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Gesunde Ernährung

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Warum die Zulagen, welche Funktionäre fürs Essen und Trinken und als eine Art Schmerzensgeld fürs Nichtzuhausesein erhalten, ausgerechnet Diäten heißen, das wissen vermutlich nur die Apotheker, die über unerwünschte Nebenwirkungen informiert sind. Was da bei so manchem Geschäftsessen verzehrt wird, entspricht ganz und gar nicht meinen Vorstellungen von Diät. Da schon eher die Geste des Finanzministers, der die Spesenritter auf halbe Kost gesetzt hat. Womit sich die Rechnung unter Geschäftsfreunden noch immer ausgeht: Jeder zahlt die Hälfte und setzt sie von der Steuer ab.

In Wirklichkeit ist freilich Diät eine viel zu ernste Sache, um sie dem Finanzminister, der Buchhaltung, den Mannequins, den Gallenleidenden oder der frühsommerlichen Bademode zu überlassen. Längst hat ja die Fitwelle die Freßwelle überholt - und die Entscheidung, ob es zulässig sei, auf der Party ein zweites Gurkenbrötchen zu verzehren, liefert mühelos Gesprächsstoff für eine lange Party-Nacht. Mineralwasser-Asketen ergehen sich in virtueller Ausschweifung, indes die Gänseleber-Pasteten ihre Unberührtheit bewahren. Es soll aber auch schon vorgekommen sein, daß die Parade-Asketen, die auf der Party ihre überlegene Entsagung demonstrierten, zu späterer Stunde am Würstelstand oder gar in einem nahrhaften Wirtshaus angetroffen wurden.

Durch geschicktes Ausbalancieren auf der Badezimmer-Waage gelingt es ja mitunter gerade noch, dem Schicksal ein paar Kilo abzumo-geln. Hilfreich ist auch das Urteil jener verständigen Wissenschafter, die die brutale Formel

vom Idealgewicht außer Kraft setzten. Mit den neuen Grenzwerten und einer freundlichen Waage lassen sich so an die 20 Kilo unschädlich unterbringen. Darüber wird es kritisch.

Da gewinnt dann das Wort „Diät” seine wahre, seine bittere aber auch notwendige Bedeutung. Am Heimweg erinnert man sich, im Wartezimmer jene bunten Journale durchblättert zu haben, die die Angst vor der Sprechstundenhilfe mildern. Jede Illustrierte führt heutzutage ihre Diät. Also eine Kollektion am Kiosk erstanden, dazu einiges aus der Buchhandlung neben dem Beformhaus.

Die Vielfalt des Sektenwesens ist die reinste Einheit der Christen im Vergleich zu den Diäten und Antidiäten der Medien und Medizinen. Da wären also zum Beispiel die bösen Kohlehydrate, von der reschen Semmel bis zu Tante Friedas Torte, vom Erdäpfelschmarren bis zum schwabbelnden Pudding. Alles das reinste Gift für Figur und Gesundheit! Weg damit also, verpönt jedes Stück Zucker, verflucht alles Süße!

Frustriert an einer Karotte kauend, Kräutertee schlürfend, trifft mich mein Freund von der Diätwissenschaft. Er belehrt mich: Mitnichten seien die Kohlehydrate so schlimm, vielmehr sei es das Eiweiß, welches die Gefäße verstopfe, die Fettzellen nähre, den Kreislauf schädige. Also

durchaus Semmel und Torte, aber hinweg mit Huhn und Schweinsbraten, mit Eierspeise und Salzburger Nockerln!

Gesagt, getan! Allenfalls ein Glu-ten-Gulyas mit Körnern. Von Genuß keine Bede, aber Opfer müssen sein.

Bis mir mein anderer Freund von der anderen Ernährungswissenschaft die Blindheit von den Augen nahm. Eiweiß nämlich sei gesund, sei geradezu lebenswichtig, der Mensch als evolutives Baubtier sei als Fleischfresser programmiert. Ein Leichtsinn sei diese Eiweiß-Diät, ganz im Gegenteil, so viel Eiweiß wie möglich! Hingegen das Fett, wie schon der Name sagt, lege sich als Fett um Bauch und Brust, belaste die Zellen, bilde unerwünschte Depots. Bann also der Butter, dem Öl, allem was so lieblich brutzelt. Mager und im Dunste sei die Nahrung.

Beim Fitneß-Lauf, den ich also fettfrei antrat, traf ich einen Leidensgenossen, der zuletzt herzhaft in sein Butterbrot biß. Wie bitte, Fett? Doch klar, Fett ist gesund, fördert die Verdauung et cetera ...

Im Laufe von drei Wochen habe ich alles vermieden und alles gegessen. Es war eine herrliche Diät. Denn jetzt weiß ich: Diät ist weiter nichts als das Gegenteil.

Das wird ein Auftritt bei der nächsten Party!”

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