Gesunder Egoismus
Der österreichische lesuit Michael Horatczuk, dessen Bücher „Hier lacht der Aszet“ und „Lahme gehen zu Gott“ zu den erfolgreichsten Werken der letzten zwei lahre gehörten, gibt soeben sein drittes Buch, „Schlagworte auf dem Seziertisch“, heraus (Verlag Herold, Wien, 152 Seiten, Preis 46 S). Den folgenden Artikel haben wir diesem Werk entnommen.
Der österreichische lesuit Michael Horatczuk, dessen Bücher „Hier lacht der Aszet“ und „Lahme gehen zu Gott“ zu den erfolgreichsten Werken der letzten zwei lahre gehörten, gibt soeben sein drittes Buch, „Schlagworte auf dem Seziertisch“, heraus (Verlag Herold, Wien, 152 Seiten, Preis 46 S). Den folgenden Artikel haben wir diesem Werk entnommen.
AUF RUMMELPLÄTZEN gab es früher Buden mit krummgeschliffenen Spiegeln. Darin konnte man sich an seinem eigenen Zerrbild ergötzen. Man erblickte sich mit einer Kartoffeloder Rübennase; dies war sehr unterhaltsam und sicher weniger anstrengend, als vor einem richtigen Spiegel selbst Gesichter zu schneiden. Man behauptete: Leute, die von Natur aus ein unförmiges Antlitz hätten, gingen besonders gerne hin. Sie wurden vom Zerrbild wieder zurechtgebogen, und statt eines Bulldoggengesichtes schaute der rassige Schmalschädel eines Barsois heraus.
Für das seelische Antlitz gibt es auch so etwas. Man braucht nur die Wirklichkeit krumm zu schleifen, so erscheint man selbst gerade, obwohl man krumm ist. Ich behaupte etwa: das Grundgesetz alles Geschehens ist die Ichsucht. Beweise sind leicht erbracht. Man braucht nur alles zu sehen, was für diese Behauptung spricht, und alles zu übersehen, was dagegensteht, und schon ist die Weltanschauung bestätigt. So macht man es ja immer und man nennt dieses Verfahren selektive Statistik. Daß jede Statistik eine ?elektive sei, ist natürlich maßlos übertrieben. Auch gräfeaettf Verallgemeinerungen ' SwÄMnemlchrriuch der Biöli£ie lalrlfejFf; zum Beispiel vom rücksichtslosen Kampf um den Eebensraum, der in der Natur herrscht. Wenn es sein muß, wächst ein Spargel mitten durch einen Kohlkopf hindurch und schaut oben höhnisch heraus. Dieses Beispiel brauche ich nur sinnend zu betrachten und dann beizufügen: und so ist es überall und immer — und schon habe ich die Ichsucht als Weltgesetz bewiesen. Wenn sich nun die eigene ichsüchtige Seele in diesem Weltbild spiegelt, so schaut sie gar nicht mehr so ichsüchtig aus: es ist bloß ein notwendiger, natürlicher, gesunder Egoismus vorhanden. Und der muß sogar vorhanden sein, man darf doch nicht außerhalb der Wirklichkeit leben! Man hat nur die Wahl, Spargel oder Kohlkopf zu sein. Dann aber lieber Spargel.
Wie aber, wenn dieser Spiegel zerbricht? Das kann schon in diesem Leben vorkommen, und das ist immer eine bittere Stunde, wenn einem Menschen die Weltanschauung ins Rutschen kommt. Es rutscht ja die ganze Welt mit und er mit-ihr. Manche halten zwar upter allen Umständen an ihrem verzerrten Weltbild fest und verzerren es noch mehr, wenn die krummen Linien sich aufzulösen drohen. So schieben sie den Untergang ihrer Welt noch ein wenig hinaus. Sicher, wischt aber der Tod alle Täuschungen fort und dann sieht die Wirklichkeit, auch so aus, wie sie ist. Manches, was man so leichthin gesund nennt: eine gesunde Lebensphilosophie, gesunde Selbstbehauptung, gesunde Rücksichtslosigkeit, gesunder Egoismus — das dürfte dann eher brandig ausschauen.
MAN BEGRÜNDET den gesunden Egoismus gern damit, daß man ja schließlich leben müsse. Ohne entsprechende Mittel kann man aber nicht leben, also muß man sie herbeischaffen, und wenn jemand dabei im Wege steht, muß man ihn wegpuffen: Freie Bahn dem Tüchtigen!
Der gesunde Egoismus entpuppt sich damit aL bloßer Egoismus des Gesunden, denn nur der Gesunde und Kräftige kann andere wegrempeln. Der Schwache soll es erst gar nicht versuchen, er verschafft sich damit ja doch keinen Platz an der Sonne oder dem Futtertrog, sondern nur einen Winkel zum Trübsalblasen. Es sei denn, daß er seine Minderwertigkeitskomplexe in Gift umwandelt wie die Kreuzotter die hinabgewürgten Mäuse, diese verkörperten Minderwertigkeitskomplexe. Dann aber ist wiederum er der Stärkere und im Giftbere(cb der „Gesündere“. Der Stärkere ist immer gesünder auf dem Gebiet, wo er stärker ist. Ein Riese kann einen Zwerg totquetschen, aber der Zwerg kann den Riesen vielleicht totquengeln, denn er fühlt sich in tränenfeuchter Luft sehr wohl, während der Riese nach Atem ringt und klein beigeben muß. Jeder hat seinen Bereich, wo er auflebt und der andere ermattet. Dort ist er gesünder und überlegen. Lind dort kann er auch seine Ichsucht durchsetzen. Er nennt sie gesunden Egoismus, tatsächlich ist es aber der Egoismus des Gesunden und das Eigenschaftswort „gesund“ ist nur ein fadenscheiniger und noch dazu gestohlener Mantel, der einen ganz gewöhnlichen nackten Egoismus verhüllt.
Man hat sogar vom „heiligen Egoismus“ gesprochen, aber das ist nur ein besonders krampfhafter Versuch, Böses ins Gute zu verkehren.
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ES KANN ABER AUCH vorkommen, daß jemand die gesunde und notwendige Selbstbewahrung für Egoismus hält. Oder andere tun es. Zwischen diesen beiden Haltungen ist zwar eine genaue Grenze, aber sie ist stark mit Einbildungen überwuchert. Manche setzen sie darum zu früh an, manche zu spät, und beide haben unrecht. Wir dürfen uns weder verschließen noch verscMeüaern, sondern müssen mit uns- riawjpem Willen Gottes• verfanren uniunTan die Auf-gabe verschenken, die Gott uns stellt. Dieses
Sichverschenken ist zugleich eine Selbstbewahrung, wie sich zeigen wird. Daran aber darf uns niemand hindern, und wenn es jemand versucht, muß man ihm die Hörner weisen. Man kann da gelegentlich in eine schwierige Lage kommen. Auf der einen Seite steht Gott mit seinen Forderungen, auf der anderen ein Mensch (gewöhnlich sind es mehrere), der ebenfalls fordert. Gott fordert in \\eiser, helfender Liebe, die Menschen häufig in Bequemlichkeit und Dummheit. Richtig wäre es, sich entschieden Gott zu- und von den Menschen abzuwenden. Wir wollen die Leute aber nicht vor den Kopf stoßen, obwohl uns manchmal vorkommt, daß ihre Anliegen gar nicht so wichtig sind. Unser weiches Herz tritt zum Kampf gegen hartnäckige Lästigkeit an und geht natürlich schon in der ersten Runde zu Boden. Das Ergebnis: Unsere eigene Aufgabe bleibt (wenigstens zum Teil) ungetan, weil wir die des anderen übernommen haben. Ob Gott damit zufrieden ist? Freilich sollen wir einander helfen, aber es wäre zu fragen, ob eine Hilfe wirklich nötig ist. Ob man dem andern überhaupt Gutes tut, wenn er der Lösung seiner Aufgabe enthoben wird. Jede Aufgabe ist ja eine Gelegenheit zum Wachsen. Es war früher streng verpönt, daß Eltern ihren Kindern bei Hausaufgaben helfen. Schwache Eltern hielten sich zum Schaden ihrer Kinder nicht an dieses Verbot, vor allem in den ersten Jahren der Volksschule, wo die Kinder noch lieb und die Aufgaben noch leicht waren. Aber zum Heil der Kinder begann dann das Dividieren durch Dezimalzahlen und die kundige Wahl zwischen s, und ss (in alten Zeiten gab es auch noch das Schluß- oder runde s, das inzwischen ausgestorben ist). Da pfleete gewöhnlich , in den Eltern die erziehensche Weisheit zu erwachen, und sie hleiten ••' ei MOBRf . 3M j?f!V. iW\ nunmehr darauf, daß die Kinder ihre Aufgaben selbst machten.
Und schon gar, wenn uns jemand mit nichtigem Getue von wichtigen Taten abhält! Es gibt Leute männlichen und weiblichen Geschlechtes, die an chronophager Megalalie (zeitraubender Geschwätzigkeit) leiden. Mehr leiden die anderen und am meisten die Aufgabe. Ob etwa in den Ländern, wo die Kirche verfolgt wird und die Priester rar sind, auch so viele „Aussprachen“ frommer Seelen getätigt werden? Und wenn nicht: ob deshalb das Glaubensleben daniederliegt? Ich bezweifle beides. Häufig sind die berühmten Aussprachen eher Ausreden: man wickelt die gottgestellte Aufgabe so lange in Wortwolle, bis sie verschwunden ist.
ES GIBT NUR EINEN GRUND dafür, daß ein Mensch für sich dasein darf: wenn er für Gott dasein will. Für sich im eigentlichen Sinn darf der Mensch überhaupt nicht dasein. Diese Behauptung wird Widerspruch erregen, darum wollen wir sie begründen. Der Mensch war nie als ein in sich geschlossenes Wesen geplant und wurde nie als ein solches ausgeführt. Es gibt überhaupt nichts, was nur für sich da wäre. Jedes steht im Zusammenhang mit allen und darf darum weder herausgelöst werden noch sich selbst absondern.
Noch mehr: Wer sich auf falsche Weise bewahren will, der verliert sich. Wer einem „gesunden“ Egoismus frönt, wird krank. Egoismus ist immer eine verkrümmte Seelenhaltung, aus der sich zwangsläufig eine seelische Tbc ergibt. Krankheitskeime dieser Art fliegen ja bisweilen umher, sie brauchen bloß einen günstigen Boden. Den finden sie im Menschen, der sich fest verschließt und immer, in der Zimmerluft, seines oeigener)„.;Iehfb?IejMi rKtankheitskeime,-., ktumm-“ Ähurtfc, 3Üwigi&-EiitaiHKrluft:i3ffltthr 'isU wfrküdi nicht nötig.
Es ist so gemeint: es gibt so vieles in der Welt, das uns in uns selbst zurücktreibt. Wir müssen eine Gegenströmung aufleben lassen und erhalten, sonst werden wir hoffnungslos in uns selbst eingemauert. Wir müssen uns verlassen und aus uns heraustreten, auch wenn wir aus Erfahrung wissen, daß wir kein Verständnis finden. Es ist freilich nicht leicht, aus der eigenen Haustür zu treten, wenn man damit rechnen kann, daß sich draußen nur starkes und plumpes Volk herumtreibt. Mit denen soll man nun ins Gespräch kommen, wo man schon nach einem Blick auf das Gesicht des andern merkt, daß er in einer anderen Welt lebt, daß er ganz andere Ansichten hat und alles das, was wir ihm sagen, auf seine Weise verstehen wird. Wozu da eigentlich das eigene Haus verlassen? Drinnen ist's gemütlicher, es widerspricht einem niemand und man hat wenigstens seine Ruhe. Dieses In-sich-Bleiben ist aber oft wie ein Suchtgift: man kommt nicht mehr davon los. Es braucht einige Selbstverleugnung, um trotz allem immer wieder zu den Menschen zu finden, aber sie ist nötig.
Egoismus ist nämlich wirklich eine Krankheit. Der Mensch ist nicht so, wie er sein soll. An sich lebt er in einem großen Gefüge, im Wechselverkehr mit der Umwelt. Kapselt er sich ab, so ist er kein ganzer Mensch mehr, denn er besteht ja zum Großteil „aus Gemeinschaft“. Wieviel ist doch in uns, das wir empfangen haben, von der Gnade bis zum neuesten Witz. , Aber nicht nur das Empfangen, sondern auch das Geben bereichert uns. Das gilt uneingeschränkt für geistige, seelische Werte. Durch Lehren lernt man am meisten. Wer sich in rech-'ter Weise an den Nächsten verschenkt, der gewinnt sich. Man staunt oft, wie sehr sich manche Leute zu ihrem Vorteil ändern, wenn sie eine rechte Aufgabe aufgreifen: ihr Eigentliches und Echtes bricht durch wie das Kücken durch die Eierschale, und auf ja und nein ist ein Prachtgockel da. Leider wollen wir uns nicht recht mit dem Nächsten abgeben, weil wir befürchten, er werde allerlei Forderungen an uns stellen. Aber wir brauchen das wirklich nicht zu befürchten: er wird es sicher tun. Aber wir gewinnen in beiden Fällen: ob wir nun seine Forderungen billigen und erfüllen oder: ob wir sie aus guten Gründen höflich und entschieden abschlagen. In diesem Fall gewinnen wir zunächst einen Feind, der unsere Ungefälligkeit überall bekanntmacht und andere von einem gleichen Versuch abschreckt. Das wäre ein Vorteil, aber man darf sich nicht unbedingt darauf verlassen. Der eigentliche Gewinn ist aber der an Persönlichkeit. Wir verfügen als Herren über uns, da wir aus eigener Entscheidung zu Diensten stehen oder uns einem Dienst entziehen, immer aus guten und gerechten Gründen, das versteht sich. Der kalte Egoist wie der weichherzige Waschlappen handeln unpersönlich, automatenhaft: wird oben eine Forderung hineingeworfen, so kommt unten immer ein Nein oder ein Ja heraus. Da gehen sogar wirkliche Automaten noch persönlicher vor: aus inneren Gründen geben sie manchmal ohne Geld etwas her (vor allem an Buben), manchmal spucken sie die Münzen verächtlich wieder aus oder behalten sie samt der Schokolade, wenn ihnen der Käufer nicht zu Gesicht steht.
ER BESTEHT DARIN, dem Ego, dem Ich, die gebührende Stellung einzuräumen Es darf weder ein ständig ja-nickendes Anhängsel der Umwelt sein noch ein grundsätzlich abweisendes Kopfschütteln. Das Kunststück ist dabei, Ja und Nein richtig anzuwenden. Aber wie? Vielleicht an ungeraden Tagen nein, an geraden ja, wie beim Parkverbot? Da könnte man gut an den ungeraden Tagen die Arbeit erledigen, die einem an den geraden aufgehalst wurde. Aber dieses Vorgehen wäre zu unpersönlich.
Wirklich gesunder Egoismus, nämlich ein gesundes Ego, ersteht nur dadurch, daß wir uns möglichst tief in den Willen Gottes stellen. So entspricht es der Wirklichkeit, denn es soll ja geschehen, was Gott will, nicht, was wir oder andere wollen. Wir müssen also den Wünschen der Umwelt nach dem Willen Gottes begegnen und nur nach seinem Willen, so gut wir es eben fertigbringen. Weder die eigene Ichsucht darf bestimmen, noch die des andern, sondern nur Gott. Dadurch entgehen wir der gefährlichen Herzensverhärtung, der ichsüchtigen Abkapselung. Wir bemühen uns ja, möglichst für Gott offen zu sein. Wir entgehen aber auch der Ausbeutung durch den lieben Nächsten. Wir lernen, in einem richtigen Abstand zu uns selbst und zum Nächsten den Abstand zwischen Gott und uns zu verringern, das heißt also: Gott näher zu kommen.
Es gibt hier freilich keine starren Regeln. Wir müssen versuchen, mit Gott in innerem Verkehr zu stehen urfd auf Gott hören zu lernen. Wer„ ehr}i£hJüj;.Go,tt dasein ll.Jllät'fim innewerden, wie weit er für sich und wie Weit-1 er für den anderen da sein soll und daß er in beiden Fällen tatsächlich für Gott da ist. Und wer diesem Willen Gottes ehrlich nachzukommen sucht, der wird eine wirkliche Persönlichkeit, die sich weder von der eigenen Ichsucht. Faulheit, Angst, Nachgiebigkeit, noch von fremder Ichsucht, Unverschämtheit Faulheit und Anmaßung steuern läßt. Dagegen ist keine starke Persönlichkeit, wer sich erst künstlich in Wut bringen muß, um ein entschiedenes Nein sagen zu können Nicht er sagt es, sondern seine Wut. Ist sie verraucht, dann wird ohnehin gewöhnlich ein Ja daraus. Und keine gütige Persönlichkeit ist, wer zuerst Ja sagt und dann hinterher darüber jammert. Sie sind beide keine Ego-Isten, weil sie nicht viel Ego haben, sondern hauptsächlich aus Natur bestehen und aus einer schwächlichen obendrein, nur ist die erste leicht entzündlich, die andere nicht.
Das Schlagwort vom gesunden Egoismus ist recht löcherig. Wenn wirklicher Egoismus, dann ist er nicht gesund, wenn gesund, dann ist es kein Egoismus. Einen gesunden Ego-Ismus hingegen gibt es. Er ist das gleiche wie eine gesunde Persönlichkeit. Zu dumm, daß beide Worte so ähnlich klingen. Vielleicht wird nur deshalb so leicht eins mit dem andern verwechselt, denn der Sache nach sind beide voneinander verschieden wie eben Natur und Persönlichkeit oder wie die Venus von Willendorf und die von Milo.
Weniger Egoismus und mehr Ego, weniger Ichsucht und mehr Persönlichkeit: das ist die Lösung aller menschlichen Schwierigkeiten, soweit sie überhaupt lösbar sind. Leider ist diese Lösung so klar, daß sie fast unsichtbar ist, darum findet man sie nicht so leicht. Oder sollte — furchtbarer Argwohn — es uns bloß zu mühsam sein, die Ichsucht zurückzudrängen und liebend-eigenständig vorzugehen?