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Gesucht: Retter des Vaterlandes

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Im Kopf-an-Kopf-Rennen der bei-den groBen Koalitionen ist die Mitte-Links-Wahlkoalition der wahre Favorit; sie stellt sich jedoch als pures Wahl-Ressemblement den Wahlern vor, welches die ehemalige kommunistische Partei (heute PUS, Sozialdemokraten), Christdemokra-ten, Griine, orthodoxe Kommunisten und sogar die Splitterpartei eines bis vor zwei Jahren von demselben Lager stark kritisierten konservativen Schatzministers der Berlusconi-Re-gierung zusammenfaBt. Im Falle eines Wahlsieges wird diese heteroge-ne Koalition nur unter grbfiten Schwierigkeiten und Kompromissen regieren konnen. Ihr Kandidat fiir den Posten des Premierministers, Romano Prodi, der keiner Partei an-gehort, scheint nicht immer Herr im eigenen Haus zu sein.

Probleme ganz anderer Art hat die kompakte liberal-konservative Koali-tioh von Silvio Berlusconi, die schon bei den letzten Wahlen 1994 siegte. Gegen ihn und seine engsten Mitar-beiter ermitteln derzeit Staatsanwalt-schaften in ganz Italien - fiir Strafsa-chen, die von Korruption bis hin zur Umgehung der Anti-Trust-Gesetze zur angeblichen Unterstiitzung der Mafia reichen; ganz zu schweigen vom Interessenkonflikt des Medi-enzaren Berlusconi, dessen Familie drei nationale Fernsehsender und eine groGe Tageszeitung besitzt, und ganz zu schweigen auch von der Ver-wicklung seines Bruders und eines sehr eng befreundeten Ministers seiner Regierung in die nun aufgedeck-te Verleumdungskampagne gegen den schon zuriickgetretenen Star-Staatsanwalt Antonio Di Pietro, der unlangst endgiiltig von alien Be-schuldigungen freigesprochen wor-den ist.

Der zweite groBe Angriffspunkt in der konservativen Koalition ist der Hauptverbiindete Berlusconis, die Nationale Allianz. „Alleanza Nazio-nale" ist die populistische Nachfolge-partei des neofaschistischen „Movi-mento Sociale" (Soziale Bewegung). Trotz Namensanderung und einer

emphatisierten Neugriindung der Partei, die sich dank Berlusconi aus der politischen Isolation heraus-manovrieren konnte, ist der gesamte alte Partei- und Fiihrungsapparat an seiner Stelle geblieben und beeinfluBt wegweisend die Koalition.

Der relativ junge, aber schon sehr erfahrene Parteichftf der NA, Gianfranco Fini (44), wird schon als der eigentliche Koalitionschef be-trachtet, kann und will aber diesen Posten noch nicht an-treten, solange seine Partei nicht vbllig ihr negatives Her-kunftsimage verlo-ren hat, was aber nicht mehr lange dauern wird. Keine groBe Rolle spielen derzeit die zwei klei-neren konservativen christdemokrati-schen Parteien CDU und CCD im rechten Lager, stehen jedoch verstandlicherweise in einem positiven Aufwartstrend.

Eine Staatsreform ist absolut notwendig

Zwischen diesen beiden groBen Koalitionen, von denen jede mit minde-tens 45 Prozent der Wahlerstimmen zahlen kann, drangt sich die Lega Nord. Umberto Bossis nun doch sepa-ratistische Protestbewegung, die im reichen und hochindustrialisierten Nord-Italien noch immer ein gewis-ses Gefolge hat, kann diesmal auf kein gutes Resultat mehr hoffen. Nach einer langen und rapiden Serie unge-schickter und miGgluckter Aktionen

hat Bossi seine Bewegung politisch in den Abgrund gestiirzt und von 180 Parlamentsabgeordneten, die 1994 aus den Reihen der Lega Nord ge-wahlt wurden, konnen heuer keine 30 nach Rom zuriickkehren. Es ist aber nicht ausgeschlossen, daB seine Partei im Falle eines sehr knappen Sieges der einen oder anderen Koalition doch noch eine politische Rele-vanz findet.

In diesem eher trii-ben und chaotischen Szenario scheinen sich alle politischen Krafte wenigstens iiber ein Thema ei-nig, namlich iiber die absolute Notwendig-keit einer Staatsreform, die politische Stabilitat garantieren soil. Das ist und bleibt kiinftig Kernpunkt der politischen De-batte in Italien: Welches Regierungssy-stem kann man in Italien einfiihren, um aus diesem unstabilen, rein parla-mentarischen System herauszufin-den, das in 50 Jahren 50 Regierungs-krisen gestattet hat? Der Wahlkampf hat sich immer mehr auf diese Frage konzentriert.

Die Liberal-Konservativen beste-hen auf das von der Nationalen Allianz vorgeschlagene franzbsische Re-gierungsmodell eines mit auBerst starken Vollmachten ausgestatteten Bundesprasidenten, der direkt vom Volk gewahlt wird. Berlusconi und Fini haben daraus das Leitmotiv ihres Wahlkampfes gemacht und schon versprochen, daB sie im Falle eines Koalitionssieges diese Reform auf je-den Fall durchfuhren werden, auch

ohne Mitwirkung der Opposition.

Die Mitte-Links-Koalition ist sich iiber ein neues Regierungsmodell noch nicht ganz einig, schlieBt jedoch eine prasidentielle Ubermacht ge-geniiber dem Parlament vollig aus. Auch der amtierende Prasident, Oscar Luigi Scalfaro, warnt vor Gefahren ei -ner substantiellen Entmachtung des Parlaments. Der Vorschlag der linken Christdemokraten (PPI) einer Ein-fuhrung des Kanzlermodells nach deutschem Vorbild ist in der Koaliti-on dennoch ziemlich allgemein ak-zeptiert worden.

Die Reformdebatte, Leitthema des Wahlkampfs, dreht sich also um die-se zwei aus demokratisch konsolidier-ten europaischen Erfahrungen ge-nommenen Regierungssysteme. Nur, in Italien herrschen derzeit vollig son-derbare Zustande, die eine Durch-fiihrung solcher Reformen nicht ohne Bedenken zulassen. Man denke zum Beispiel an einen vom Volk gewahl-ten Prasidenten, der auch Regierungschef ist und gleichzeitig Eigentumer der drei landesgroBten privaten Fernsehsender, und dessen Hauptverbtindeter eine bis vor zwei-Jahren noch rechtsradikale Partei ware.

Doch je mehr die Wirtschaftskrise, die politische Instabilitat und die Ar-beitslosigkeit im Siiden zunehmen, desto lauter wird der Ruf nach dem starken Mann. Keiner der aktuellen Hauptdarsteller in der politischen Arena verfiigt jedoch iiber geniigend Konsens, um diese Rolle iibernehmen zu konnen. Keiner - auBer einem: Antonio Di Pietro, der beinharte und eher konservative Ex-Staatsanwalt, der vor vier Jahren mit seinen Kolle-gen im beriihmten Pool „Mani Puli-te" durch die Aufdeckung eines riesi-gen Korruptionsskandals den Unter-gang beinahe des gesamten alten und korrupten Establishments ausgelost hat. Er ist ein Nationalidol in Italien, umworben von beiden Koalitionen, hat sich aber offentlich noch zu keiner von beiden bekannt.

Welches Bild Italiens wird am kommenden Sonntag aus den Urnen auf-tauchen - und mit welchen Folgen? In einem derart unbestandigen Szenario sind Prognosen einfach ein Ha-sardspiel; vieles wird auch von den Stimmenverhaltnissen innerhalb der Koalitionen abhangen; und mit dem derzeitigen Wahlgesetz sind sogar zwei verschiedene Mehrheiten in den beiden Parlamentskammern (Abge-ordnetenhaus und Senat) mbglich. Es spielen noch dazu einige AuBenfakto-ren eine wichtige Rolle: die Ermitt-lungen und Prozesse gegen Berlusconi und ein eventueller Quereinstieg Di Pietros in die Politik.

Wenn jedoch nach diesen Wahlen keine KompromiBlbsung zwischen den zwei so unkompatiblen groBen Koalitionen ensteht, was unter jetzi-gen Voraussetzungen ziemlich schwer sein wird, dann wird bald ein Weimarer Klima in diesem Land entstehen; das Verlangen im Volk nach einem Retter der Nation (einem Nationalidol?) wird kaum mehr unter-driickbar sein.

Es gibt auch eine zweite, mehr so-ziologisch motivierte und unter den politischen und bkonomischen Draht-ziehern verbreitete Denkschule, nach der es in Italien schon immer so cha-otisch war und es auch so bleiben wird, trotz allem, denn la bella Italia ver-tragt sehr gut das Chaos, ja liebt es sogar. Wer wird recht behalten? Dr. Christian Monti war seinerzeit aujienpolitischer Spre-cher der Lega Nord und ist mittlerwei-le politisch unabhdngiger Beobachter der politischen Entwicklungen in unse-rem Nachbarland

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