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Gespräch auf dem Pagos

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Die Sonne schien warm, doch minder drückend als unten in der Stadt. Die Mittagsluft stand unbevgt. In großen Sternen leuchteten die Silberdisteln auf dem Felsengrund. Zuweilen verfing sich eine der verirrten Immen in Lucius' Haar. Dann hielt er stille, bis das Tierchen sich befreit hatte.

Der Pater Foelix hauste seit langem in der Klus. Schon wurden die Haare der Kinder jener, die er in ihrer Jugend beraten hatte, grau. Er hatte auf diesem Horste viel gesehen und viel gehört. Man wußte wenig von seiner Vorgeschichte, auch sprach er kaum davon. Die Bienenzucht war nicht von ihm gegründet; sie knüpfte sich seit alten Zeiten an diesen Ort. Sein Vorgänger war Pater Severin gewesen, ein ungefüger Waldmönch, der indes vom Volk verehrt wurde. Bei diesem großen Faster und Beter hatte sich Pater Foelix, damals noch unter anderem Namen, eingefunden — nicht, wie man sagt, aus Sehnsucht nach dem Eremitenleben, sondern um sich über die Hütung der Bienen zu unterrichten, wie sie auf alter Überlieferung beruht. Man merkte noch heute, daß er in den Wissenschaften bewandert und durch ihre Schule wie durch einen strengen Vorhof hindurchgegangen war. Doch hatten die Begriffe sich ihm fast verwischt. Sie glichen den Charakteren auf einem Pergamente, das man geweißt und neu beschrieben hat. Zuweilen leuchteten die alten Zeichen durch, mit einem Schimmer von Ironie. Der neue Text war einfacher. Das gleiche galt von dem Benehmen des Eremiten, der unter großer Schlichtheit die Kenntnis höfischer Formen ahnen ließ. Zugleich ging Wärme von ihm aus, als ob in seinem Wesen zerstreute 'Strahlen sich im Brennpunkt sammelten, der sich im Nächsten, in seinen Gästen und Besuchern, verdichtete.

Er pflegte zu sagen, daß er den Vater Severinus um ein Almosen angesprochen hätte und daß er mit einem Schatz bedacht wäre. Im Anfang mochte der Umgang mit dem Waldheiligen, der Bildung und Kultur verachtete, nicht einfach gewesen sein. Der Alte hatte sich mit seinem Orden überworfen, doch hielt er darauf, daß sein Schüler sich dort die Weihen erteilen ließ. Nach Jahren war er gestorben, und Pater Foelix setzte ihn auf der Höhe bei. Wie alle, die hier oben lebten, war er uralt geworden — im Volksmund hieß es, daß diese Lebensdauer neben der strengen Regel auf den Genuß des Honigs zurückzuführen sei. Er hatte verboten, seine Ruhestätte zu bezeichnen, denn er liebte die Gräberverehrung nicht. Ein hohes Selbstbewußtsein vereinte sich in ihm mit dem Drange, das auszulöschen, was persönlich war. So gingen die Kräfte, die er spendete, fast ohne Widerstand, fast ohne Zoll durch ihn hindurch. .Ein Spiegel bin ich; und ewig wird bleiben, was Licht an diesem Spiegel war.“

Vor seinem Tode hatte er nach Art der Bienenwirte den Völkern angekündigt, daß sie ein neuer Herr erwartete. Der Pater Foelix setzte sein Leben fort. Es stiegen auch dieselben Menschen, meist Leute aus dem Volke, zu ihm empor, mit ihren Sorgen, ihren Anliegen. Doch war sein Kreis insofern weiter, als ihm auch Gäste angehörten, die führend im Geistes- und Machtkampf standen, der die Landschaft spaltete. Selbst Angehörige fremder Kulte und solchen, die gänzlich außerhalb des Glaubens standen, begegnete man bei ihm. Für alle fand er das rechte Wort. So war er auf das wilde Reis des Pater Severin gesetzt, gleich einem Schößling von höherer

„Auch du wirst heiraten. Vielleicht schon bald. Du bist nicht für den ehelosen Stand bestimmt.“

Dann sagte er wieder: „Ich bin zufrieden, der Honig wird aus den Körben Kultur. Lucius war durch Ortner bei ihm heraustropfen. Auch künden sich starke eingeführt; und dieser suchte ihn, wie Schwärme an.“ man glaubte, zuweilen im Auftrag des Sie sprachen von den Bienen und Prokonsuls auf. ihren Gewohnheiten. Lucius hatte im

Der Pater hatte ein Habit aus weißer Institut von Taubenheimer an einem Wolle angelegt. Es war von Bienen ge- Lehrgang teilgenommen, der sich als mustert, die sich in dem rauhen Stoff „Seminar zur Kenntnis der staatenverfangen hatten und die er mit der bildenden Insekten“ bezeichnete. Man Hand behutsam herunterstrich. Er brachte wußte dort scharfsinnig den Ertrag zu eine Platte, auf der eine frische Wabe und ein hölzernes Messer lag. Dann setzte er weißes Brot und eine Flasche Vecchio auf. Das Brot war ungesäuert in flachen Scheiben ausgebacken und von der Herdglut hier und dort gebräunt. So hielt es sich lange an diesem von jeder menschlichen Behausung entfernten Ort.

„Nun trink und iß, du wirst vom Aufstieg müde sein. Das ist Maihonig, von der Tracht, zu der die Tiere bis zu den Linden hinabfliegen.

Der Pater setzte sich neben ihn und sah ihm freundlich zu. Lucius lobte den Honig und fragte nach der Imkerei.

„Ich bin zufrieden; es honigt reich in diesem Jahr. Trink auch; der Wein ist gut. Melitta hat ihn heraufgebracht. Ich habe ihn für dich bestimmt. Er lächelte.

„Die Jahre verfliegen. Ich habe das Mädchen auf diesen Namen getauft — nun wird es Zeit, daß es heiratet Du hast die Kleine beschützt; sie wird dir dankbar sein.“

Lucius fühlte, daß er errötete. Der Pater klopfte ihm die Hand. steigern und sah in der ererbten Praxis der Bauern und Eremiten eine Art von Raub. Der Pater Foelix kannte diese Schule, doch hielt er es mit seinem Lehrer Severin.

„Sie fußen dort auf der alten Weisheit, daß der Mensch das Maß der Dinge sei. Das ist einer der gewaltigen Sprüche, der gewaltigen Irrtümer, die sich durch die Jahrtausende fortschleppen. Er könnte die Fahne schmücken, die der Humanismus durch die Zeiten führt; er ist seine tiefste Sentenz. Ein Deutscher hat ähnliches doch weit bescheidener gesagt: ,Auf den Menschen reimt sich die ganze Natur.' Das ist sehr gut, denn es erhebt sich sogleich die Frage nach dem, der das Gedicht geschaffen hat/

Der Pater trank einen Schluck aus Lucius' Glase und sah ihn heiter an.

„Ich will dir von den Bienen erzählen, was besser ist. Der Wirt, der abends an die Stöcke tritt, um seinen Immen die Veränderungen in der Familie und im Hausstand anzusagen — er kennt die Weisheit, die in den Tieren wohnt und achtet sie. Die Bienen sind ja in vielem vorbildlich, weil in ihrem Leben der Wille des Schöpfers, ohne durch die Vernunft getrübt zu werden, sich offenbart.

Der Mensch legt viel in sie hinein, auch viel vom Unvollkommenen und Unzureichenden der menschlichen Natur. Er nennt die Bienen arbeitsam. Ein Kaiser des Abendlandes wählte sie zum Wappentier in jener Wende, in der die Arbeit ihren alten, frommen Sinn verlor. Ist aber denn die Biene in diesem Sinn ein Arbeitstier?“

Er deutete auf die Sammlerinnen, die um die Thymianranken und Steinbrechpolster schwärmten, und nickte dem Schauspiel zu.

„Es müßte denn sein, daß man als Arbeit eine Kette von Liebesberührungen erkennen will. Es ist ja unaussprechliche Wonne, die diese Tiere beflügelt und ihren Tag erfüllt. Wenn sich im Morgenstrahl die Blüten öffnen und ihr Tagewerk beginnt, erschallen weder Hörner wie in den Kasernen noch Pfeifen wie auf den Schiffen noch jene heulenden Sirenen, mit denen die Fabrik zur Arbeit ruft. Du hörst im Stockwerk der Waben und ihrer Zellen den Honigtanz als eine vom Nektar berauschte Melodie, die Lust und Heiterkeit erzeugt. Von allen unseren Rufen und Signalen ist er am ehesten dem Glockenton verwandt, so wie er einstmals über diesem Berge schwang. Nein, Arbeit in unserem Sinne umschließt der Tag der Bienen nicht.“

„Freilich“, so fuhr der Pater fort, „wir könnten von den Bienen wohl lernen, was Arbeit ist. Es gibt ja kein Geschäft in dieser Welt, das ohne einen Funken von solcher Freude bestehen kann. Die Lebensfreude hält das Ganze zusammen, weit stärker als die Wirtschaft oder -die reine Macht. Wenn du den Bauer im Morgenlicht mit nackter Brust dem Pfluge folgen, wenn du den Schmied am Amboß stehen, den Fischer sein Netz ins Wasser senken siehst, ahnst du in ihnen ein Wohlgefühl an sich, das unberechenbar und unbezahlbar ist. Auch im Gewimmel der Märkte und Städte wird es dir bewußt. In diesem Wohlgefallen liegt das Kapital der Welt, das pure Gold — die Ernten und der Gewinn sind nur der Zins davon. Das gilt auch für die Wirtschaft — es kann keine Ökonomie gedeihen, der nicht die Liebesbeziehung zugrunde liegt. Wohlwollen hat eine goldene Hand. Das mußt du bedenken in deinem Amt, vor allem auch dort, wo dienende Brüder dir zugeordnet sind.“

Der Pater streichelte Lucius die Hand und schenkte ihm wieder ein.

„So ist auch der Bienenstaat ein Schrecknis, das sich der Mensch erfunden hat. Kann man von Staaten sprechen, wenn man die Tiere recht beobachtet? Es handelt sich dort eher um eine große Familie. Man sagt, daß die Natur die Arbeitsbienen nicht am Geschlecht beteiligt hätte, und nennt das eine Art von Sparsamkeit, von Raub. Das heißt den Teil und nicht das Ganze sehen. Die Liebeskraft wohnt in den Stöcken, ganz ungeteilt. Du siehst das deutlich, wenn sie die Unruhe vorm Hochzeitsflug berauscht. Sie bilden dann einen Leib, den eine Kraft belebt und figuriert. Sie alle haben Anteil an der Wonne — sie und die Ungeborenen. Was ist demgegenüber die flüchtige Berührung der Königin? Wenig und viel. Gering ist sie, wenn du sie abgeteilt betrachtest als tödlichen Kontakt in der Unendlichkeit Doch wie bedeutsam wird sie, wenn du sie als Sinnbild der Liebeserfüllung siehst, die im Organ für alle sich vollzieht. So hebt ja auch der Priester den Kelch für alle beim Abendmahl.

Gewiß, wenn man das Bienenvolk als Staat betrachten will, dann könnte er ein Vorbild menschlicher Staaten sein. Ein Vorbild, wenn man das Ziel des Staates in der Erhöhung der Ordnung zur reinen Liebesbeziehung sieht. Du findest das im alten Königtum von Gottes Gnaden, doch auch in echter Demokratie. Es kommt ja nicht auf die Verfassung an; sie hat nur als Gefäß des brüderlicnen Lebens Sinn. Fehlt das, verliert die beste Verfassung ihren Wert.

Die Lehre Christi ist auf die Verwirklichung der Liebesbeziehung angelegt, auf Grund des Vorbildes. Ihm hierin nachzufolgen, ist vor allem das Amt der Kirche, und daher wird sie stets unentbehrlich bleiben. Das Ziel bleibt freilich, wie alle wahren Ziele, unerreichbar, doch muß es stets der Richtstern bleiben, wenn sich der Mensch nicht in der Finsternis verlieren will.“

Der Eremit schwieg eine Weile, dann schloß er die Betrachtung ab:

„Ja, vieles können wir von den Bienen lernen, wenn wir des rechten Blickes kundig sind. Da ist auch ihr Sammeln von Schätzen, das Heimsen von Vorrat in unvergänglicher Gestalt. Die Blüten gleichen den Augenblicken dieses Lebens, den flüchtigen Sekunden, und doch erbeuten wir in ihnen, wenn wir sie recht berühren, Stoff der Unendlichkeit, die wahre Ambrosia der Alten, die Unsterblichkeit gewährt. Der Augenblick ist uns verliehen, damit wir diese Waben füllen für höchste Feiern jenseits von Raum und Zeit. Doch trägt das so geführte Leben auch zeitlichen Gewinn. Du siehst das daraus, daß nur die recht berührte Blüte zur Frucht gedeiht. Darum kaufe die Augenblicke aus.“

Lucius dachte über diese Worte nach. Er fühlte, daß manches mit persönlicher Bedeutung an ihn gerichtet war. Das Summen der Bienen erfüllte immer noch wie eine dunkle Orgel die Mittagsluft. Im dürren Silberlaub der Disteln raschelten geschäftig die Agamen, behende Jägerinnen, die wie Kleinodien leuchteten. Er sagte:

„Man hört doch von den Tieren auch viel Grausames.“

Der Pater lächelte.

„Es ist gut, Lucius, daß du den Einwand machst. Du darfst, was ich dir sage, nicht als Gesichtspunkt fassen, denn solche gibt es unzählige. Du denkst an Vorgänge im Bienenleben, die wir als blutige bezeichnen würden: den Königinnenmord, den Königinnenzweikampf, die Drohnenschlacht. Auch hier trügt unser Blick, indem wir die Tiere moralisieren, vermenschlichen. Wir geben uns nicht Rechenschaft darüber, wie sehr das Bienenvolk e i n Körper ist. Wenn er zu seiner Wohlfahrt im vorbestimmten Augenblick die Drohnen ausstößt, so ist das das gleiche, als wenn das Kind die Milchzähne verliert. Die Immen erfüllen das Gesetz, das ihnen vorgeschrieben ist. Der Mensch indessen, indem er sein Auge auf ihr Treiben richtet, entdeckt in ihm das Böse, das in ihm selber steckt. So bildet die Drohnenschlacht ein altes Muster der Staatsräson und aller Lehren, in denen der Mensch als das politische Tier betrachtet wird. Dagegen ist einzuwenden, daß dem Menschen Erkenntnis und damit Schuld verliehen ist. Insofern stellt sich das Gesetz ihm anders dar.“

Lucius sah ihn fragend an.

„Dann müßte man annehmen, daß die Morde, die Kriege, die Bartholomäusnächte außerhalb des göttlichen Planes liegen und daß die Geschichte als eine Kette von Verstößen gegen die Ordnung aufzufassen ist? Das fällt schwer, wenn man den Menschen mit seinen Zähnen und Klauen ansieht und wenn man die Lage bedenkt, in die wir hineingeboren sind.“

Der Alte nickte ihm freundlich zu.

„Oh, du gehst eilig, Lucius. Doch will ich dir antworten. Die Morde, die Kriege, die Grausamkeiten liegen nicht außerhalb des Planes, da es nichts gibt, was außerhalb des Planes ist. Doch liegen sie zum großen Teil außer dem Gesetz. Insofern stellt die Geschichte wirklich eine Kette von Verstößen dar, die nur durch Gnadenakte, durch Amnestien sich erhält. Das ist das große Thema des Alten Testaments.

Auch in der Historie herrscht naturgeschichtliche Notwendigkeit, und es sind Arten der Historik möglich, die sich allein auf sie beziehen. Doch herrscht nicht die Notwendigkeit allein, insofern dem Menschen zugleich Erkenntnis gegeben ist. Mit der Erkenntnis wird die Schuld gesetzt, daher kann eine Tat zugleich natürlich notwendig sein und schuldhaft vor dem Gesetz. Um diese Differenz zu decken, die uns im höchsten Wesen vernichten würde, besteht der Opferschatz. In seiner Erhaltung und Vermehrung liegt der eigentliche Sinn, der der Geschichte innewohnt. Das ist das Thema des Neuen Testaments.

Das Opfer kann nachträglich sein, dann stellt es sich als Sühne und Buße dar. Es kanft auch der Tat vorausgehen; wir trennen dann von unserem Natur-anspruche einen Teil zum Ruhme Gottes ab. Das ist der Teil, der tausendfältig, der ewig zinst. Er mag gering sein — er kann aber auch unser ganzes natürliches Leben einschließen. Und wunderbar ist, daß das Opfer stellvertretend wirkt. So können auch wir armen Eremiten ein wenig zum Heil der Welt mit beitragen.“

(Aus: Heliopolis, Rückblick auf eine Stadt. Heliopolis-Verlag, Tübingen.)

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