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GespräcLe in der Unterwelt

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Europa will noch immer die Fortsetzung, das ist seine Schwäche. Der Bolschewismus will das Ende, das ist seine Stärke. Hinter Molotows ledernem Visier lodert der Traum einer allweltlichen Vereinigung ohne Liebe. Wenn die freie Welt im Kreuz geeinigt wäre, könnte sie sich davor retten und das „Imperium“ überwinden. Aber freigeistig begreift sie nicht die Dialektik der Unterwelt. Sie will mit aller Aufrichtigkeit den Frieden. Aber was für einen! Daß man sie in Ruhe läßt. Ihr nicht auf die Finger sieht — business is business! Ruhe = Friede! Profit und Nationalismen haben ihre Augen geblendet. Mit Vergnügen wird der Kreml weiterdebattieren, seine Garnisonen wird er aber nicht vom Platze rücken.

Und so sei wenigstens allen Zeitgenossen die kleine Schrift auf die heiße Stirne gelegt, die im Jahre 1864 unter dem Titel „Gespräche in der Unterwelt zwischen Machiavelli und Montesquieu“ der in Lausanne gebürtige Pariser Advokat Maurice Joly, sozusagen am Höllenrand sitzend, über die Dialektik der Despoten geschrieben hat. Für seine Zeit geschrieben, und für alle Zeit, gab uns diese merkwürdigste Schrift der Weltliteratur einen Schlüssel in die Hand, der auf verblüffende Weise die Chiffren der großen Lügner von heute enträtselt. Welcher Sprache sich auch diese bedienen, mit seinen „Gesprächen“ hat uns Maurice Joly einen Kopfhörer geschaffen, der zuverlässig das Welschtum der Verführer in die Muttersprache der Wahrheit übersetzt.

Begeben wir uns auf die Plätze! Die Bühne, die sich jetzt öffnen wird, ist die Unterwelt. Machiavellis dämonische Majestät wird uns blenden. Dann aber wird es stille um uns werden, wie es nach dem Zusammenbruch im Mai 1945 um uns entsetzlich stille wurde. Aus dieser Stille dringt leise an unser Ohr die Stimme Montesquieus, des Anklägers des vergewaltigten Rechtes, des Demaskierers der Lüge. Hören wir wenigstens einen Akt aus den 25:

Machiavelli und Montesquieu

Mo.: Wenn Sie die Gewalt zum Prinzip erheben und die Hinterlist zur Regierungsmaxime, wenn Sie bei Ihren Berechnungen die Gesetze der Humanität überhaupt nicht berücksichtigen, dann ist das Recht der Tyrannei kein anderes als das Recht der wilden Tiere. Sie sagen nicht: Es ist an sich gut, sein Wort zu brechen, es ist gut, sich der Bestechung, der Gewalttat und des Mordes zu bedienen. Wohl aber sagen Sie: Man kann Verrat üben, wenn das nützlich ist, töten, wenn es nötig ist, den Besitz seines Nächsten nehmen, wenn das vorteilhaft ist. Infolgedessen hat der Fürst das Recht, seine Eide zu brechen; er kann das Blut in Strömen vergießen, um sich die Macht zu verschaffen oder sich in ihr zu erhalten; er kann die ausplündern, die er geächtet hat, er kann alle Gesetze umstoßen, neue geben und sie wieder übertreten: er kann die Staatsgelder verschwenden, kann bestechen, erpressen, strafen und und immer wieder losschlagen.

Mac.: Sie unterschätzen die Anziehungskraft der Lehren, die meinen Namen tragen, Machiavelli hat Nachkommen, die den Wert seiner Lehren kennen. Man hält mich für recht veraltet, und doch werde ich mit jedem Tag wieder jung auf dieser Erde. Ein Herrscher, der heute seine Macht wieder festigen will, wird von Anfang an darauf bedacht sein müssen, alle Parteien zu vernichten, alle einflußreichen Gemeinschaften, wo es solche gibt, aufzulösen und die persönliche Initiative in allen ihren Aeußerungen lahmzulegen. Dann wird das Niveau der Menschen, die Charakter haben, von selbst sinken, und alle Kräfte, die sich gegen die Versklavung wehren könnten, werden erschlaffen. Die ständige Unterhaltung einer Furcht einjagenden Armee, die dauernd durch äußere Kriege in Uebung gehalten wird, bildet die unentbehrliche Vervollständigung dieses Systems. Es muß dahin kommen, daß es im Staate nur noch Proletarier, einige Millionäre und Soldaten gibt…

Mo.: Fahren Sie nur fort!

Mac.: Nach außen muß man von einem Ende Europas bis zum andern die revolutionäre Gärung anregen, die man im eigenen Lande unterdrückt. Die Agitation für die Freiheit im Ausland lenkt die Aufmerksamkeit von der Unterdrückung im Innern ab. Ueberdies hält man damit alle andern Mächte in Schach, bei denen man nach Belieben Ordnung schaffen oder Unordnung stiften kann. Die Hauptsache ist, durch Kabinettsintrigen alle Fäden der europäischen Politik so zu verwirren, daß man die Mächte, mit denen man es zu tun bekommt, gegeneinander ausspielen kann… Glauben Sie ja nicht, daß ein solches Doppelspiel, wenn es gut durchgeführt wird, einem Souverän etwas schaden kann. Nehmen Sie nun einmal an, ich hätte die verschiedenen geistigen und materiellen Hilfsquellen zur Verfügung, die ich Ihnen eben geschildert habe, und geben Sie mir nur irgendein Volk. Nun, Sie brauchen mir nicht mehr zwanzig Jahre Zeit zu geben, und ich werde den unbändigsten Charakter eines europäischen Volkes aufs vollständigste verwandeln und ihn der Tyrannei so gefügig machen, wie den des kleinsten asiatischen Volkes. —

Auf dem Höhepunkt ist der Dialog angekommen mit der Antwort auf die Frage, was Machiavelli tun wird, wenn er die Macht in Händen, hat:

Mac.: Ich werde Krieg führen, und zwar nach allen vier Windrichtungen. Ich werde wie Hannibal die Alpen überschreiten, ich werde wie Alexander in Indien kämpfen, wie Scipio in Libyen. Ich werde vom Atlas bis zum Taurus ziehen, vorf den Ufern des Ganges bis zum Mississippi, vom Mississippi zum Amurfluß. Die große chinesische Mauer wird sich vor mir auftun. Meine siegreichen Legionen werden in Jerusalem das Grab des Erlösers, in Rom den Statthalter Christi verteidigen. Ihre Schritte werden in Peru den Staub der Inkas aufwirbeln, sie werden in Aegypten über die Asche des Sesostris, in Mesopotamien über die des Nebukadnezar dahinmarschieren. Als Nachfolger eines Cäsar, eines Augustus und eines Karls des Großen werde ich an den Ufern der Donau die Niederlage des Varus, an den Ufern der Etsch die Schlacht bei Cannä, an der Ostsee die schmachvolle Besiegung der Normannen rächen. Ich würde gewaltige Bauten errichten. Ich werde mir eine Leibgarde halten. Sie wird so groß sein wie ein Drittel des Effektivstan-

des meiner Armee. Die zahllosen Gebäude, die ich errichten werde, sollen mit meinem Namen bezeichnet werden. Mein Geburtstag soll ein nationales Fest sein. Meine Statue, meine Büste, Bilder, die mich darstellen, sollen in allen öffentlichen Räumen, besonders in den Sitzungssälen der Gerichte zu sehen sein.

Mo.: Neben dem Bilde Christi?

Mac.: Nein, aber ihm gegenüber. Denn die souveräne Macht ist ein Ebenbild der göttlichen Macht. So verbindet sich mein Bild mit der Vorstellung von der Vorsehung und der Gerechtigkeit.

Mo.: Ist dieser schauerliche Traum nun zu Ende?

Mac.: Ein Traum! O nein, Montesquieu! Zerreißen Sie Ihren „Geist der Gesetze“! Bitten Sie Gott, daß er Ihnen in seinem Himmel das Vergessen schenkt; denn jetzt wird die furchtbare Wahrheit kommen, von der Sie wohl schon etwas geahnt haben. Das alles, was ich Ihnen gesagt habe, ist nicht geträumt.

Mo.: Was wollen Sie damit sagen?

Mac.: Das, was ich Ihnen beschrieben habe, alle diese ungeheuerlichen Dinge, von denen sich unser Geist abwendet, dieses Werk, das nur der Teufel selbst vollbringen könnte, das alles ist vollbracht, das alles gibt es, das alles gedeiht im vollen Sonnenlichte, jetzt, zu dieser Stunde an einer Stelle dieser Erde, die wir verlassen haben.

Der Vorhang fällt. — Nein! Die Unterwelt schließt nicht. Das Gespräch zwischen den beiden wird nicht abreißen, solange es Zeit gibt. Jolys Absicht ist klar, er wollte das öffentliche Gewissen aufwecken, die Verschwörung des Bösen entlarven, die Verzagten zum Kampfe für das Gute vereinigen. Das ist die Losung auch unserer Stunde: Erkennet den Feind! Schart euch zusammen! Wir stehen in der Zeit, „wo Gott keine Freude mehr an ihr hat und Er abermals alles zusammenschlagen muß zu einer verjüngten Schöpfung“ (Goethe).

(Jolys Schrift hat der Verlag Richard Meiner, Hamburg, in deutscher Uebersetzung herausgebracht.)

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