendes Feuer Alle Nächte der Erde!

Unbändiger Glanz, Ungeblendeter,

Jauchzender Ausbruch der Allmacht,

Des brausenden Anfangs

Erstgeborenes Kind und alleiniger Erbe:

Durch Jahrmillionen strahlst du

Das göttliche Schöpfungswort —

Das erste — das letzte — das einzig-ewige wider:

„Es werde Licht t“

III

Aber ergreifend ist am Abend

Der Untergang des Gebirges,

Wenn sich die Felsengipfel, die herrschergewaltger

Langsam von ihren glühenden Thronen erheben,

Stillen Hauptes, als schwänden sie feierlich willig

Den nächtlichen Schatten entgegen

Hinab in die schaurigen Schluchten —

Dann kommt die zaubrische Stunde

Des unbekannten Lichts:

Da ist es, als kehre die Sonne

Noch einmal zurück, aber in Mond verwandelt —

Doch scheint weder Sonne noch Mond,

Sondern es scheinen von silbernen Thronen herab

Wieder die ragenden Gipfel:

Unirdisch leuchtend wie aus dem Jenseits der Räume —

In der durchgeistigten Nacht

Gehen die Toten auf wie die unsterblichen Sterne.

IV

Die Wolke dunkelt im Tal, es donnert die Tiefe, Aber in seliger Stille, hoch über den Gewittern Murmelt die liebliche Quelle.

Urlaut der Töne,

Wie sanft überströmst du im träumenden Ohr Die unendliche Klage!

Wie spülst du die Tränen um die verstorbenen Stimmen, Die adlig-frommen der Väter!

Das heilige Leid um den Gesang vom Menschen, den fast verstummten,

Wie wogst du es unter im holden Schwall des ersten Gesanges Wie schläferst du als letzter Gesang Die schlaflosen Schmerzen!

Mutterlied aller Lieder:

O lulle die Seele mir ein ins grüne Vergessen,

Daß ich bei Pflanze und Tier meine Stätte finde

Hinabgeliebt in die Demut der brüderlichen Geschöpfe

Und nicht mehr gramverkomme am furchtbaren Menschen!

Gleich einer Elbin leb ich hier am Rand der Erde,

Verzogen aus aller Zeit, und angesiedelt

Beim adligen Schweigen der Steine,

Beim sanften Moos und bei der lieblichen Blume,

Hinweggesellt zu den schönen Gesprächen der Wasser

Und den Gesängen der Flügel

Schweifender Vögel — wie eine Wurzel begraben Im Schoß der gewaltgen Natur — Nichts heimweht mehr im Ohr — nichts in der Seele Nach meinesgleichen.

Es siegeln über meinem Haupt die seligen Sterne.

VI

Den Morgenkuß gab mir die Sonne. Es sprang mir der junge Bach

Mit lichtem Gruß entgegen. Ich beugte mich nieder

Und reichte den Wellen die Hand —

Sie strichen schwesterlich-weich und kühl drüber hin

Und zogen mich eilend

Geheimnisvoll flüsternd ins Dickicht —

Dort stand das goldene Reh

Und lauschte mich an:

Waldhaft-still,

Die Augen schön und scheu und erschreckend sanft,

Als dämmre im lieblichen Tier

Die versunkene Seele der Schöpfung.

VII

Jeden Mittag zur gleichen Stunde

Nahen im Reigenflug die wilden Schwärme der Dohlen,

Wie schwarze Möwen umkreisend die Felsenbuchten

Des strahlenden Tales —

Dann lern ich fliegen:

Auf den metallischen Schwingen des schönen Geschwaders

Ziehn meine Augen hochhin im silbernen Aether:

Wir fallen und steigen,

Von leuchtenden Wogen geschaukelt,

Raumlos im Himmlischen ...

Mit schrillem Jubelschrei Setzen die holden Piloten Mich wieder an Land.

VIII

Heut sah ich das zierliche Eichhorn, das kleine,

Festliche Tier: es ging mit bauschiger Schleppe

Zum Hofe des Waldes, und nach der Tafel —

Oben im zapfenschweren Wipfel der Tanne —

Spielte es lange vor seinem Wirt.

Purzelnd im zottgen Gezweig wie trunken vor Freude.

Ein schlummerndes Echo fuhr verwundert vom Lager empor:

Ich lachte — es lachte in seinen moosigen Tiefen

Der urernste, urdunkle Wald.

IX

Tag und Nacht wandert mein schauerndes Augs Im Felsendom des Flochtais, die steinernen Stufen Empor zum greisen Altar,

Zum feierlich-entrückten des mächtigen Berges —

Verhüllt betet vor ihm die gesegnete Wolke,

Bevor sie niedertaut,

Und unter strömenden Tränen

Stürzen die Wetter sich nieder, wenn sie verrasen -

Mit aufgehobner, leuchtender Stirn betet das selge.

Ewig erhörte Licht —

Aber auch ohne Erhörung getröstet,

Im Dunkeln harrend,

Lange, sanft und innig

Beten die stillen, beten die sternernen Nächte.

Darf ich denn eure Namen wissen, ihr unbekannt-holden Blumen. Ihr im kristallenen Aether der Einsamkeiten Strahlend Verborgnen,

Darf ich denn euren Jubel an meine Augen drücken?

Ihr blauen Glocken des Himmels, ihr goldnen Becher der Sonne,

Ihr großen Sternenwunder der winzigen Moose,

Ihr schwellenden Polster von Düften:

Darf denn ein sterblicher Sinn

Den leuchtenden Opfergesang eurer Süße empfangen,

Blüht ihr denn wie die Schattenblumen der Täler

Den irdischen Wesen?

O laßt mich bleiben, ihr Kinder der göttlichen Wonne, Nur eine Stunde gönnt mir zum Wurzelschlagen In eurem selgen Geheimnis — Nur eine, ganz dem himmlischen Vater zu eigen, Wie ihr — eine wiegt ewig.

XI

O daß ich erlöst bin vom eitlen Wahn meiner Täler, Als sei die Erde für meinesgleichen erschaffen! O das ich gerettet bin in die lichte Wahrheit der Gipfel! Hocheinsame Einsamkeit, die du den Menschen Majestätisch verschweigst, wie gibst du dem Menschen seine

Herrlichkeit wieder! Nur Einem zur Wonne strahlen Blumenmillionen, Die Sterbliche niemals erblicken — Nur Einem zur Lust

Gaukelt der selige Falter am weglosen Abgrund — Nur Einem zum Lobpreis

Umjauchzen Chöre des Lichts die unzugänglichen Firne -Nur Einem zur Ehre Bin ich mit auf der Welt,

Und Er, der alle liebt, Er liebt selbst den Menschen!

STIMME DES DICHTERS

Fragt nicht, wer ich bin, o rätselt nimmer

An der erloschenen Schrift — was gilt ein Leben?

Tausendmal ward ich geboren und tausendmal küßt ich

Dies holde, gewaltige Dasein —

Auf tausend Namen bin ich getauft.

Tausendmal ward ich vermählt und tausendmal bin ich gestorben!

Denn nur im Liede verströmt sich jeglicher Quell, Der unter dem Stern des Gesanges entsprang, Und wie Worte von Lippe zu Lippe,

So schwingt von Gestalt zu Gestalt sich des Dichters Seele:

Ich habe alle Wesen bewohnt, die ich gesungen,

Ich ging ihnen mitten durchs Herz!

In jedem Hause, das meine Stimme umrankte,

War meine Heimat,

An jedem Ufer, wo meine Harfe hing, hing meine Seele.

Ins fremdeste Schicksal trat ich ein wie in die eigene Kammer,

Zum fernsten liebt ich mich hin und ward mit ihm einig,

Und trug es aus, wie mein eignes,

Das Holdeste, wie das Verächtlichste nahm ich an

Zärtlich oder geduldig,

Und wenn mich die andern

Im engen Gefängnis des grauen Alltags wähnten,

Dann lief ich mit leuchtender Leier

Die Hügel der Gesänge hinab

Und die strahlenden Höhen der Lieder emnc

Und zog auf großen Straßen

Hinweg lebendigen Traums.

O diese Stimmen des Alls, O diese gewaltgen Liturgien der Schöpfung:

Das leuchtende Credo der Sonnen, das Gloria der Sterne, Das bräutliche Liebesgebet der blumenempfangenden Erde Lind ihre Mutterlieder, die lallenden, lullenden Quellen!

Wie Wind durch mein Haar So jauchzten durch meine Harfe

Die reißenden Lobgesänge der wildnishaft herrlichen Mächte, Die den Orkanen gebieten, Und die' gewitternden Engel Blitzen über ihr auf

Und schlugen ein und zerflammten der kindlichen Saiten Eigenes Spiel ...

Gleich einer Muschel im Hochgewoge der Brandung So lag ich im Sturmhauch der Chöre Und hielt ,hn aus —

Und hielt ihn — verstummt, um zu erbrausen

Im großen Weltengesang: die kleine, getreue Müsch'*'

Die kleine getreue — mehr nicht.

Wie aber, wenn sich einst am Ende der Tage

Der strenge Engel erhebt, den Namen schallend,

Den einen von allen, der mir allein gehörte:

Aus welchem Grabe werd ich erstehn, aus welchem Schicksal

mich sammeln, Mit welchen Händen erfleh ich im letzten Gericht Das ewge Erbarmen?

Ich weiß es nicht, mein Gott — ich habe mich längst vergessen.

O faltet die Flügel für mich, ihr meine Lieder,

Ihr trauten Gestalten darinnen, bittet, o bittet für mich

Und legt mir liebreich

All euren Reichtum um, den einstmals meinen —

Nur eine Stunde lang leiht mir die eigene Seele,

Das Leben, das ich euch gab — nur eine Stunde,

Daß ich bestehen kann, denn, ach, von allem, was mir gehörte,

Blieb mir nur das Verschwendete, nur das Verschenkte.

Aus dem im Insel-Verlag erschienenen Band: Gedickte, 1J0

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