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Gespräch zwischen Generationen

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„Zersprengte Generation“: so lautet die Diagnose, die heute der Jugend unserer Tage gestellt wird. Ein lakonisches, ein erschreckend lakonisches Urteil. Die Beweise sind schnell zur Hand. Sie reichen von den Gesundheitsausweisen der Magistrate, von den steilen Kurven der Jugendkriminalstatistik über das viel diskutierte „Abseitsstehen“ der Jugend von allen öffentlichen Interessen bis zur Vereinsamung des einzelnen und einer als innere Gehemmtheit, Weltflucht oder Lethargie gedeuteten Zurückhaltung der schöpferischen Kräfte in ihr. Das Problem dieser Jugend, dieser zutiefst enttäuschten und maßlos geschundenen Generation, ist hoch aktuell, es bewegt Pädagogen wie Politiker, Schriftsteller wie Psychologen, es bewegt jeden, der verantwortlich fühlt und denkt, denn das Phänomen von heute ist möglicherweise die Wirklichkeit von morgen.

Franz Theodor Csokor statuiert an der literarischen Jugend Österreichs ein Exempel. „Ist diese Jugend jung?“ fragt er und kommt zu einem apodiktischen „Nein“! Die Eigenschaften der Jugend sn sich, das „stürmische Rebellentum“, die Empörung, der Idealismus, das Kämpferische, sind heute nicht mehr da, ja es hat den Anschein, als ob seine, Csokors Generation, heute „zwischen fünfundvierzig und sechzig, verglichen an den Zwanzig- bis Dreißigjährigen“, die junge geblieben wäre. „Es erhebt sich“, so schreibt er, „daß meiner Generation so unverständliche Problem einer scheinbar vergreisten Jugend.“

Diese Behauptung, in ihrer Konsequenz von tragischer Gewichtigkeit, bedarf jedoch zweifellos einer überzeugenderen Erhärtung, als sie Csokor mit dem Hinweis auf die vielfach weltflüchtige und verspielte Produktion junger Poeten zu bieten vermag. Hat sich tatsächlich der Volksmund, daß e i n Kriegsjahr wie sieben Friedensjahre zählt, an einer ganzen Generation erschreckend bewahrheitet? Sind jene blühenden jungen Menschen, denen wir heute trotz allem wieder begegnen, auf den Sportplätzen, in den Bergen, auf der vierten Galerie, bei Jugendtreffen und Hochschulkursen, sind das wirklich nur hohle, innerlich leer gebrannte Fassaden? Eine inaktive, reaktionäre, schwunglose Jugend? Eine „spiritistische Seance“? Der Vorwurf ist schwer, er trifft dort mit voller Wucht, wo er treffen soll: auf die intellektuelle Avantgarde. In ihrem Namen sei hier eine Entgegnung gewagt.

Zweifellos ist es richtig, daß die Jugend im allgemeinen, im besonderen aber die selbständig denkenden oder gar schöpferischen Elemente in ihr, an Begeisterungsfähigkeit,' Enthusiasmus und Phantasie viel, sehr viel eingebüßt hat; auch an Vertrauen. Sie ist ernstlich an einer Wertskala irre geworden, die Generationen vor ihr, inklusive Nietzsche, noch als billig gelten ließen. Mit einer Brutalität ohnegleichen hat jeden einzelnen von ihr das Schicksal fast noch im Kindesalter ein nihilistisches Gefühl der Fragwürdigkeit gelehrt, gleichgültig ob er im guten Glauben an eine teuflisch gelungene Regie an einer Front befehligte oder ob er hinter Gittern und Stacheldrähten um eine Zukunft litt, die ihm heute — fünf Jahre später — noch immer ferne ist,

Es ist richtig, die Jugend von heute ist für Parolen unzugänglich. Sie ist vorsichtig, fast übervorsichtig, abwartend und in vielen Beziehungen überaus empfindlich, wo sie Beeinflussung ahnt oder sich zu einem bestimmten Zweck gebraucht fühlt. Ist das aber ein Negati-vum? Wenn diese Zurückhaltung der Jugend von heute garantierte, daß sie kein weiteres Mal den Flötentönen eines neuen Rattenfängers zu folgen gewillt ist, daß sie mit einem bisher unbekannten Ernst und Verantwortungsbewußtsein an die Prüfung unserer gegenwärtigen Probleme herantritt, daß sieeinen überaus nüchternen Sinn entwickelt, der zu-

In einem bemerkenswerten Aufsatz In der Halbmonatsschrift „Die Zeit“. nächst für eine Jugend befremdend anmuten mag? Diese Möglichkeit wurde bisher noch nicht erwogen, obwohl sie in mehrfacher Hinsicht nahe läge. Vielleicht wächst hier eine Generation heran, die, gerade weil sie es anders als ihre Vorgänger macht, es besser macht.

Noch ist die geistige Haltung der jungen Generation ein Rätsel. Die Bemühungen, es zu lösen, sind zahlreich. Neben schweren Mißverständnissen stehen oft beachtenswerte Erkenntnisse. So hat Hans Weigel in einer Antwort an Franz Theodor Csokor die „Verteidigung der Jugend“ übernommen, obwohl er gleich im ersten Absätz bekennt, daß er ihr nicht mehr angehört. Ebenso elegisch wie diese ist die folgende Feststellung Weigels, in der er das Fehlen des revolutionären Elans der Jugend zu begründen versucht. „Sie (die Jungen) fanden nicht, wie einst die heutigen Menschen zwischen fünfundvierzig und fünfundsechzig, Formen vor, die sie zerbrechen konnten; fast scheint es, als müßten sie eist neu bauen, was sie später selbst zerbrechen werden.“ Angesichts der zahlreichen zerstörten Städte, des allgemeinen sozialen Elends und der chaotischen Zustände im politischen, gesellschaftlichen und geistigen Leben scheint es wirklich fast bedauerlich, daß es nichts mehr zu zerbrechen gibt und somit der „revolutionäre Elan“ der Jungen — vielleicht mangels der freien Zugänglichkeit zu den Atomwaffen? — „ins Leere stoßen“ muß. Aber irgendwo hat Weigel doch das Richtige erfaßt: neu bauen! Aber so, daß man es später nicht mehr zerbrechen muß! Hier ist der Trennungsstrich. Mit dem Revolutionieren um der Revolution willen, mit dem Zerbrechen um des Zerbrechens willen ist es bei der Jugend von heute offensichtlich vorbei. Diese Jugend ist jung, aber sie hat die Pubertätszeit übersprungen. Mögen andere vor ihr bis ins hohe Mannesalter immer wieder von Pubertätskrisen befallen worden sein.

Was will diese ruhige und besonnene Jugend? Diese phrasenhassende, parolengefeite Generation? Will sie sich in eine Traumwelt einspinnen? Jene anderen überbegeisterten, Uberenthusiasmierten vor ihr haben sich in eine gigantische Traumwelt hineinphantasiert, in den Traum von grenzenlosem Fortschritt, in den Traum vom bevorstehenden Paradies perfektionierter Technik, in den Traum eines säkularisierten Messianismus, aus dem es ein unfaßbar furchtbares Erwachen gab.

Will sie, wie Csokor meint, „Lerche und Nachtigall spielen“? Obwohl diese Vermutung in summa nicht geteilt werden kann: dennoch lieber Lerche und Nachtigall als Vogel Strauß wie ihre Väter!

Was will diese Jugend von heute? Neu bauen! Ohne Pathos, ohne viel Literatur, Aufrufe, Resolutionen, ohne expressionistische Suada. Bauen, das geht nicht von heute auf morgen, wie etwa das Zerbrechen. Es ist auch nicht mit so viel Geräusch verbunden. Es bedarf Zeit und Zähigkeit. Dieser Neubau geht von der Öffentlichkeit fast unbemerkt in den Herzen von einzelnen vor sich, die ihren Weg und ihre Verantwortung immer deutlicher sehen. Wir lernen sie kennen In verschiedenen Aufsätzen, in anspruchslosen Versen, die jedoch aufhorchen lassen, in einem Gespräch, das sich jäh und unvermittelt ergibt. Wir gehen an ihnen vorbei in Hörsälen, Ateliers, Laboratorien und Redaktionen. Sie alle arbeiten und haben wenig Zeit, zu reden. Sie alle kämpfen den stillen harten Kampf um die Existenz, um eine karge Abendstunde, die dann ganz ihnen gehört. Ein unbeachteter, lautloser Heroismus.

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