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Geschäfte mit Alter Kunst

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u den Wiener Unternehmern pflegt. Was indes prominente Wiener Antiquitätenhändler, aber auch Sammler zur Situation feststellten, darüber informieren wir Sie in einer unserer nach-, sten „Furche'-Nummern.

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u den Wiener Unternehmern pflegt. Was indes prominente Wiener Antiquitätenhändler, aber auch Sammler zur Situation feststellten, darüber informieren wir Sie in einer unserer nach-, sten „Furche'-Nummern.

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In Wien gilt es wieder als „chic“, „antik“ zu leben. Wie überall in Europa und teilweise auch in den USA. Es ist Mode geworden, gutes altes Mobiliar vom Dachboden zu holen, Silberarbeiten des Biedermeier, vor allem Zuckerdosen, und Nippes aufzustellen, Bücherschränke mit kostbaren alten Bucheinbänden zu füllen. In krassen Fällen werden barocke Tabernakel zu Hausbars umgebaut und alte Bauernwiegen zu Blumenbehältern oder Silbermonstranzen zu Tiiscblampenf'üßen. Die Phantasie erfinderischer Modedekorateure und Innenarchitekten schlägt immer neue Kapriolen im Auffinden neuer Verwendungsmöglichkeiten barocker Oratorienbänke, geschnitzter Aufsatzteile, vergoldeter Engelsgestalten mit pathetischer Gebärde. Und Illustrierte und Frauenmagazine propagieren Geschmacklosigkeiten en gros. Was Frau von Pollack einst und ihre Verwandten, die weniger witzigen, Neureichs, heute zusammentragen oder durch Architekten kombinieren lassen, erfüllt zwar Kenner mit Entsetzen. Aber der Handel profitiert. Noch nie verzeichneten Auktionen solche Um-eatzsummen, noch nie wurden für Antiquitäten solche Preise bezahlt. Das weiß man auch im Wiener Kunstdorotheum.

Nur freilich, was in den Zentren im großen Stil gespielt wird, in Monsterauktionen, die gesellschaftliche Ereignisse, wahre Galas sind, zu denen Rothschild, Guggenheim, Marco-Vallnier, Meulemieester und Brochard und Cunningham pilgern, rollt in Wien im kleinen -Rahmen ;ab. Direktor Wilhelm Mrazek vom Kunstgewerbemuseum am Stufoen-ring, bezeichnet den Wiener Antiquitätenhandel trotz aller Konjunktur als „nicht sehr. aktiv“. Gründe dafür? „Die Entwicklung! Zuerst die systematische Auflösung der großen Brivatsammlungen; dann, nach 1945 wurde buchstäblich in jeder Straße ein Laden eröffnet, oft von suspekten Leuten, die aus der Situation ihr Kapital zu schlagen versuchten. Von den berühmten alten Firmen — wie heute noch Fornach oder Herzig — hatten nur wenige ,überlebt'. Die Gegenentwicklung, eine saftige Rezession, haben dann wirklich nur finanzkräftige Unternehmer überstehen können, so daß diese heute die einzigen Führenden sind, zugleich auch die einzigen, die — international-gemessen — qualitativ erstklassige Ware kaufen und anbieten können und nicht nur Objekte jener Kategorie von Antiquitäten, die man besser als ,Souvenir' anspricht, von denen es in Wien so ungeheuer viel gibt.“

Kriegszustand herrschte lange zwischen den Händlern und dem Doro-theum, das ja sozusagen eine Monopolstellung genießt, so daß etliche Unternehmer ein eigenes Auktionshaus eröffnen wollten. (Das letzte private Auktionshaus, das noch nach dem Krieg bestand, das Haus Kende, übersiedelte in die USA.) Die Stellung des Dorotheums ist freilich mittlerweile längst kein Streitfall mehr, ja nicht einmal ein Zankapfel: „Im Gegenteil, manche Händler sind heute damit gar nicht mehr so unglücklich, weil sie gerade Objekte, die sie sonst kaum loswerden, dort absetzen können.“

Die internationalen Erfolge auf dem Versteigerungssektor in London und New York, und zwar natürlich nur mit Antiquitäten der Spitzenklasse und kaum mit hübschen Souvenirs, auch wenn sie die 100-Jahr-Grenze im Alter überschritten haben, sind nichts anderes als „eine Flucht in Sachwerte“. Der Wert vieler Objekte hat sich in den letzten Jahren vervielfacht, Antiquitäten sind somit mehr denn je zur Kapitalanlagemöglichkeit avanciert, tragen indirekt „Zinsen“, indem ihr Wert und ihr Preis kontinuierlich steigen. Die Entwicklung in Wien ist parallel gegangen, entfaltet sich allerdings nur im Mindmaßstab: „International gesehen ist die Standesgruppe der Antiquare — auch gemessen an München oder Luzern — recht klein. Und Spitzenantiquare“, meint Doktor Mrazek, „gibt's etwa ein halbes Dutzend, sonst vor allem sehr viel breite Mittelklasse, die mit antiken Geschenkartikeln oder gar mit Antiquitätenherstellung kein schlechtes Geschäft macht.“

Für Museumchef Dr. Mrazek besonders interessant sind die Kontakte dieser Händler zu den Museen, „weil sie ein Spiegelbild der Situation bieten“. Im allgemeinen legen hierzulande weder Museen noch Händler allzu großen Wert auf gegenseitige intensive Beziehungen. Warum?

„Manche Museumchefs packt noch immer das Entsetzen, wenn sie mit dem Handel zu tun haben. Als ob der etwas Unvornehmes wäre ...! Die Herren müßten vor allem ihre Ressentiments gegen den Geschäftsmann abbauen, ihre Zwangsvorstellungen, hinter denen sie, geschreckt von Hasardeuren der Nachkriegszeit und Fälschungen, sich verbarrikadiert halten. Anderseits müßte der Handel endlich davon überzeugt werden, daß Museen in Österreich wieder potentielle Käufer darstellen. Es gilt längst nicht mehr, daß der Staat nichts erwirbt und wenn, dann nur sehr schlecht bezahlt.“ Daß die Wiener Museen, das des 20. Jahrhunderts ausgenommen, teilweise nur geringe Kontakte zu internationalen Händlern pflegen, und umgekehrt, von renommierten Veir-kaufsgalerien des Auslands auch keine Anknüpfungsversuche gemacht werden, .liegt an der Lage Wiens als „Endstation des Kunsthandels“: „Täuschen wir uns nicht darüber hinweg, in Wien ist das Angebot an Spitzenqualität überaus gering. Erstklassige Werke sind in festen Händen, wechseln nur selten den Besitzer. Die Ausfuhrbestimmungen sind relativ streng. (Kontrolle kann freilich nur bei großen Objekten durchgeführt werden.) Wir sind für das Ausland einfach nicht interessant. Erstaunlich reich ist allerdings im Verhältnis zu mitteldeutschen Städten etwa das Angebot an Durchschnittsware: Da kann man noch aus den Beständen des Bürgertums schöpfen. Freilich, was Wien fehlt, ist ein Tandelmarkt, ähnlich wie Portobello Road Market oder Caledonian Market in London oder andere attraktive Straßenmärkte in Paris oder Amsterdam, wo man noch Chancen hat, Interessantes zu finden, echte .Trouvaillen' zu machen.

Untrennbar mit dem Kunstmarkt verbunden ist natürlich das Publikum: „In Wien, bei Gott, nicht mehr das von einst, sondern eines, das neu herankommt aus der Industrie oder der Politik; meist Leute aus der Wirtschaft, die entweder ihr Kapital durch den Kauf von Kunstobjekten absichern wollen oder eine Vorliebe für bestimmte Kunstrichtungen haben. Internationales Kunstgewerbe, französisches Mobiliar, englisches Silber, orientalische Kostbarkeiten wie internationale Malerei sind eher spärlich vertreten. Die Vorliebe für das Lokale, für österreichische Gotik, Barock und Biedermeier, für Bauernkunst und auch schon für die Jahrhundertwende, das fasziniert die meisten sammelnden Kommerzialräte und Direktoren. Kaum hingegen die Maikart-Zeit!“ Mrazek meint, daß das Publikum darüber zuwenig informiert ist. Was Indes mehr eine Schuld der Museen ist. Praktisch in keinem Wiener Museum ist derzeit Kunstgewerbe der Gründerzeit, geschweige denn der internationalen fünfziger bis neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts zu sehen. Anderseits kann der Handel diese Objekte kaum anbieten, weil nur wenige Käufer sie in ihrem Wert erkennen und zu schätzen wissen. Hier zeigt sich klar, wie für den Handel relevant wird, was die Museen an geistiger Informationsarbeit durch Ausstellungen leisten: „Die Ausstellung .Kunstgewerbe des Historismus' etwa hat die erste Aufwertung des Stils der Ringstraßenzeit mit sich gebracht, erstmals Interesse erregt... Das ist ja überhaupt eine der großen Aufgaben der Museen. Hier müßte immer vorgestoßen werden. Nur dank kontinuierlich gebotener Informationen wachsen im Publikum echte Kenner, Conodsseure, heran, an denen es Wien sehr mangelt. Wie selten kann man hier heute noch von einem Sammler sagen, daß er zugleich ein großer Experte ist, wie einst Figdor. Da ist die Tradition einfach unterbrochen worden.“

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