6548836-1947_30_11.jpg
Digital In Arbeit

Gespräch auf Schloß Brunegg

Werbung
Werbung
Werbung

Als Strindberg 1886 in der Sdiweiz lebte, befand sich auch ein anderer schwedischer Dichter dort, dessen Name damals noch unbekannt war: Verner von Heidenstam. Er hatte nicht minder unstet wie Strindberg die Aufenthalte gewechselt und sich endlich mit seiner Frau Emilia Uggla im Aargau niedergelassen. Ihn hatte freilich nicht die Opposition gegen die schwedische Gesellschaft und Literatur in diese Fremde getrieben, sondern seine mangelnde Gesundheit. Er litt an Skrofulöse und so bedurfte er eines südlicheren Klimas und der starken Ge-bigrsluft der Alpen.

Damals war Heidenstam ein Aristokrat von 27 Jahren. Er hatte 1880 die um drei Jahre ältere Frau geheiratet, die gleich ihm altem schwedischem Adel entstammte. 1886 war Heidenstam durch einen Zufall nach Schloß Brunegg im Aargau gekommen, das für seine Entwicklung von großer Bedeutung werden sollte. In dem mit der alten patrizischen Einrichtung versehenen Gebäude konnte sich das Paar nicht bloß zu Hause fühlen, hier offenbarte sich Heidenstam auch die seltene Möglichkeit einer inneren Sammlung, nach der sein ganzes Wesen verlangte. Es war eine Art „Vor Sonnenaufgang“, was er hier schicksalshaft erleben sollte.

An einem Sommerabend, da Heidenstam und Frau Emilia beim Mahle saßen, läutete es. Während sie sich wunderten, wer zu so ungewohnter Stunde einen Besuch bei ihnen abstatten mochte, wurde ihnen eine Visitenkarte gebracht, auf welcher stand: August Strindberg. Sogleich warf Heidenstam die Serviette hin, eilte hinunter, und da sah er wirklich im Toreingang, abgezeichnet gegen einen graukühlen Sommerhimmel, die Gestalt des Freundes.

Damals war Strindberg noch Heiden-stams Freund. Er schildert bei dieser Gelegenheit mit Bewunderung Strindbergs gewaltige Stirn, dieses „Meisterwerk kühner, kräftiger Stirnbeinarchitektur“, und erwähnt dessen etwas rundliches Gesicht mit den vortretenden Backenknochen und die krankhafte Weichheit, die um den Mund lag. Die Augen bezeichnet er als „lichtgrau mit kleinen, gleichsam zusammengezogenen Pupillen, müde und schwermütig ...“

Für eben diese Augen hat er später, nach der erbittertsten Feindschaft seines Lebens, andere Worte gefunden. Er fand da, daß Strindbergs Blick, grau und von unten heraufkommend, etwas Lauerndes wie von einem „entlaufenen Knechte“ habe. Eer „Wahrheitssager“ erschien ihm nun als der größte Lügner der schwedischen Literatur.

Aber schon auf Schloß Brunegg stellte Heidenstam manches fest, was ihn an dem Freund mißtrauisch machte. Da war Strindbergs Lachen. Es wirkte unheimlich in seiner Lautlosigkeit, wozu noch kam, daß es unvermittelt in Ernst überschlug. Heidenstam merkt an, daß er ihn wohl lachen gesehen, niemals aber lachen gehört habe. Sei Strirfdberg aber gereizt, so bekomme er den Ausdruck eines Menschen, dem man am besten gleich freiwillig die Börse hinhält, wenn man ihm im einsamen Walde begegnet. Auch Emilia Uggla scheint schon damals geahnt zu haben, daß ihrem Mann von dieser Seite kaum etwas Gutes bevorstehe. „Er war gar nicht angenehm“, urteilt sie über Strindberg.

An diesem Sommerabend des Jahres 1886 ist aber alles noch eitel Freundschaft. Heidenstam läßt Strindbergs Reisetasche ins Haus bringen und laut ihn ein, an dem Abendessen teilzunehmen. ..Oben in dem sogenannten Rittersaal verbrachten wir den Tag“, schreibt H-idenstam von Strindbergs weiterem Aufenthalt, „während der Tabaksrauch gleich Wimpeln v^n blauem Flor sich um die Lanzen ringelte. Damals war es Mode, während des Sommers ein Seidenbarett zu tragen, und auf solche Weise geschah es, daß wir mit dieser mittelalterlichen Kopfbedeckung da oben in dem mittelalterlichen Saal des alten Räuberschlosses saßen, das der Tyrannenfamilie Geßler gehört hatte: im Gespräch über moderne Fragen und das Land, das weit im Norden lag, hinter der Schneewüste der Alpenkette.“

Auch von Strindberg ist uns ein Bericht über diese Begegnung erhalten: Im zweiten Teil von „Der Sohn einer Magd“ berichtet er davon in der Verkleidung seines Helden Johan. Er versäumt dabei nicht, zuerst die Sdiweiz zu preisen, deren Gastfreundschaft er soviel verdankt. Er liebt das kleine Dorf im Aargau, wo er mit der Familie wohnt, nicht minder als Chexbres am Genfersee, wo er vor drei Jahren eine glückliche Zeit verbrachte, und all die liebenswürdigen und behaglichen Umstände, die es dort gibt. Daß der Postmeister, der Fabrikant, der Schullehrer, der Oberst, der Schuhmachergesell, der Müller art demselben Tisch sitzen, entzückt ihn. Das Demokratische erscheint ihm hier etwas Natürliches, während er im Schweden der achtziger Jahre noch den Unterschied von Ober- und Unterklasse feststellt. „Die Telegraphistin. ein junges Mädchen, stand mit ihrem Wassereimer unter den Mägden des Dorfes und wartete, bis sie an die Reihe kam“, merkt er an. „Die Knechte kamen mit den Pferden und die Mägde mit einem Krug zur Tränke und der Postmeister kam in Hemdärmeln, um seine Sense im Trog zu waschen. Die Kuhglocken klangen, die Peitschen knallten, die Jugend sang und jodelte. Es war Arkadien.“

„Aber auf dem mit Buchenwald bestandenen Berg“, fährt er fort, „erhob sich ein großes dunkles Gebäude aus Stein, das aus der Entfernung einer umgestülpten Arche Noah glich, aber ein Schloß war. Dessen Kern bestand aus einem runden Turm aus der Römerzeit, und dessen Schiff war ein Feudalschloß aus Graustein mit Fenstergruppen, die von behauenen Säulen aus Stein gefüllt waren. Das Schloß gehörte einer Witwe, die es zur Sommerfrische vermietete, und ihr augenblicklicher Gast ■ war ein junger Schwede, den Johan ein Jahr vorher kennen gelernt hatte, mit dem er in Italien gewesen war und mit dem er im letzten Herbst einige Monate in Frankreich verkehrt hatte. Dieser Vertreter der jungen Generation war der, der sich nach Johans Meinung am meisten von allen Vorurteilen entfernt hatte, der einzige, der die Kraft besessen, alle Konsequenzen der neuen Weltanschauung zu ziehen. Aus einer alten adeligen Familie stammend, hatte er sich seine Bildung auf Reisen verschafft, nachdem er sich früh der Malerei gewidmet.

Oben in dem großen Rittersaal mit seinen Waffen und Rüstungen, den Ahnenbildern an den Wänden, dem Turmfalk '-or dem Fenster, von dem man das großartige Alpenpanorama vom Schwarzwald bis zum Mont Blanc und die hübschen Dörfer in den Tälern sehen konnte pflegten sie ihre Gedankenübungen nach den neuen Schulen zu halten.“

Welcher Art waren nun diese „Gedankenübungen“?

Wenn zwei der größten Dichter einer Periode einander Legegnen, so erwartet man, daß da die ' Fragen des Menschengeschlechts in einer tiefen und umfassenden Weise zur Sprache kommen oder Dinge, die sich auf große Literatur beziehen. Nichts davon trifft hier ein. Die beiden nordischen Dichter unterhalten sich weder wie Philosophen, noch wie Ästheten, sondern eher wie zwei Sozialpolitiker. Es ist die Stunde des Naturalismus und sie wollen die Welt so sehen, wie sie ihrem Begriff der schonungslosen „Wirklichkeit“ entspricht.

Zwei Gegensätze stoßen trotz dieser gemeinsamen Grundlage aufeinander: beide kommen von verschiedenen sozialen Voraussetzungen her. Heidenstam, der Aristokrat, für den es keine Existenzsorgen gibt und der auch als Intellekt über eine unerhörte Überlegenheit verfügt, vertritt den — Herrenmenschen. Für ihn ist Moral kein Begriff, und1' Gewissen und Mitleid sind ihm nur Überreste des Christentums, dessen „man nicht Herr geworden ist“, und die also verraten, daß man nicht „stark genug“ war, die letzten Konsequenzen zu ziehen. So spricht er auf Schloß Brunegg aus, was gerade zur gleichen Zeit Friedrich Nietzsche so leidenschaftlich zu formulieren sucht.

Anders Strindberg. Er fühlt sich als „Sohn einer Magd“ der unterdrückten Klasse angehörig. Das Unrecht, das er erduldet zu haben glaubt, hat ihn zum Revolutionär gemacht und seine Gedanken mit sozialen Reformen beschäftigen lassen. Mit der ganzen Kraft seiner Persönlichkeit sucht er diese Probleme zu lösen. Und er glaubt, die Zustände so bessern zu können, daß er neue Konstruktionen einer menschlichen Gemeinschaft entwirft. Ihm erscheint der einzelne sosehr in Armut versunken, weil zu sehr Geld versdnwendet wird, weil die Familie unrationell lebt und weil schließlidi die Frauen sich erhalten lassen, statt aktiv mitzuarbeiten. Hier setzt sein Programm ein: man muß lernen, mehr Respekt vor dem Gelde als etwas Lebensnotwendigem aufzubringen, die Familien müssen sich zu Kollektiven zusammenschließen, wo es nur „eine einzige Kinderstube, eine einzige Küche“ gibt, und schließlich müssen die Frauen veranlaßt werden, intensiv mitzuarbeiten.

Es sind Zukunftskonstruktionen mit etwas utopischem Charakter, wie sie in den achtziger Jahren modern waren, die Strindberg entwirft. Und eben ihre Einseitigkeit und Abstraktheit sind es, die Heidenstam zum Ziel seines Spottes macht. Der ganze Reformeifer Strindbergs erscheint ihm überhaupt verdächtig, da es ihm, Heidenstam, doch nur auf den „Willen zur Macht“ ankommt.

Im Rittersaal des Schlosses Brunegg stoßen diese Gegensätze heftig aufeinander, wenn auch noch in freundschaftlicher Form. Heidenstam in äußerer Ruhe, mit dem Seidenbarett auf dem Haupte, weiß seine Worte so zu wählen, daß sie den Gegner wie mit feinen Spitzen und unvermuteten Widerhaken treffen, deren man sich nicht so leicht entledigen kann. Strindberg, ebenfalls den Kopf mit dem Barett bedeckt, geht unruhig auf und ab. Die Luft ist erfüllt von Tabakrauch.

Heidenstam wirbt auch um Strindberg Er möchte ihn abbringen von seiner revolutionären Parteinahme für die Armut, die damals die französischen und russischen Erzähler zum Gegenstand ihrer Romane machen. Er sagt zu Strindberg: „Du bist durch Erziehung und natürliche Begabung über die Klasse, in 'der du geboren wurdest, hinausgelangt; du bist nicht mehr Unterklasse ..., sondern Oberklasse. Warum geniert dich das?“ Und später wiederholt er: „Du als anerkannter Dichter bist Oberklasse gegen mich als unbekannten Dichter. Du'gehörst zum neuen Nervenadel, der in ein neues Herrenhaus einzieht: ich gehöre dem aussterbenden Muskeladel an, denn wir sind im Begriffe, auszusterben: und wir sind sdion halb getötet vom Geldadel, der jetzt langsam untergraben wird vom neuesten Adel, dem Arbeiter. Ich las neulich ,Germinal' und war ersdirocken, buchstäblich erschrocken. Wir haben in meiner Familie, wie du weißt, ein Eisenwerk. Die Arbeiter haben in den letzten fahren gestreikt, Verluste auf Verluste haben uns

getroffen, der Ruin nähert sich.“ Strindberg: „Bist du nicht der Ansicht, daß die Arbeiter recht haben?

Heidenstam: „Gewiß haben sie recht, da sie die Macht haben, sich Recht zu verschaffen. Glaubst du, idi lächle nicht über die kleinen buckligen Waldbauern zu Hause, die sich das ganze Jahr placken, damit ich fremde Länder sehen und auf einem Sdiloß wohnen kann? Dumme Kerle! Wäre ich an ihrer Stelle, möchte ich es machen, wie sie es jetzt zu tun gedenken.“

Man sieht, daß das Gespräch manchmal an Zynismus streift. Es ist aber aus zeitgeschichtlichen Gründen interessant, seinen Gang zu verfolgen. Die alte Erfahrung scheint hier wieder bestätigt, daß Diskussionch, die von der Intelligenz geführt werden, einige Jahrzehnte später volle Wirklichkeit werden. Was diese beiden nordisdien Dichter besprechen, wirft seine Schatten sdion auf unsere Tag voraus. Sind ihre Programme nicht Vorboten des Kampfes, der so unselig unsere Gegenwart durchtobt: Heidenstams Wille zur Macht und Strindbergs soziale Revolution? Und ist nicht- die tiefere Ursache

dieser Zerklüftung — damals wie heute — die von beiden Gegnern ganz selbstverständlich angenommene Voraussetzung: ohne das Christentum auszukommen?

Aber gerade das macht ihr Gespräch auf Schloß Brunegg schon überholt für unsere Gegenwart, die wieder weiß, daß diese Zerklüftung durch nichts anderes überbrückt werden kann als durch Christus.

Strindberg hat es nicht leicht gegenüber Heidenstams scharfen Einwürfen. Aber er verteidigt doch in einer langen Reihe seine sozialen Ideen, die er — trotz Heidenstams Zweifel, ob er eine Publikation wagen würde — als Schluß von „Der Sohn einer Magd“ zu veröffentlichen beschließt. Das alles erregt ihn so sehr, daß er an eines der versdilossenen Fenster des Rittersaals tritt, es öifnet und über die Landschaft blickt. Die Sonne beleuchtet gerade den Säntis und die Glarner Alpen, und vom Tal tönen Gesang und Glockengeläute herauf. Es ist Strindberg in diesem Augenblick, als bestätige ihm die friedliche und glückliche Natur seine Worte vom „neuen Menschen“.

Strindbergs soziale Ideen triumphieren aNo am Ende des Gesprächs, aber Heidenstams Zweifel und Zynismen bleiben wie Pfeile mit feinen Widerhaken in Strindberg haften und haben auch ihre Wirkung. Monate später wird* er sich enttäuscht von seinem Ideal, der kollektiven Familie, abwenden und das Herrenmenschentum in sich entdecken, was eine neue Entwicklung einleitet. Er wird begeistert Nietzsche lesen und mit dem deutschen Philosophen, der den Übermenschen predigt, Briefe wediseln.

Heidenstam aber ändert sich kaum: er ist und bleibt Aristokrat, wenn er auch später den anarchistischen Einschlag seiner Ideen von damals ausmerzt. Übrigens erkrankt er kurz nach diesem Gespräch schwer an Typhus und muß zur Rekonvaleszenz mit Frau Emilia nach Eglisau reisen. Es wird wieder eine von inneren Krisen erfüllte Zeit, wo er besonders unter Depressionen und Ängsten leidet. Dann fährt das Paar nach San Remo und wohnt dort, bis das Erdbeben ihrem Aufenthalt ein Ende bereitet.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung