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Gertrud von Le Fort und die Krise der deutschen Seele

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Mit der Vollendung ihres Doppelromans: „Da$ Schweißtuch der Veronika“ und „Der Kranz der Engel“ ist gerade durch die Tiefenpsychologie und Psychotherapie des Elends der deutschen Seele Gertrud von Le Fort zur größten katholischen Dichterin unserer Zeit aufgestiegen. Nun ist die Ideenwelt ihres letzten und zweifellos größten Kunstwerks so scharf kritisiert worden, daß man nicht verwundert wäre, demnächst in einer liberalen Zeitung zu lesen: Die ehemalige Konvertitin Gertrud von Le Fort auf dem Weg zur Reversion zum Protestantismus? Nach dieser Kritik wäre für die Dichterin der „Hymnen an die Kirche“ „die Kirche nicht mehr der einzige Weg zum Heil“, „nicht mehr die Kirche beherrscht hier — in ihrem neuen Werk — die religiöse Welt, sondern Christus und die Gnade“, ihr Sakramentsbegriff und ihr Christusbild wäre schon wieder lutherisch und „in vollem Gegensatz zur katholischen Moral“ empfehle sie, heißt es, selbst auf die äußerste Gefahr des Unterliegens hin, das Wagnis, um einen Ungläubigen zu retten, eine Ehe ohne kirchlichen Segen und unter Preisgabe der Taufe der Kinder einzugehen.

Handelt es sich wirklich in dieser großen mystischen und symbolischen Dichtung um die Verkündigung der antiklerikalen These, katholisdie Bräute müßten aus den frommen Sicherungen des Glaubens und der kirchlichen Ehegesetzgebung heraustreten, um die dämonische Verhärtung der antireligiösen Affekte ihrer ungläubigen Verlobten zu vermeiden? Soll hier wirklich der fromme Zweck, das Antlitz des leidenden und sich zur Not des gottfernen Menschen erniedrigenden Erlösers dem Geliebten gegenwärtig zu halten, das unheilige Mittel der Übertretung des kirchlichen Ehegesetzes heiligen?

Diese Mißverständnisse sind nur erklärlich daraus, daß der Kritiker geglaubt hat, bei der Kritik einer großen Dichtung vom „Kunstwerk als solchem“ absehen zu können und sich rein der Problematik der ihr zugrunde liegenden Ideenwelt zuwenden zu dürfen. So mußte unvermeidlich die Fabel, der Stoff des Kunstwerks mit seinem Gehalt verwechselt werden und der doppelte Sinn der Dichtung, die Gesta'tung eines persönlichen mystischen Gnadenerlebnisses und sein symbolischer Sinn, die mögliche Entzauberung der verzweifelten und darum den. Dämonen verfallenen deutschen Jugend, zu kurz kommen. Aber „Der Kranz der Engel“ ist gar kein Eheroman, es kommt gar nicht zur Ehe ohne kirchlichen Segen, er ist nicht einmal ein Liebesroman und auch nicht die „bisher unerreichte Darstellung d.r Dämonie des übersteigerten Nationalismus“; er ist eher ein These.i-roman — in Wahrheit eine erschütternde Tragödie —, daß nämlich nicht die Poesie und auch nicht die hohe Geistigkeit des liberalen Protestantismus die in der Niederlage verzweifelte deutsche Jugend wieder zur Menschlichkeit führen kann, sondern nur die heroisdie christliche Liebe.

Nur wenn man die Ökonomie, den Bauplan des Romans, übersieht, kann man das äußere Gestaltungsmittel, den Liebeskonflikt durch das kirchliche Ehegesetz zur Ideenwelt des Romans machen. Nur dann kann man sagen, die Lösung erfolge durch den „Deu.s ex machina“. Das „unerhört Große“ des Romans ist auch keineswegs die innerlich gesehene i Darstellung eines idealistischen Nazismus, sondern die tiefen-psychologisdie Lehre, wie er christlich zu überwinden ist.

Der „Kranz der Engel“ ist ja die Fortsetzung des Konversionsromans „Das „Schweißtuch der Veronika“. Dort ist der Weg aus dem idealistischen und naturalisti-sdien, aber doch noch humanistischen deutschen Geist durch das Erlebnis der katholischen Wirklichkeit, des im Sakrament gegenwärtigen Christus gesdiildert. Nach der Niederlage Deutsdilands mußte gerade die Ohnmacht der Poesie, des deutschen Geistes und des liberalen Protestantismus zur Befreiung aus den seelischen Folgen der Niederlage geschildert werden. Es bleibt für die jungen Nihilisten der Verzweiflung nur noch der romantisdre Glaube an das Reich, dem die Mensdilich-keit geopfert werden müsse. Dagegen kann nur das Erlebnis der vollen Größe und Schwere der tragischen Wirklichkeit des Opfers noch helfen.

In dramatischer Steigerung opfert zuerst Veronika dem Jugendgeliebten Enzio ihren Klosterberuf, weil sie durch die Gebets-erhörung in seiner Todesnot im Felde ihm unlöslich verbunden ist und erkannt hat, daß sie ihm ganz gehören muß. Vorläufig löst sich der Krampf Enzios, der gefürchtet hatte, die Kirche wolle ihm die Geliebte rauben. Es kommt zum Verlöbnis der beiden im Hause des gefeierten Lehrers in Heidelberg, der symbolischen Stadt des Romans. Aber im Speyrer Dom, wo Enzio nur die Kaisergrüfte sieht und Veronika nur den König Christus, erfaßt Enzio, daß die Geliebte ihm nach dem kirchlichen Gesetz die Kinder für sein Deutschland rauben muß und damit die ganze Zukunft. Er meint ja, daß nur der Glaube an die eigene Willenskraft Deutschland retten könne und so zwingt er auch seinen katholischen Kriegskameraden und Mitstreiter für die „Bewegung“, seinen Kinderglauben „an die Macht der Liebe, die sich in Jesus offenbart“, aufzugeben. Er weiß auch, daß der liberale Professor niemals der gewollten Barbarei der Willensverkrampfung zustimmen werde und Veronika warnt, sich der Willensüberwältigung durch ihn auszu-y setzen. Der ernstere Feind aber ist für ihrr der Dechant, der Veronika die Ehe ohne kirchlichen Segen und ohne das Versprechen der kirchlichen Kindererziehung verbietet. Damit beginnt für Enz'o der Kampf auf Leben und Tod um die Geliebte.

Veronika stürzt in den Gewissenskonflikt durch den Rat ihres früheren Beichtvaters: „in der übernatürlichen Haltung an, der Seite des Ungläubigen auszuharren“. Enzio lehnt ja gerade diese „christlich konstruierte Liebe“ ab. Das Heilandsbild der ewigen Liebe entflammt seinen Haß. „Gerade die Augenblicke, in denen ich mich der göttlichen Liebe hingegeben, hatten ihn zur Empörung gegen sie gereizt, warei ihm zum Fallstrick des äußersten Verderbens geworden.“ Enzio will die irdische Geliebte gewinnen. Veronika verzichtet auf die geplante Hochzeit, weil sie einsieht, daß er das Sakrament der Ehe gar nicht empfangen darf, „denn du würdest es nur können in einem furchtbaren Krampf verborgenen Hasses, der es dir unmöglich machte, das Sakrament zu empfangen und zu spenden“. Gerade deswegen will Enzio die sofortige Heirat erzwingen. Er vertreibt Veronika aus dem schützenden Hause des Vormunds und zwingt sie, in das Haus seiner Mutter zu übersiedeln, die unter seiner Suggestion „krank“ wird und mit dieser Krankheit gleichfalls die Hochzeit erzwingen will.

Durch den Dechanten erfährt Veronika, daß sie durch die Ehe mit dem Ungläubigen exkommuniziert würde und nicht mehr ihren letzten Trost, die Kommunion, emp-fcngen dürfe. Dies führt zu ihrer seeli-sdien Erkrankung unter der Last des Gewissenskonflikts. Die Dichterin läßt es gar nicht zur Ehe kommen, schon die Opferbereitschaft Veronikas, die nach ihrem Gewissen den Verzicht auf die Teilnahme am Opfer der Kirche fordert, führt zum seelischen Zusammenbruch. Zum akuten Ausbruch der lebensgefährlichen Krankheit kommt es aber erst, als sich fast vor ihren Augen der Freund des Geliebten in der Erkenntnis der vollen Sinnlosigkeit des Lebens ohne Glauben und Liebe er-sdrießt und Enzio sie verhindert, dem Sterbenden den Priester zu holen. Erst der todkranken Geliebten bringt er selbst den Dedianten zur Spendung der Letzten Ölung und Kommunion. Damit ist die Macht der Dämonen über ihn gebrochen.

Es wäre schwer, sich einen andern Fall zu konstruieren, in dem indirekt die Gewalt des kirchlichen Sakraments noch dramatischer gestaltet werden könnte als durch das letzte Opfer der Selbstzcrstörung im Mitleiden mit dem • verdammten und vom Freund verfluchten Geliebten. Aber es muß vollbracht werden, um den durch die brutale selbstverschuldete Verstörung und Zerstörung der Geliebten Erschütterten aus seiner Verkrampfung zu erwecken.

Dies ist die völlig klar durchsichtige Ökonomie des Romans. Es war in der lebendigen Darstellung dieser echten Tragödie nicht zu vermeiden, daß die Dichterin statt vom „Deus ex machina“ öfter vom Wunder geredet hat. Aber die Verbindung der mystischen Erlebnisse mit dem symbolischen Sinn des Romans erfordert die völlige tiefenpsychologische Klarheit und Durchsichtigkeit der Gesdiehnisse, die ja auch oft genug im Roman betont wird. Freilich tritt die Überwindung der deut-sdien Psychose des erkrankten Machtwillens nicht allzusehr in den Vordergrund, nur in einzelnen Symbolen wird sie spürbar. Veronika steigt in ihren Fiebervisionen nicht in die Hölle zum verfluchten Geliebten hinab, sondern die Hölle steigt herauf und ihre Flammen wälzen sich auf der Rheinebene an Heidelberg heran — und dann ist doch nach der Katastrophe die Stadt unzerstört. Es ist wesentlich für das Verständnis des Romans, diesen letzten Sinn der Dichtung auch für die Deutung der mytischen Erlebnisse ständig gegenwärtig zu halten.

Die Tragödie Enzios ist der Sturz Deutschlands aus der Poesie und Geistif keit, aus dem Dichten und Denken in d .s „Werk“, in die Bewegung einei machtmäßigen Wiedererhebung Deutschlands, statt die Niederlag al Sühne für die Kriegsschuld anzunehmen und aus der Seibitbesinnung auf eine wahre Sendung die Lösung der Not zu erhoffen. So kommt es rum furchtbaren Irrglauben der unausweichlich notwendigen Verwerfung der Menschlichkeit gerade durch den Dichter und Denker. Enzio weiß, daß ihm die Geliebte in der Todesnot im Kriege nahe ge-weeen ijt, aber wie er schon als idealistischer Neuheide ihre Bekehrung zum leidenden .Erlöser, dessen Antlitz in die Seele Veronikas gedrückt ist, widerstanden hat, so widersteht er als machtsüchtiger Neuheide erst recht dem Gesetz der Liebe.

Die christliche Tragödie Veronikas ist es, daß sie unschuldig schuldig wird, daß ihr Darleben der ewigen Liebe die Verhärtung Enzios zum Haß gegen Christus und die Kirche steigern muß. Enzio kann trotzdem die irdische Geliebte nicht lassen und will gerade ihre letztlich nur noch christ- ' lieh Liebe zerbrechen. Das gelingt ihm freilich nicht, aber Veronika zerbricht seelisch durch die Bereitschaft zur Opferung ihre Seelenheils in der Achtung vor dem kirchlichen Gesetz.

Es muß freilich mindestens in der Schwebe bleiben, ob die Brechung des Machtwillens Enzios durch die unerschütterliche Opfergesinnung Veronikas bis zur vollbrachten Selbstzerstörung erfolgt oder durch das Wunder der Gnade Gottes. Mit Recht ist im Roman die Kierkegaardsdie Frage erhoben, ob auch der Mensch, nicht nur der Gottmensch, sich für die Wahrheit und die christliche Liebe totschlagen lassen darf. Die christliche Liebe mußte „die geringste Hoffnung auf die Kraft des Opfers“ verloren haben, bevor der Machtsüchtige verstehen konnte, daß das unerlaubte Opfer unannehmbar war, daß sie sich gerade durch die unerschütterliche Anerkennung des kirchlichen Ehegesetzes und .einer Folgen selbst zerstörte, daß Veronika nicht aus der von ihm gewollten irdischen Liebe für ihn in den geistlichen Tod ging, sondern trotz der kirchlichen Schuld dennoch aus christlicher Liebe.

Man mißversteht die dichterische Absicht, wenn man behauptet, daß hier nicht die Kirche die religiöse Welt beherrscht, sondern Christus — der Herr der Kirche — und die Gnade, weil gerade die unverbrüchliche Anerkennung des Kirchengesetzes den tragisdien Konflit bringt, in dem sie unterliegt. Unvermeidlich hat die sdiuldige Veronika die Vision: „daß ich ein Deutschland sah, welches das meinige verschlungen hatte, wie, ja, wie ich selbst verschlungen worden war, zu einem bloßen Spuk um leere Häuser“, „Manchmal sah ich alle Häuser nur noch als Ruinen — ich sah mich selbst wie eine kleine entseelte Gestalt um ihre Trümmer husdien ... denn das Sdiauerlichste war, daß ich bei diesen gespenstisdien Wanderungen niemals Menschen erblickte oder, wenn ich sie erblickte, so saiienen sie zur dunklen Masse zusammengeballt, die ein unsichtbarer Wille in Bewegung setzte.“

Aber die christliche Tragik löst sich, weil sie — anders als die heidnisdie — Sühnung und Heilung kennt. Weil Veronika nicht der irdischen Liebe erlag, sondern die himmlische trotz der kirchlichen Schuld bewahrte, war ihr Erliegen religiös. Es ist nicht um einer unerhörten Ausnahme willen die Ordnung, das Gesetz des Ganzen, geopfert worden. Die stellvertretende leidende Übernahme der Sdiuld, die ja die Anerkennung des Gesetzes voraussetzt und ihr letztes Opfer unannehmbar, weil unerlaubt macht, liegt für Enzio immer noch in der Ebene des Menschlichen. Ihr heroisdier Einsatz müßte ihn zur Menschlichkeit zurückführen, aber erst das vollzogene Opfer vollbringt dies. Denn nun erst leuchtet auch für den Heiden der Segen der irdischen Tragik auf, der unermeßliche Wert det ungebrochenen Erhabenheit, die hier freilich die christliche Liebe ist auch noch in der Schuld gegen die Kirche.

Der geistliche Tod der sich Opfernden ist auch nicht von ferne dem Opfer und Sühnetod Christi gleichgesetzt. Auch im irdisdien Sinne gilt: vitrix quia victima, Siegerin weil Opfer. So ist freilich der religiöse, christliche und kirchliche Mensch für den Heiden „die Ausnahme“ im Kierke-gaardschen Sinn, aber damit erst der unübersehbare Fall in der nihilistischen Zeitnot.

Die Wirkung der Tragödie kann immer nur Frucht oder Mitleiden sein und nicht die moralische Nutzanwendung: unternimm dasselbe Wagnis, das hier zu solchen Leiden geführt hat. Sie ist am besten mit den Worten der Dichterin aus der Novelle „Consolata“ umschrieben: „Wahrlich, du bist ein gewaltiger Bußprediger gewesen, armer unbußfertiger Bruder, du hast, ohne es zu wollen, viele Herzen geläutert, Unzählige haben an deiner Ungerechtigkeit erst die Gerechtigkeit lieben gelernt, Unzählige sind an deiner Unbarmherzigkeit barmherziger geworden.“

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