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GESANG DES ABGESCHIEDENEN

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In der Nacht vom 3. auf den 4. November 1914 starb im Garnisonsspital von Krakau, zerrüttet und zerstört vom Leben, der siebenundzwanzig jährige Dichter Georg Trakl. Unsterblich aber sind seine Gedichte, von denen Rilke sagte: „Eine neue Dimension des geistigen Raumes scheint mit ihnen ausgemessen und das gefühlsstoffliche Vorurteil widerlegt, als ob in der Richtung der Klage nur Klage sei: — auch dort ist wieder Welt.“

Inmitten spielerischer Lebensfreude sang der Einsame, Stille seine Lieder vom kommenden Untergang und Verfall, erlauschte er das Grollen in der Tiefe und formte es zu Wortbildern von spiegelnder Klarheit. An seinem unermeßlichen Schmerz um die bedingungslose Vergänglichkeit der Erscheinung läßt sich erahnen, in welchem Grade Georg Trakl die Schönheit des Lebens empfunden hat; „so schmerzlich gut und wahrhaft ist, was lebt“, schreibt er in einem seiner frühesten Gedichte, und noch in dem späten Vers: „Über der Schädelstätte öffnen sich Gottes gold’ne Augen“, liegt der Glanz der Sonne, die auch über Golgatha wieder auf. c’gt.

Wie es oft nach heißen Sommertagen am abendlichen Himmel zu sehen ist: daß die auf steigenden Sterne ihre volle Leuchtkraft erst dann erreichen, wenn sie dem Dunstkreis der noch dampfenden Erde entwichen sind — so war die Erscheinung Georg Trakls für die meisten seiner Zeitgenossen die eines merkwürdig flackernden Lichtes in einer Dämmerung, die nur seltsam geformte Gebilde erkennen ließ, deren prophetische Sinnfälligkeit sich kaum einem erschloß.

Als Sohn eines gutsituierten bürgerlichen Eisenhändlers, als viertes von sechs Geschwistern, verbrachte Trakl seine Jugend wohlbehütet, aber in einem Kreis von Menschen, für den die Stimmen, die zu ihm sprachen, nicht vernehmbar, für den die Gestalten, die sich ihm aufzwangen, nicht spürbar waren. Wie deutlich sich dieses Isoliertsein schon bei dem Volksschüler Trakl abzeichnete, berichtet uns der um zwei Jahre jüngere Erhard Buschbeck, der ihm später ein aufopfernder Freund werden sollte:

„ ich sehe ihn noch vor mir, wie er am Salzachquai vor der protestantischen Schule, die ich besuchte, stand, um dort den Religionsunterricht zu haben ein kleiner, gutgepflegter Bub mit langen blonden Haaren, von einer französischen Bonne begleitet. Für uns Normalschüler hatten diejenigen, die bloß an manchen Nachmittagen zum Religionsunterricht kamen, wohl immer etwas besonders ,Feines’, aber bei Trakl trat überdies noch ein Sichfern- halten von den ändern1, ein scheues Absonderungsbedürfnis zutage er konnte sich in dieses Leben nicht fügen, nicht in die Schule und schwer in die Familie “

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Die Welt der glatten Bürgerlichkeit haßte er; sein Auge durchdrang die spiegelnde Oberfläche und erschaute bodenlose Finsternis von Schuld, Tod und Verwesung. „Am Abend ward zum Greis der Vater; in dunklen Zimmern versteinerte das Antlitz der Mutter und auf dem Knaben lastete der Fluch des entarteten Geschlechts Wenn in befleckten Zim mern jegliches Schicksal vollendet ist, tritt mit modernden Schritten der Tod in das Haus “ Doch so fremd ihm seine Umgebung auch war: wenn ein Unglück sie traf oder er selbst ihr Schmerz zu bereiten gezwungen war, dann fühlte er sich ihr zugehörig und fand Worte von großer Zärtlichkeit für sie. So schreibt er — aus Wien — an seine Schwester Minna, die er lange ohne Nachricht gelassen hatte: „Mögest Du ein gütiges Verzeihen dafür gewähren, daß ich es versäumt habe, bis heute an Dich zu schreiben“ , er versucht zu erklären.

„Als ich hier ankam, war es mir, als sehe ich zum erstenmal das Leben so klar wie es ist, ohne alle persönliche Deutung, nackt, voraussetzungslos, als vernähme ich alle jene Stimmen, die die Wirklichkeit spricht, die grausamen, peinlich, vernehmbar Vorbei! Heute ist diese Vision der Wirklichkeit wieder ins Nichts versunken und also bist auch Du mir wieder nahe und kommst zu mir, daß ich Dich recht ernst und aus tiefstem Herzensgrund grüße und Dir sage, daß, Dich glücklich zu sehen, mein bester Wunsch ist“ —

Und voll Trauer schreibt er, nach einer schweren Veronal- vergiftung, an Erhard Buschbeck:

„Ich bin wie ein Toter an Hall vorbeigefahren, an einer schwarzen Stadt, die durch mich durchgestürzt ist, wie ein Inferno durch einen Verfluchten Das Veronal hat mir einigen Schlaf vergönnt Schreibe mir, Lieber, ob meine Mutter sehr viel Kummer durch mich hat.“

Das Gefühl der Schuld war das ursprünglichste, das stärkste Gefühl Trakls, der Schuld, die mit dem zwiespältigen Menschen in die Welt getreten ist, der Schuld, in die er sich schuldlos hineingeboren und dennoch hoffnungslos verstrickt sah. Unfähig, ihr in Träume zu entfliehen, sich in ästhetischer Betrachtung einen eigenen, reinen Lebensraum zu schaffen, fand er als einzig ihm offenstehenden Weg den, der mitten durch sie hindurchführt, den des Erleidens — und durch Gestaltung des Leids zum Gedicht die Kraft zu ertragen.

Die Gedichte Georg Trakls sind Gleichnisse, die sich an die Bereiche in uns wenden, die in archetypischen Tiefen liegen, wo die Geschehnisse versunken ruhen und nur durch Deutungen erahnt werden können. So folgen wir dem Wanderer, dem Fremdling auf seinem Pfad, der herabführt, fällt — „hinunter — immer weiter — zu den Sternen“, sehen ihn begleitet von der schwesterlichen Gefährtin, dem Spiegelbild seiner selbst, und wir vernehmen ihre Stimmen, sehen sie einander die Hände reichen, auf dem Weg zur Passion:

„Wenn Orpheus silbern die Laute rührt,

Beklagend ein Totes im Abendgarten,

Wer bist du Ruhendes unter hohen Bäumen’.’

Es rauscht die Klage das herbstliche Rohr,

Der blaue Teich,

Hinsterbend unter grünenden Bäumen Und folgend dem Schatten der Schwester;

Dunkle Liebe

Eines wilden Geschlechts,

Dem auf gold’nen Rädern der Tag davonrauscht.

Stille Nacht “

Die Schwester ist ihm Eurydike geworden und Eurydike zur Schwester im gemeinsamen Leid.

Frühzeitig, denn er war in der sechsten Klasse durchgefallen, mußte Georg Trakl das Gymnasium verlassen. Er wurde Praktikant in einer Salzburger Apotheke, blieb drei Jahre, ¡ujn dann endlich in VVier Pharmazie studieren u l önngp lii diesen Jähien, in deffin’ sich Georg Trakl so sehr verloren fühlte, wie kaum jemals zuvor, wurde ihm Erhard Buschbeck •ein .Freurvd, der nicht nur jederzeit zu helfen bereit war, sondern der vor allem unbeirrbar an ihn glaubte, an seinen Genius, an sein Werk. Das Vertrauen Trakls in Buschbeck war rückhaltlos. Er schickte ihm seine Gedichte zur Korrektur, suchte seinen Rat und glaubte seinem Urteil. „Anbei das umgearbeitete Gedicht. Es ist um soviel besser als das ursprüngliche, als es nun unpersönlich ist und zum Bersten voll von Bewegung und Gesichten. Ich bin überzeugt, daß es Dir in dieser universellen Form und Art mehr sagen und bedeuten wird, denn in der begrenzten persönlichen des ersten Entwurfes“

Ein andermal schreibt Trakl:

„Du kannst Dir nicht leicht vorstellen, welch eine Entzückung einen dahinrafft, wenn alles, was sich einem jahrelang zugedrängt hat, und was qualvoll nach einer Erlösung verlangte, so plötzlich und einem unerwartet ans Licht stürmt, freigeworden, freimachend. Ich habe gesegnete Tage hinter mir — o hätte ich noch reichere vor mir und kein Ende, um alles hinzugeben, wiederzugeben, was ich empfangen habe — und es wiederempfangen, wie es jeder Nächste aufnimmt, der es vermag. Es wäre doch ein Leben!“

Der Briefwechsel zwischen Georg Trakl und Erhard Buschbeck ist aber nicht nur ein ergreifendes Zeugnis schöpferischen Leidens und letzter Freundschaft, sondern auch ein Dokument, das uns ermöglicht Einblick zu nehmen in die ganz persönliche Arbeitsweise des Dichters, sein Ringen um die Form, den gültigen Ausdruck. Als Beispiel sei hier ein Teil eines Briefes wiedergegeben, in dem Trakl voll Erbitterung einen gemeinsamen Bekannten des Plagiates an seinen Gedichten anklagt:

„Nicht nur, daß einzelne Bilder und Redewendungen beinahe wörtlich übernommen wurden (der Staub, der in den Gossen tanzt, Wolken ein Zug von wilden Rossen,, klirrend, stößt der Wind in Scheiben, Glitzernd braust mit einem Male usw.. .), sind auch die Reime einzelner Strophen und ihre Wertigkeit den meinigen vollkommen gleich, vollkommen ungleich meine bildhafte Manier, die in vier Strophenzeilen vier einzelne Bildteile zu einem einzigen Eindruck zusammengeschmiedet, mit einem Wort, bis ins kleinste Detail ist das Gewand, die heiß errungene Manier meiner Arbeiten nachgebildet worden Wenn auch diesem verwandten’ Gedicht das lebendige Fieber fehlt, das sich eben gerade diese Form schaffen mußte und das Ganze mir als ein Machwerk ohne Seele erscheint, so kann es mir doch als gänzlich Unbekanntem und Unge- hörtem nicht gleichgültig sein, vielleicht demnächst irgendwo das Zerrbild meines eigenen Antlitzes als Maske vor eines Fremden Gesicht auf tauchen zu sehen!“

Und voll Überdruß endet er sein Schreiben mit den Worten:

„mich ekelt diese Gosse voll Verlogenheit und Gemeinheit und mir bleibt nichts übrig, als Tür und Haus Zu sperren vor allem Nebelgezücht. Im übrigen will ich schweigen.“

Zum Magister sponsiert, meldet sich Georg Trakl für den aktiven Militärdienst und wird bald danach als Medi-

kamentenakzessist in das Garnisonsspital nach Innsbruck versetzt. Obwohl er sich während seiner Studienzeit in Wien stets von der großen Stadt bedroht gefühlt hatte, empfand er vorerst nur Abscheu vor der neuen Umwelt. „Ich hätte mir nie gedacht“, schreibt er kurz nach seiner Ankunft an Buschbeck, „daß ich diese für sich schon schwere Zeit in der brutalsten und gemeinsten Stadt würde verleben müssen “ Und wenige Tage darnach antwortete er auf einen Brief des Freundes: „Ich glaube nicht, daß ich hier jemanden treffen könnte, der mir gefiele, und die Stadt und Umgebung wird mich, ich bin dessen sicher, immer abstoßen. Allerdings glaube auch ich, daß ihr mich eher in Wien aufscheinen sehen werdet, wohl als ich selber will!“

Die harte Arbeit im Spital reibt ihn auf, behindert ihn den begonnenen „Helian“ abzuschließen, so C E , §r nach dineift’ altföi iiahr dbn aktiven bienst quittiert, sich in die Reserve überstelle läßt und sich, entschließt, in Wien eine Schrelöi’r|telle in_’ inems Mihtstepiurn zu übernehmen. — Aber schon nach drei Tagen verläßt er fluchtartig wieder die Stadt und kehrt nach Innsbruck zurück; noch zweimal im gleichen Jahr versucht der Ruhelose umsonst in Wien Fuß zu fassen, ehe er endlich am Stadtrand von Innsbruck, in Mühlau, für kurze Zeit „mehr als Heimat“ findet, bei Ludwig von Ficker.

Die Verbindung zwischen Georg Trakl und Ludwig von Ficker hatte der treue Freund Erhard Buschbeck hergestellt. Der folgende Brief Buschbecks kann als Zeugnis dafür gelten, daß entscheidende Begegnungen zwischen Menschen sich mitunter auf sonderbaren Wegen ereignen können:

„Lieber Freund! Herzlichen Dank noch für Dein so überaus schönes Gedicht. Entschuldige, daß ich erst heute dazukomme, Dir folgendes mitzuteilen. In der ersten Mai-Nummer des ,Brenner’ ist Dein Gedicht ,Vorstadt im Föhn’ erschienen ,Der Brenner’ wird in Wien ziemlich gelesen, und der Kulturbuchhändler, Herr Hugo Heller, erklärte mir neulich sogar, daß er das beste österreichische Blatt sei, das einzige, das man lesen könne. Also sei nicht bös Das Gedicht hatte mein lieber Freund Robert Müller an den Herausgeber des ,Brenner’, Herrn Ludwig v. Ficker, geschickt, der sich darüber sehr gefreut hat und es sofort erscheinen ließ. Herr v. Ficker schrieb auch, Du sollst ihn doch einmal besuchen. Mach das doch. Sag aber dann, daß Du Robert Müller kennst, weil der geschrieben hat, Du seist ein Freund von ihm. Zur eventuellen Personbeschreibung diene Dir, daß Robert zweimal so groß als ich und fünfmal so breit als ich ist, dabei ganz schlank. Blondes zurückgekämmtes Haar und eine Adlernase, rasiert. Er ist das arischste, was man sich denken kann, schaut aus wie ein schwedischer Nationalheld (woher er auch stammt) und wurde von Herrn v. Ficker das ,Elementarereignis’ getauft Die Adresse von Ficker findest Du in jedem ,Brenner’ angegeben“

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