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Geschrieben für Agnostiker

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Um es gleich zu sagen: die Bedeutung dieses Werkes (urid anderer des Verfassers) liegt, theologisch gesehen, darin, daß hier ein umfassender, in der herkömmlichen Theologie beheimateter Denker die Ur-und Voraussetzungsfrage jeder Theologie in einer Weise anpackt, die Hoffnung auf eine neue Begegnung mit agnostischen Denkern der Gegenwart macht. Die auch für Außenstehende imponierende Größe und Geschlossenheit der katholischen Theologie hat in der geistigen Landschaft dieser Zeit eine Igelstellung, die innerhalb der Mauern überzeugend wirkt und von außen her unangreifbar ist. Es greift sie auch niemand an. Heute nicht mehr. Aber die an sie Herankommenden sind nicht nur Feinde, sind auch Fragende, ja Bittende, ja Betende, aber sie können über die Mauer nicht ins Gespräch kommen. Henri de Lubac hat, ohne auch nur das geringste der geschichtlichen Theologie preiszugeben, das Wort und hat eine Dialektik, eine Ehrfurcht, die innere Freiheit, darum eine Vornehmheit und Offenheit jedem ehrlichen Denken gegenüber, die Hoffnung auf ein Gespräch auch mit jenen dialektischen Agnostikern möglich macht, die durch die kalte Selbstsicherheit des Theologen bisher abgestoßen wurden.

Die „Wege Gottes“, die in diesem Buch freigelegt werden, sind, in der bisherigen Aussage verstanden, unsere Wege zu Gott. Die Kapitelüberschriften sagen das: Ursprung der Gottesidee. Von der Anerkenntnis Gottes. Gottesbeweise. Vom Erkennen Gottes. Die

Unaussprechlichkeit Gottes. Auf der Suche nach Gott. Von der Aktualität Gottes. — Aber alle unsere Wege zu Gott sind zuerst Wege Gottes zu uns. Denn niemand kann die „nicht begriffliche Gegenwart des Seins im Bewußtsein, die dem Philosophen wie allen Menschen gemeinsam ist, mißachten, ohne sich jeder echten Philosophie zu verschließen“ (S. 34): die „Grunderfahrung“, daß die Idee Gottes allen unseren Begriffen vorgängig ist. Dafür holt sich Lubac als Zeugen Descartes und Leibnitz, aber beide sagen nicht mehr, als der heilige Thomas gesagt hat: „Alles Erkennende erkennt implicite Gott in jedem

Erkannten“ (De veritate, qu. XXII. a. 2, ad 1). „Da Gott keinen Grund hat, kann er auch kraft eines Grundes außerhalb seiner nicht ausgesagt werden“ (S. 34). „Man kann den fortwährenden Bezug des Geistes zum Absoluten, und zwar zum Absoluten, das real gedacht wird, nicht lösen, ohne den Geist selbst zu zerstören“ (S. 34). Diese uralte Weisheit ist hier Fundament der eigenen theologischen Aussage und die erregende Hoffnung auf eine neue Begegnung mit denen jenseits der Mauer.

Die Erkenntnis und Anerkenntnis Gottes erfolgt nicht logisch allein. Diese führt zu einem profanen und unpersönlichen Begriff „Gottes“; auch nicht (der geschichtlich andere Weg) mythisch, der führt zur Illusion Gottes. „Die Götter, diese Schmarotzer, nähren sich heimlicherweise von der Idee Gottes, um den wahren Gott am Erscheinen zu hindern“ (S. 15), führen äum Aberglauben, zum Götzendienst, aus dem sich der Mensch durch den Atheismus befreit, um in ihm in den Aberglauben zurückzufallen. Der nach dem Bilde Gottes geschaffene, aber sündige Mensch hat geschichtlich einen mühsamen Weg zu Gott. „Der historische Materialismus ist' eine jener Grundwahrheiten, die sich unbedingt beim ersten Augenschein aufdrängen, die aber nichts helfen, wenn man ins Herz der Wirklichkeit eindringen will.“

Dennoch ist „für uns Gott Gegenstand des Beweises“ (S. 55). Aber dieser Weg zu Gott ist nicht nur logisch, er ist analogisch und geht den Weg von der sehbaren und unsichtbaren Schöpfung zu Gott. „Jedes Geschöpf ist durch sich selbst eine Theophanie“ (S. 87), ein Symbol und Zeichen Gottes. Das Ergebnis, die Anerkenntnis Gottes, wird kraft einer gel.-imnisvollen Gegenwart in Geiste gegenwärtig (S. 56). Man entdeckt Gott, der da ist und immer da war. Der „transzendentale Gebrauch“ der Kausalität bei Kant ist nicht rechtmäßig. Er ist eine wissenschaftliche Kategorie, die die Immanenz des Weltbildes Newtons beherrscht. „Der Geist selbst ist ein Weg, der selbst voranschreitet“ (S. 61). „Alles Werden ist durch das Sein verursacht und alles Werden ist auf das Sein hingerichtet“ (S. 63). Die Gottesbeweise sagen dem nichts, der nicht in diesem Sein bewußt existiert. „Die traurigste und alarmierendste Diagnose, die unserer Zeit gestellt wird, ist die, daß diese, wenigstens dem Anschein nach, den Sinn für Gott verloren hat. Der Mensch zieht sich selber Gott vor“ (S. 85). Die Erkenntnis Gottes ist stets dunkel wegen der Schwachheit des Einsichtsvermögens (S. 89). Der Glaube an Gott wird nicht im schlußfolgernden Denken abstrakt ermittelt. Aber unter der Abstraktion, die vom menschlichen Geiste ausgeht, offenbart sich Gott tatsächlich als gegenwärtig. „Wir besitzen eine Fähigkeit der Anerkenntnis, die unsere Fähigkeit des Be-greifens und unsere Fähigkeit des Argumentierens übersteigt“ (S. 109).

Da ergeben sich unvermeidliche Konflikte. Wer die Seiten 95 ff. überdenkt, kann nur traurig sein, daß ein so grundgläubiger Denker wie Ferdinand Ebner diesem Theologen nicht begegnen konnte. Gerade die glühende Anerkenntnis und Anbetung Gottes stößt sich an der kühlen und unpersönlichen Formel wund. Wer von uns weiß nicht eine parallele Geschichte zu der folgenden und wer hätte nach der Anwendung Lubacs nicht das sauere Gefühl, er habe eine Gelegenheit, vielleicht d i e Gelegenheit, verpaßt? Lubac beginnt: „Ein Kind, das eben aus der Kapelle kam, spottete im Schulhof über die Predigt, die es über sich hatte ergehen lassen müssen. Eine Predigt, schlecht und recht, wie so viele andere. Der Prediger hatte irgend etwas von Gott sagen wollen und sein junges Auditorium mit einer Flut von teils abstrakten, teils frommen Redensarten überschüttet, die auf die Geweckteren geradezu lächerlich gewirkt hatten. Der Präfekt, der ein Mann Gottes war, rief den Spötter zu sich und fragte ihn, statt ihn anzufahren, ganz ruhig: „Hast du je daran gedacht, daß es nichts Schwierigeres gibt, als über einen solchen Gegenstand zu sprechen?“ Das Kind war nicht dumm. Es dachte nach, und an diesem Vorfall wurde es sich zum erstenmal des Mysteriums bewußt, des doppelten Mysteriums vom Menschen und von Gott.

Um diese beiden Mysterien geht es Lubac. Der deutschen Uebersetzung liegt die dritte französische Auflage zugrunde. Die einzelnen Kapitel sind keine schulmethodischen Traktate. Lubac nennt sie bescheiden „an den Rand geschriebene“ Gedanken, die auch andere zum Nachdenken anregen mögen; das aber im Bewußtsein der „heilsamen Verlegenheit diesem Gegenstand gegenüber“ (S. 2). Er ist sich bewußt, daß alles, was er vorbringt, zwei Quellen hat: die philosophia perennis und die christliche Erfahrung. Weil diese an den früheren Auflagen von manchen bezweifelt worden sind, beruft er sich in einem überdimensionalen Anhang von Anmerkungen S. 221—3 52) auf die solide theologische Ueberliefe-'ung der Kirche: Dieser Anhang ist ein Schatz für sich. In ihm wird erst recht die Schwere und der Reichtum dieser theologischen Meditationen offenbar.

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